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Spinell

Es sind mittlerweile 15 Tage vergangen, in denen ich kaum Etwas getan habe. Das Einzige, was ich jeden Tag mache, ist den Brief lesen, auf mein Handy starren und vor Kummer essen. Und ich gehe jeden Tag eine große Runde laufen, um körperlich wieder etwas fit zu werden.
Gelegentlich telefoniere ich mit Kohaku, aber das macht meine Sehnsucht nach ihm auch nicht besser.
Aber ich habe es geschafft, zum Friseur zu gehen. Meine Haare reichen mir nur noch über die Schultern und sind jetzt eisblond.
Ich muss mich immer noch mein eigenes Spiegelbild gewöhnen und Kohaku fordert seit zwei Tagen ein Foto von mir.
Aber ich stelle mich beim Fotografieren einfach zu dumm an, deswegen ist nie ein hübsches Bild dabei.
Heute ist ein trüber, kalter Tag und meine Motivation, Etwas zu tun ist absolut im Keller.
Gedankenverloren sitze ich mit einer Tasse Kaffee auf dem Sofa, nebenbei laufen die Nachrichten im Fernsehen.
"...bei einem Bombenattentat mehrere Soldaten gestorben, viele weitere schwer verletzt.."
Bei diesen Worten bleibt mein Herz kurz stehen.
Sofort muss ich an Kohaku denken, springe auf und renne ins Schlafzimmer. Panisch wähle ich auf meinem Handy seine Nummer und halte es mir ans Ohr.
Nach zweimal Klingeln nimmt er ab und im ersten Moment höre ich nur Schüsse.
"Hey meine Süße, es ist gerade sehr ungünstig. Ich rufe dich später zurück!"
Und schon hat er aufgelegt. Aber vor Erleichterung seufze ich kurz auf und lasse mich auf das Bett fallen.
Ihm ist nichts passiert. Es geht ihm gut. Das ist das Einzige, das zählt.

Wie versprochen ruft Kohaku am Abend an.
"Hey, wie geht's dir?"
"Beschissen. Und dir?"
"Naja. Den Umständen entsprechend. Ich wäre lieber bei dir."
"Die Zeit vergeht einfach nicht. Ich weiß gar nicht, was ich den ganzen Tag mit mir anfangen soll.."
"Lass den Kopf nicht hängen. Ich bin bald wieder bei dir. Außerdem warte ich noch auf ein Foto von dir."
"Ich bekomme aber einfach kein Schönes hin.."
"Dann mach deine Kamera an. Ich mach meine auch an."
"Wie meinst du das?"
"Mach den Videoanruf an."
Verwirrt nehme ich das Handy vom Ohr und drücke auf die entsprechenden Stelle.
Und tatsächlich erscheint Kohaku auf dem Display.
Seine Haare sehen feucht aus und ein großer Kratzer ziert seine rechte Wange, ansonsten sieht er aus, wie immer.
"Wow", meint er schmunzelnd. Für einen Moment vergesse ich, dass er mich auch sehen kann.
"Das sieht echt scharf aus. Gefällt mir."
Verlegen streiche ich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr.
"Schön, dass du es magst."
Einige Sekunden starren wir uns gegenseitig an.
"Was hast du mit deinem Gesicht gemacht?"
"Ich ähm.. Also flipp jetzt bitte nicht aus.."
Gespannt warte ich ab.
"Ich hab mir fast eine Kugel gefangen", platzt es aus ihm heraus.
Vor Schock gefriert mir das Blut in den Adern.
"Du hast was?!"
"Mir ist nichts passiert, also reg dich bitte nicht auf", versucht er mich zu besänftigen.
Am liebsten würde ich jetzt durch das Telefon springen und ihm eine reinhauen.
"Ich wollte dich im Ganzen wieder haben, nicht zerlegt."
"Baby, mir passiert nichts. Vertrau mir bitte."
"Ich habe solche Angst um dich. Komm gefälligst bald wieder", flüstere ich traurig.
"Ich bin schneller wieder da, als du denkst. Glaub mir."
Nur zu gern würde ich das glauben, aber es fällt mir verdammt schwer.
Die letzten Tage sind kaum vergangen und jeder weitere Tag zieht sich unendlich in die Länge.
"Ich vermisse dich so sehr.."
Eine einzelne Träne rollt mir über die Wange.
"Du weißt, dass ich dich auch vermisse. Ich will dich doch einfach nur küssen. Aber ich kann nicht und das ist das Problem. Und trotzdem werden wir es schaffen. Jedes mal, wenn ich deine Fotos sehe, oder deine Stimme höre, ist es wie ein Energieschub für mich. Jeder Tag der vergeht, bringt mich dir einen Schritt näher. Ich bin bald wieder da."
"Besser ist es auch, ansonsten ergeht es mir wie einem Kaninchen. Die sterben immerhin an Einsamkeit..."
Meine Bemerkung bringt ihn zum Lachen.
"Ich muss Schluss machen, ich hab noch was zu erledigen."
Etwas enttäuscht bin ich schon, aber er hat auch seine Pflichten.
"Okay. Ich liebe dich."
"Ich dich auch, Blondie."
"Bis bald."

