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Kohaku

Die nächsten Tage vergehen ziemlich ruhig, doch das elendige Gefühl und die Kopfschmerzen verlassen mich trotzdem nicht. Ich weiß nicht, wie viele Schmerztabletten ich mittlerweile schon geschluckt habe, aber wirklich wirken, tun sie nicht.
Der einzige Lichtblick ist Spinell, die sich wirklich herzerwärmend um mich kümmert.
Jeden Morgen bringt sie mir Frühstück ans Bett, liest mir jeden Wunsch von den Lippen ab, bringt mich ständig zum Lachen und ist einfach rund um die Uhr für mich da.
Eigentlich sagt sie mir immer wieder, ich soll im Bett bleiben, aber ich kann nicht den ganzen Tag nur rumliegen.
Abends machen wir immer einen kurzen Spaziergang und ab und zu kann ich Spinell sogar dazu überreden, in der Poolanlage etwas baden zu gehen.
"Was machst du da?", fragt sie neugierig und schaut mich mit großen Augen an.
"Ich fotografiere dich nur."
Ich habe mir vorgenommen, jedem Tag mindestens ein Foto von uns beiden oder nur von ihr zu machen.
Empört kommt Spinell auf mich zu und will mir mein Handy abnehmen.
Lachend halte ich es hoch, damit sie nicht ran kommt.
"Ich hab dir doch gesagt, dass du aufhören sollst, ständig solche peinlichen Fotos von mir zu machen!", schnauzt sie mich an.
"Ich will dich aber immer bei mir haben."
"Hast du doch?"
Schuldhaft sehe ich weg. Vor zwei Tagen habe ich die Nachricht erhalten, dass ich bei der Armee gebraucht werde.
Neben meiner Arbeit unter Jason, bin ich gemeinsam mit Aria und Berthier ein Soldat. Und nun soll unsere Truppe zur Unterstützung ins Ausland versetzt werden.
In drei Tagen.
Und ich weiß nicht, wie ich Das Spinell sagen soll. Sie wird auf jeden Fall mitkommen wollen, aber das ist praktisch unmöglich. Andererseits will ich sie auch nicht zurücklassen.
Um sie wenigstens jeden Tag ansehen zu können, mache ich so viele Fotos wie möglich.
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen, als ich mir ausmale, wie sie reagieren wird. Bestimmt wird sie weinen..
Mit rasendem Puls setze ich mich im Schneidersitz auf das Bett.
"Spinell, kommst du kurz zu mir?"
Etwas verwirrt setzt sie sich auf die Bettkante. Ich greife nach ihren Händen und schaue ihr tief in die Augen.
"Ich muss morgen abreisen", sage ich leise.
"Was? Nein, musst du nicht."
Lachend will sie wieder aufstehen, doch ich halte sie fest und ziehe sie zurück.
"Ich meine es ernst. Ich muss morgen abreisen. Und du musst hier bleiben. Hast du verstanden?"
"Du musst definitiv schlafen. Du redest wirres Zeug", meint sie etwas skeptisch.
Will sie es nicht verstehen?
Ich schaue sie ernst an.
"Sehe ich so aus, als würde ich wirres Zeug reden?"
"Warum musst du abreisen? Warum kann ich nicht mitkommen? Was verheimlichst du?"
Ruckartig zieht sie ihre Hände weg und steht auf.
"Ich bin Soldat. Meine Truppe wird versetzt, ich muss in die Schlacht ziehen. Wahrscheinlich nicht lang, ich schätze für zwei, drei Wochen."
Erschrocken weiten sich ihre Augen.
"Und warum hast du mir Das nun wieder nicht erzählt?", fragt sie vorwurfsvoll.
Beschämt sehe ich auf meine Finger.
"Du sollst dir keine Sorgen um mich machen. Das ist der Grund."
"Ich soll mir keine Sorgen machen? Wie hast du dir das vorgestellt? Du verschwindest einfach für ein paar Wochen und wir tun so, als ob nichts wäre?"
Ihre Augen fangen an, zu glänzen.
"Warum verheimlichst du mir so viel über dich? Du weißt so gut wie alles über mich, während ich gefühlt gar nichts über dich weiß!"
"Hör zu, es tut mir leid", versuche ich sie etwas zu besänftigen. Ich stehe auf und gehe auf sie zu, doch sie weicht augenblicklich zurück.
"Warum kann ich nicht mitkommen?"
"Es geht nicht. Ich kann dich nicht in Gefahr bringen."
"Ich bin alt genug, um selbst zu wissen, was ich will und was nicht."
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und mit jeder Sekunde fühle ich mich noch schlechter.
"Was soll ich denn in der Zeit tun? Hier sitzen und Däumchen drehen? Die Zeit tot schlagen? Die ganze Zeit um dein verdammtes Leben bangen?", schreit sie hysterisch.
Ich gehe wieder auf sie zu und greife nach ihrem Handgelenk, doch sie zieht sich noch weiter zurück.
"Fass mich nicht an!", faucht sie.
Ich hätte nicht gedacht, dass sie so extrem reagiert.
"Und wenn du nicht zurück kommst?! Was soll ich dann tun? Was hat mein Leben dann noch für einen Sinn?!"
Tränen rinnen ihr über die Wangen.
"Mir wird nichts passieren, bitte, hör auf so etwas zu denken und beruhige dich erst mal", versuche ich sie zu beschwichtigen.
Aber sie reagiert nicht drauf, sondern dreht sich um und rennt die Treppe nach unten. Ich laufe ihr nach, aber auf der Treppe wird mir total schwindelig und ich muss anhalten.
"Spinell, warte bitte", rufe ich ihr nach.
"Lass mich in Ruhe!" Mit diesen Worten verlässt sie das Haus und knallt die Tür hinter sich zu.
Toll, jetzt ist sie vor mir weggelaufen und ich weiß nicht mal, wohin. Langsam gehe ich die restlichen Stufen nach unten und setze mich auf das Sofa. Irgendwann muss sie ja wieder kommen, deswegen beschließe ich, hier zu warten.
Ich wollte sie nicht verletzen. Aber ich kann mich einigen Pflichten nicht entziehen, so sehr es auch weh tut.
Ich stütze meinen Kopf in meine Hände und versuche, mir keine Sorgen um Spinell zu machen.
Am liebsten würde ich ihr nachgehen und sie suchen. Aber sie hat keinen Schlüssel und ich will nicht, dass sie vor der Tür sitzen muss. Außerdem weiß ich nicht mal, wo ich anfangen sollte, zu suchen. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus, stehe auf und laufe im Zimmer auf und ab.
Ich rufe Berthier an, frage, ob man mich nicht durch irgendjemanden ersetzen kann, aber es ist nicht möglich.
Die Zeit vergeht und mit jeder verstrichenen Minute mache ich mir mehr Sorgen.

