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Spinell

Es ist ziemlich kalt und das obwohl es August ist. Ich streife nun schon seit einiger Zeit durch die Straßen einer Stadt die ich nicht kenne, auf der Suche nach einem Menschen, den ich nicht kenne, der jedoch meine Eltern auf dem Gewissen hat.
Ich werde sein Gesicht nie vergessen, diese schiefe Nase, der kantige Kiefer, die Rattenaugen... Doch am tiefsten hat sich die dicke Narbe, die quer durch sein Gesicht verläuft, in mein Gedächtnis gebrannt.
Ich muss ihn einfach finden und zur Strecke bringen. Er hat es nicht verdient zu leben. Meine Eltern waren zwar politisch gesehen sehr stark und angesehen, doch sie hatten nie Böses vor.
Und dennoch mussten sie sterben. Doch warum weiß ich bis heute nicht.
Ich komme an einer kleinen Gasse an und schaue mich um. Mittlerweile bin ich eine der meistgesuchten Mörder und auf mich ist ein hohes Kopfgeld ausgesetzt. Der Grund dafür ist ganz einfach. Wenn die "Herrscher" dieser Welt der Meinung sind, sie könnten über alles Leben und Tod entscheiden, dann haben sie sich gewaltig geschnitten. Manchmal tut es mir für die Angehörigen der Opfer leid, dass ich ihnen einen Teil der Familie genommen habe. Doch mit den Opfern habe ich nicht das geringste Mitleid.
Unter die Opfer fallen Mitglieder von Heathens oder Männer, die jungen Mädchen und Frauen schlimme Dinge antun. Im Grunde genommen tue ich also nichts falsches. Doch Heathens ist der Ansicht, dass sie die Einzigen sind, die über irgendetwas zu entscheiden haben, deswegen reagieren sie umso mehr, wenn man ihnen ins Handwerk pfuscht.
Die Einwohner der Stadt sind vor Angst schon sehr auf der Hut.
Die Gasse ist dunkel und scheint erst einmal unverdächtig, doch der Schein trügt meist. Ich gehe langsam, einen Schritt nach dem anderen, in die Gasse hinein, alle meine Sinne laufen auf Hochtouren. Ich bin fast am Ende der Gasse angekommen, will mich eigentlich schon umdrehen, bleibe aber trotzdem noch einmal stehen und lausche auf alle Geräusche.
Sehen kann ich nur wenig, es ist schon sehr dunkel und solche Gassen sind nicht beleuchtet. Und ich hatte den richtigen Riecher. Ich spüre eine Präsenz, ganz in der Nähe und kurz nachdem ich sie bemerkt habe, höre ich auch schon leise Schritte. Ein normales Gehör hätte diese Schritte nie wahrgenommen, doch mein Gehör wurde besonders auf solche Situationen geschult.
Die Schritte kommen zaghaft näher, doch wer oder was es auch sein mag, weiß, dass ich hier bin, ansonsten würde kein normaler Mensch so herumschleichen und einen solchen Abstand wahren. Dennoch kommt er oder sie immer ein klein wenig näher heran. Ich bin nur noch ungefähr 30 Meter entfernt, die Person versteckt sich hinter einer Hauswand, doch ich kann bereits ausmachen, dass es sich um einen Mann handelt.
Ich beschließe, einfach hier stehen zu bleiben und zu warten. Der Mann hat wieder angefangen sich zu nähern, es sind nur noch wenige Meter, die uns voneinander trennen. Er scheint zu denken ich würde ihn nicht bemerken, doch da täuscht er sich. Ich bemerke, dass er leise etwas aus einer Halterung an der Hose zieht und kann mir schon denken, was es ist. Nun hat er sich anscheinend dazu entschlossen, mich zu töten.
"Na los, schieß schon", sage ich mit lauter, selbstbewusster Stimme. Ich höre, wie er die Pistole entsichert. Er kommt noch etwas näher, tritt endlich aus dem Schatten und schaut mich mit großen Augen an. In einem Bruchteil einer Sekunde analysiere ich ihn. Er sieht irgendwie traurig aus.
"Worauf wartest du? Schieß doch endlich! Ziel auf meinen Kopf, mach es kurz und schmerzlos!"
Er ist sichtlich verwirrt. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich wäre erleichtert wenn das alles ein Ende hätte, doch Selbstmord ist für mich keine Option. Lieber sterbe ich durch die Hand dieses unbekannten Mannes.
Er schaut mich mit seinen eisblauen Augen durchdringlich an und ich habe das Gefühl er kann auf den tiefsten Grund meiner Seele schauen. Er wirkt nicht mehr so verwirrt wie vor einem kurzen Augenblick.
"Du bist Spinell, die gesuchte Schwerverbrecherin, nicht wahr?", ertönt seine tiefe raue Stimme.
"Ja, die bin ich", antworte ich und lasse einen kurzen Blick über ihn schweifen, "und du bist deiner Uniform zu urteilen nach Mitglied der Heathens, habe ich recht? Und ich denke ihr beobachtet mich schon seit einiger Zeit. Nun hast du wohl den Auftrag bekommen, mich unschädlich zu machen, nicht wahr?" In Schlüsse ziehen bin ich sehr gut. Ich kann viele Reaktionen vorhersehen. Er wirkt verdattert.
"Ehm, Lehrling der Oberoffiziere der Heathens, Kohaku, wenn ich mich kurz vorstellen darf. Und ja, ich habe den Auftrag, dich zu erledigen. Doch jetzt wo du es so hart sagst, habe ich ein schlechtes Gefühl."
Warum hat er ein schlechtes Gefühl? Es ist doch nichts dabei, er zielt auf meinen Kopf, schießt und es ist vorbei. Er wird anerkannt und ich bin frei.
Irgendwie habe ich aber das Verlangen, ihm meine Geschichte zu erzählen, damit er weiß, was seine ach so tolle Organisation so tut.
"Weißt du, bevor du mich abknallst, lass mich dir was erzählen. Weißt du warum ich zu dem geworden bin, was ich bin? Sicher nicht. Es fing alles vor sechs Jahren an, als deine tollen Chefs meine Eltern grundlos abschlachteten. Ihre Begründung war, dass sie gefährliche Gegner werden könnten, dabei hatten sie nicht mal Interesse daran, irgendwem gefährlich zu werden. Trotzdem mussten sie sterben. Ich wurde einfach so bei den Leichen gelassen und es war deinen Leuten scheißegal. Durch die Hilfe eines Fremden konnte ich überleben. Ich fing eine Ausbildung zur Assassine an, machte diverse Weiterbildungen und bin auch zufrieden mit dem. Nun versuche ich seit einem Jahr den Mörder meiner Eltern zu finden und zur Strecke zu bringen, doch bisher habe ich keine Spur. Du hast nun zwei Möglichkeiten: Entweder du bringst mich hier auf der Stelle um oder ich bringe dich um. Du hast jetzt die Wahl", beende ich meinen Satz.
Plötzlich vernehme ich ein Geräusch, das gar nicht gut klingt. Es sind viele Schritte, dazu das Schnüffeln eines Spürhundes.
Scheiße denke ich.
"Schieß. Bitte! Töte mich, bitte, du kannst mir das nicht antun, du weißt genau was man jetzt mit mir anstellen wird! Schieß mich ab, bit-", ich kann meinen Satz nicht beenden, da ich einen Schuss höre und einen winzigen Moment später einen stechenden Schmerz in der Schulter verspüre. Der Schuss kam aber nicht von Kohaku und es war auch nicht der Endgültige. Ich höre gefühlt tausend Schritte, jemand beugt sich neben mich und ich kann gerade so noch sein Gesicht ausmachen.
Er ist es.
Der Mann der meine Eltern tötete.
Er lächelt mich an und ich fühle, wie mir etwas hartes gegen die Schläfe geschlagen wird, sacke in mich zusammen und verspüre nur noch den dumpfen Aufprall auf dem Boden. Danach wird mir schwarz vor Augen und ich verliere mein Bewusstsein.