Nach unserem Gespräch bin ich guten Gewissens Schlafen gegangen und wache am nächsten Tag erst nach zwölf auf. Müde stehe ich auf und ziehe mir etwas an. Dann gehe ich ins Bad, putze mir die Zähne und kämme meine Haare. Der Anblick ist immer noch gewöhnungsbedürftig, aber es gefällt mir.
Nachdem ich mir einen Kaffee gekocht und auf meinem momentanen Lieblingsplatz auf der Couch Platz genommen habe, klopft es an der Tür. Verwirrt stelle ich meine Tasse ab und schleiche zur hin.
Als ich sie einen winzigen Spalt weit öffne, sehe ich im ersten Moment nur lauter rote Rosen. Dann entdecke ich hinter den Blumen den vertrauten dunklen Schopf und die unergründlichen, blauen Augen, in die ich mich verliebt habe.
Ich ziehe die Tür ganz auf, schlage mir eine Hand vor den Mund und sinke auf meine Knie.
"Oh mein Gott", flüstere ich.
"Hey Prinzessin."
Er ist da.
Er steht vor mir.
Er ist wirklich wieder da.
Schon seine Stimme erzeugt bei mir eine Gänsehaut und meine Herzfrequenz verdreifacht sich.
"Ich hab dir Blumen mitgebrachten. Gefallen sie dir?"
Verlegen hält er mir den Strauß hin, aber ich kann mein Glück immer noch kaum fassen.
Ich strecke meine Arme aus, doch anstatt der Blumen, hält er mir seinen Arm hin und hilft mir wieder auf.
Dann schiebt er mich etwas zur Seite, schließt die Tür hinter sich, läuft zum Wohnzimmertisch und legt die Blumen ab.
Er dreht sich wieder zu mir um und lächelt mich an. Und genau in diesem Moment werfe ich mich in seine Arme und atme seinen Duft tief ein. Freudentränen laufen mir über die Wangen.
"Ich habe mich so nach dir gesehnt."
"Was soll ich denn sagen?"
"Gar nichts, sei einfach da", murmle ich.
Sanft hebt er seine Hand an meine Wange und ich schaue zu ihm auf.
"Wie wäre es mit einem Willkommenskuss?"
Das lasse ich mir natürlich nicht zwei mal sagen.
Ganz langsam strecke ich mich zu ihm hoch und dann, endlich, landen meine Lippen auf seinen. Der Kuss ist so voller Sehnsucht, dass ich kaum atmen kann.
Kohaku taumelt ein Stück rückwärts und landet mit dem Rücken auf der Couch, ich halte mich an ihm fest und liege auf seiner Brust.
Seine Hände wandern ununterbrochen über meinen Körper, schieben sich unter mein Shirt und von dort wieder zu meinem Gesicht.
Atemlos liegen wir einige Minuten später eng umschlungen einfach nur da.
"Überraschung gelungen?", fragt er dann. Ich nicke und genieße einfach nur seine Nähe.
Irgendwann richten wir uns auf und ich greife nach meiner Kaffeetasse, doch Kohaku nimmt sie mir aus der Hand und trinkt einen großen Schluck.
"Soll ich dir auch einen machen?"
"Nein, ich trinke lieber deinen."
Empört sehe ich ihn an.
"Hab ich dir schon gesagt, dass ich dich mit deiner neuen Haarfarbe verdammt scharf finde?", fragt er und nimmt eine Strähne zwischen seine Finger.
"Hab ich dir schon gesagt, dass mir der Kratzer in deinem Gesicht nicht gefällt?"
"Hab ich dir schon gesagt, dass ich verdammt großen Hunger hab?"
"Soll ich dir was zum Essen machen?"
"Da sage ich doch nicht nein", sagt er lachend.
"Sag mal..", fängt er wieder an.
"Was denn noch?", frage ich gespielt genervt.
"Hast du etwa zugenommen?"
"Ist die Frage positiv oder negativ?"
"Positiv natürlich. Du siehst noch besser aus, als ich dich in Erinnerung hatte", sagt er und küsst meinen Hals.
Ein wohliger Schauer läuft über meinen Rücken und zurück bleibt eine segende Hitze.
"Was willst du essen?", flüstere ich.
"Das hat doch noch etwas Zeit. Lass uns erst ein wenig Spaß haben", murmelt er und wandert mit seinen Lippen mein Schlüsselbein entlang bis zu meiner Schulter und schiebt den Träger von meinem Top nach unten.
"Hey, lass das.."
"Warum? Weil es dir gefällt?"
Ich stöhne leise auf und gebe mich ihm hin.
"Kohaku?"
Er unterbricht seine Küsse und schaut mir in die Augen.
"Schön, dass du wieder da bist."
Lächelnd streicht er über meinen Kopf.
"Ich liebe dich. Mehr als alles andere auf der Welt."

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