Gegen ein Uhr nachts klopft es leise an der Tür. Als ich sie aufmache und Spinell erblicke, fällt mir ein riesen Stein vom Herzen.
Ich ziehe sie in meine Arme und bemerke den Geruch von Alkohol und Zigaretten an ihr. Erst jetzt schaue ich sie wirklich an. Ihr Gesicht ist verquollen, ihre Augen müde und ungewöhnlich rot und sie hält eine fast leere Whiskeyflasche in der Hand. Ein einziges Wrack.
Da ich nicht weiß, wie sie gerade drauf ist, ziehe ich sie sanft ins Haus hinein und schließe die Tür.
"Wo warst du?"
Teilnahmslos steht sie vor mir und scheint müder als je zuvor. Sie versucht, sich an mir vorbei zu schieben, aber ich halte sie fest, fasse sie am Kinn und richte ihr Gesicht zu mir nach oben.
Ihr Atem riecht intensiv nach Alkohol und Zigarettenrauch, ihre Pupillen sind ungewöhnlich groß.
"Was hast du genommen?", frage ich.
Langsam hebt sie ihre Hände und reibt sich die Augen.
"Das geht dich gar nichts an. Und jetzt lass mich allein", flüstert sie flehend und drückt mich ein Stück von sich weg.
"Doch, natürlich geht es mich etwas an!"
"Ach ja? Und wenn ich nicht will, dass du dir Sorgen machst?", sagt sie gereizt.
Sie hat Recht.
Ich hätte ihr von Anfang an, alles erzählen müssen. Diese Ungewissheit ist schlimmer, als alles Andere.
"Es tut mir leid." Und das tut es auch.
"Spar dir das", murmelt sie bedrohlich.
"Spinell, bitte, ich mache mir nur noch mehr Sorgen, wenn du mir nichts sagst."
"Ach, wirklich? Denkst du, dass es umgekehrt anders ist?"
Sie hat so verdammt Recht.. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass sich jemand um mein Wohlbefinden sorgt.
"Ich will doch nur, dass du mir vertraust", flüstert sie und wischt sich mit dem Handrücken Tränen aus dem Gesicht.
Jetzt kann ich nicht mehr anders. Ich packe sie am Arm und ziehe sie in eine lange Umarmung.
"Ich habe mit ein paar Frauen am Strand was geraucht", murmelt sie an meiner Brust.
Am liebsten würde ich sie ohrfeigen, kann mich aber beherrschen.
Ich bin nicht wie mein Vater.
Ich bin nicht wie mein Vater.
Ich bin kein Schläger. Erst Recht kein Frauenschläger.
"Es tut mir leid. Wirklich. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen soll."
"Ich will nicht, dass du gehst."
Endlich ist das Eis gebrochen und sie schlingt ihre Arme um mich.
"Ich muss. Und je weniger du mich vermisst, desto schneller vergeht die Zeit."
"Aber ich vermisse dich jetzt schon, dabei bist du noch nicht mal weg!"
Vorsichtig hebe ich sie hoch und trage sie die Treppe nach oben. Auf dem Bett setze ich sie ab und fange an, meine Sachen zu packen. Mein Flug geht in wenigen Stunden.
Spinell beobachtet mich die ganze Zeit etwas abwesend.
Dann finde ich in meinem Schrank das Handy, dass eigentlich ihr gehört.
Fragend halte ich es ihr hin und sie nimmt es mir sofort ab. Dann richtet sie es auf mich und macht ein Foto.
Verübeln kann ich es ihr nicht.
Ich räume meine Sachen weiter um und will gerade einen Pullover einpacken, da unterbricht Spinell mich.
"Kann ich den behalten?", fragt sie und zeigt auf den Pullover. Ich reiche ihn ihr, sie hält ihn sich ins Gesicht und atmet tief ein.
"Noch bin ich hier", merke ich schmunzelnd an.
"Du bist aber so weit weg.."
Sie lässt sich auf das Bett fallen und umarmt meinen Pullover. Und irgendwie verspüre ich ein klein wenig Eifersucht auf das Stück Stoff.
Nachdem ich mit Packen fertig bin, lege ich mich noch etwas zu Spinell, die mittlerweile schon schläft.
Irgendwann stehe ich auf, nehme ihr Handy und mache ein letztes Foto von uns beiden. Dann gehe ich nach unten und hinterlasse ihr einen Brief, den Schlüssel und Geld.
Schließlich verlasse ich schweren Herzens den Bungalow und mache mich auf den Weg zum Flughafen.

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