Ich schlage die Augen auf. Auf den ersten Blick sieht alles normal aus, doch bei genauem Hinsehen bemerke ich, dass ich mich in einem Keller befinde. Ich bin an einen Stuhl gefesselt, meine Arme und Beine kann ich nicht bewegen, geschweige denn fühlen. Mein Schädel brummt, mein Mund ist trocken, ich bin geknebelt und bekomme kaum Luft. Das, was ich einatme stinkt nach Verwesung. Ich weiß nicht wie lange ich hier bewusstlos saß.
Ich versuche meinen Kopf zu bewegen, doch es schmerzt zu sehr. Einige Minuten vergehen, dann höre ich Schritte, die anscheinend eine Treppe hinunter kommen. Als ich aufblicke steht ER vor mir und  grinst mich dreckig an.
"Na meine Süße, hast du mich vermisst? Kannst du dich noch an meinen Namen erinnern?", fragt er mich. Ich kann meinen Kopf nicht bewegen und sprechen genau so wenig. Er grinst noch dreckiger.
"Ich kann dich nicht hören, antworte gefälligst!", brüllt er mich an und schlägt mir brutal ins Gesicht. Schmerz durchzuckt mich. Der Knebel löst sich und ich kann endlich einmal tief Luft holen. Dann versuche ich ihm zu antworten, doch meine Stimme bringt kaum etwas zustande.
"D-Du hast dich mir nie.....vorgestellt", quäle ich aus mir heraus.
"Das ist aber schade, dann werde ich das jetzt wohl nachholen müssen. Ich bin Jason Montgomery, Boss der Heathens und Mörder deiner Eltern. Dachtest du ich habe dich vergessen? Falsch gedacht, ich habe dich ganz bewusst laufen lassen, jedoch nur um dich wieder einzufangen wenn aus dir eine brauchbare Frau geworden ist, denn ich als Boss kann mich doch nicht an Minderjährigen vergreifen. Du kommst ganz nach deiner Mutter, schlank wie eh und je, große Brüste, schöner Po, einfach bildhübsch.", säuselt das Schwein und fängt an meine Handfesseln zu lösen. Jede einzelne seiner Bewegungen, jedes Wort das er spricht widert mich an.
Als er alle Fesseln gelöst hat, befiehlt er mir aufzustehen. Ausnahmsweise tue ich was er sagt, ich kann nicht noch einmal so einen Schlag ohne Weiteres einstecken. Nun begutachtet das elende Schwein mich, als wäre ich ein Stück Fleisch.
"Komm her", sagt er und grinst wieder dieses dreckige Grinsen, das zeigt, dass er weiß, dass er die Macht hat. Ich weigere mich zuerst, doch als er schon einen Schritt näher kommt und ausholen will, tue ich was er sagt.
Du ziehst das jetzt durch. Was soll passieren? Du hast nur ein Ziel. Du musst diesen Dreckskerl einfach umbringen.

Sie gehört zu mir Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt