>40<

10 1 0
                                    

Spinell

Rubis geht einige Schritte zurück und sieht herablassend auf mich nieder.
"Warum will er mich nicht? Warum nimmt er sich jemanden wie dich? Was hast du, das ich nicht habe?" Für einen Moment wirkt sie recht traurig, dann schwenkt sie aber wieder die große Spritze umher und lächelt mich bösartig an.
Immerhin sind wir einige Schritte von Kohaku entfernt, sodass er fürs erste in Sicherheit ist. So gut es eben geht.
"Was hältst du davon, wenn ich deinen schönen Körper etwas ruiniere?", sagt sie und kommt auf mich zu. In der einen Hand hält sie ein Taschenmesser, in der anderen noch immer die Spritze.
"Wie wäre es, wenn ich mit deinem Gesicht anfange? Ich könnte dir deine hübschen Äuglein ausstechen. Oder deine Mundwinkel weiter nach oben versetzen. Wie findest du das?"
Ich zucke etwas zusammen, als sie sich zu mir nach unten hockt und mich am Kinn packt. Meine Augen suchen sofort nach der Spritze. Sie liegt genau zwischen uns beiden auf dem Boden und rollt in Zeitlupe zur Seite weg.
Noch ist es zu riskant, sie zu attackieren, aber in wenigen Sekunden werde ich den Versuch wagen.
"Steht Kohaku auf blondes Haar? Sollte ich es dir abschneiden?"
Diese Frau ist wirklich bemitleidenswert. Sie eifert krampfhaft nach dem, was sie nicht hat.
Unbemerkt werfe ich einen Blick zwischen uns und stelle ein wenig erleichtert fest, dass die Spritze außer Reichweite von Rubis ist.
"Darf ich dich etwas fragen?" Ich muss unbedingt ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehen, damit sie das rollende Gift nicht beachtet.
"Nur zu", sagt sie mit einem Kopfnicken.
So schnell wie möglich hole ich mit meiner rechten Faust aus und treffe Rubis am Kiefer. Sie hält sich die betroffene Stelle und gerät aus dem Gleichgewicht.
"Wie fühlt sich das an?!" Ich schubse sie zur Seite und sie landet im Dreck, bewegt sich aber nicht. Schnell stehe ich auf, eile zu Kohaku und versuche, seine Fesseln zu lösen. Seine Augenlider flattern und er erlangt langsam sein Bewusstsein wieder.
Allerdings funktioniert das mit den Fesseln nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe und plötzlich trifft mich etwas Hartes von links heftig an der Stirn, mir wird kurzzeitig schwarz vor Augen und ich taumle einige Schritte zurück.
Ich fasse an meine Stirn, doch die Berührung brennt höllisch und ich spüre, wie mir warmes Blut das Gesicht entlang läuft und schließlich zu Boden tropft. Ich beiße die Zähne zusammen und drehe mich nach Rubis um, entdecke sie ein paar Schritte entfernt mit einer Holzlatte in der Hand stehen. Bösartig funkelt sie mich an und faucht: "Fass ihn nicht an!"
Etwas benommen drücke ich meine Hand fest auf die Platzwunde und mache mich für einen weiteren Angriff bereit. Rubis' Augen blitzen kampflustig auf und sie holt erneut mit dem Holzstück aus, um nach mir zu schlagen.
"Er gehört mir! Lass deine verfickten Pfoten von ihm!", brüllt sie mir ins Gesicht und schlägt wieder und wieder mit dem Holz nach mir. Den meisten Schlägen kann ich ausweichen, bis ich den letzten Schlag gegen meinen Arm prallen lasse, kurz vor Schmerz zusammen zucke und ihr dann das Stück Holz aus der Hand schlage. Wütend schreit sie auf und stürzt sich dann mit voller Kraft auf mich. Ich verliere mein Gleichgewicht und gehe zu Boden, Rubis hinterher. Sie sitzt auf meinem Becken und prügelt mit ihren Fäusten auf mich ein. Ich schlucke den Schmerz herunter, packe sie am Hals und werfe sie mit einem Ruck von mir, schwinge mich auf sie und drücke ihr die Luftröhre zu. Verzweifelt versucht sie nach Luft zu schnappen, strampelt wie verrückt und zieht an meinen Armen, aber ich lasse nicht locker.
Plötzlich laufen ihr einige Tränen über das Gesicht und mein menschliches Herz schaltet sich ein. Ich empfinde Mitleid für diese bedauernswerte Frau. Ich nehme etwas Druck von ihrer Kehle, damit sie sprechen kann.
"Geh..", krächzt Rubis und schaut mich flehend an. In dem Moment bereue ich es zutiefst, dass ich durch Kohaku so verweichlicht bin.
"Mach ihn los und..", ein Hustenanfall überkommt sie, "Und dann verschwindet von hier."
Obwohl ich mich selbst dafür hasse, lasse ich sie los und renne wieder zu Kohaku. Er sieht mich aus leicht geöffneten Augen an und sagt mit kratziger Stimme. "Du blutest ja.." Tränen steigen mir in die Augen und als ich mich an seiner Armfessel zu schaffen mache, weiten sich seine Augen vor Schreck.
Und erneut trifft mich etwas hartes am Kopf, allerdings am Hinterkopf, und schaltet mich für einen Moment aus. Ich reiße mich zusammen und zwinge mich, bei Bewusstsein zu bleiben. Rasende Wut durchfährt mich und verleiht mir neue Kraft. Ich öffne schlagartig meine Augen und sehe wieder Rubis' dreckiges Lächeln vor mir.
"Leichtsinniges Miststück!", spuckt sie mir entgegen. Ich sprinte auf sie zu und will sie gerade schlagen, als sie mit einem Brecheisen ausholt und es mir in den Bauch haut. Ächzend lande ich auf dem Boden und krümme mich vor Schmerz, unfähig, wieder aufzustehen.
Rubis hebt die Spritze vom Boden auf unf geht damit auf Kohaku zu.
"WENN ICH IHN NICHT HABEN KANN, SOLL IHN KEINE HABEN!!!" Und mit diesen Worten versenkt sie die Nadel in Kohakus Oberschenkel. Dieser stöhnt auf und seine Augen verdrehen sich vor Schmerz. Langsam drückt Rubis das Gift in seinen Körper.
Ein Feuer entflammt in mir und weckt nie da gewesene Kräfte. Ich springe auf, getrieben von Wut und Hass und stürze mich auf Rubis. Ich packe sie am Haarschopf und reiße sie weg von ihm, zerre sie zur gegenüberliegenden Wand und ramme ihren Kopf dagegen. Wieder. Und wieder. Und wieder.
Sie kreischt und krallt sich in meine Hüfte, reißt mein T-Shirt kaputt , doch der Zorn beherrscht meinen Körper.
"Hör auf! Hör auf!", fleht sie wieder und wieder.
"HALT'S MAUL!", schreie ich sie an und ramme sie erneut gegen die Wand. Blut befleckt mich von oben bis unten, doch sie stirbt einfach nicht.
Ich werfe Rubis vor mir auf den Boden und ziehe das Springmesser aus meiner Hosentasche. Dann setze ich mich auf sie und halte mit meiner freien Hand ihr entstelltes Gesicht fest.
"Bitte..", jammert sie, aber ich empfinde kein Mitleid mehr.
"Wie wäre es, wenn ich dir deine hässlichen Äuglein aussteche?", murmle ich und ramme ihr ohne mit der Wimper zu zucken das Messer ins rechte Auge. Eine Flüssigkeit spritzt heraus und Rubis entfährt ein ohrenbetäubender Schrei.
"Tut es etwa weh? Warte, wenn ich dir das zweite auch noch nehme, verteilt sich der Schmerz vielleicht!" Und dann steche ich ihr auch ins linke Auge. Das Adrenalin stömt unaufhörlich durch mich und lässt meinen Hass auf sie noch weiter wachsen. Wieder drücke ich ihr die Kehle zu, wieder zappelt sie unter mir.
"Warum stirbst du nicht?!", frage ich und ramme ihr das Messer in die Brust, "Nimm ihn mir nicht weg! Er ist das Einzige, was mir in dieser verdammten Welt bleibt!"
Unter Tränen steche ich immer weiter auf sie ein, ihr Blut durchtränkt meine Hose und sie regt sich nicht mehr.
Ein letztes Mal versenke ich mein Messer in ihr und stehe dann auf.
"Zieh das raus!", höre ich Kohaku flehen. Mein Herz zieht sich zusammen und ich eile zu ihm rüber. Hastig ziehe ich ihm die Nadel aus dem Bein und schneide mit dem Messer die Fesseln auf. Kohakus Körper bebt und er kann kaum aufstehen.
"Ich schaff es nicht", flüstert er. Seine Blässe jagt mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.
"Wir müssen hier raus! Du brauchst Hilfe!", sage ich verzweifelt und lege mir seinen rechten Arm um die Schulter.
"Bei drei zieh ich dich hoch, okay? Ein, zwei,... Drei!" Mit Schwung ziehe ich ihn nach oben, doch da merke ich, dass seine Hose an der Stelle wo die Spritze steckte, rot glänzt. Und da fällt mir wieder seine Krankheit ein.
"Du muss kurz so stehen bleiben", sage ich und ducke mich vorsichtig unter seinem Arm weg. Mit zittrigen Händen schneide ich ein Stück meines Shirts ab und binde es so fest es geht um die Einstichstelle. Ich hoffe, dass die Blutung dadurch erst einmal gestoppt werden kann.
Dann gehe ich wieder an seiner Seite und stütze ihn.
Kohaku schaukelt vor und zurück und hat schon seine Augen geschlossen.
"Nicht schlafen! Du musst bei mir bleiben, bitte!" Laut hallt meine verängstigte Stimme durch den Raum.
Vorsichtig mache ich den ersten Schritt nach vorne und schaffe es so, ihn zumindest bis zum Haupteingang zu schleppen. Doch ab hier wird der Boden uneben und holprig.
Immer wieder muss ich ihn laut ansprechen, damit er seine Augen offen hält und er legt immer mehr Gewicht auf mich ab. Irgendwann habe ich das Gefühl, ich würde gleich unter ihm zusammen brechen und sage: "Ich kann dich nicht halten! Du musst weiter mitmachen, bitte!"
Seine Hände sind eiskalt und trotzdem ist er schweißgebadet.
"Wir haben es gleich geschafft! Nur noch ein Stück! Mach jetzt nicht schlapp", rufe ich unter Tränen.
Endlich kommen wir beim Auto an und mit viel Mühe schaffe ich Kohaku auf den Beifahrersitz und schnalle ihn an. Sein Kopf fällt nach vorne und er wirkt, als wäre er geistig schon im Jenseits.
Angsterfüllt setze ich mich hinters Steuer und fahre los. Während des Fahrens suche ich das nächstgelegene Krankenhaus auf meinem Handy und lasse mich dorthin navigieren.
Trotz der übermäßigen Geschwindigkeit, brauchen wir mindestens zehn Minuten.
"Hey, Kohaku", meine Stimme bricht unter den ganzen Tränen, "weißt du noch, als ich dich das erste mal geküsst habe? Es war eigentlich nicht geplant, aber da stand eigentlich schon fest, dass ich dir verfallen bin." Ich sehe, wie seine Mundwinkel sich ganz leicht nach oben bewegen, also rede ich weiter.
"Ich wusste in dem Moment, dass du das Beste bist, was mir passieren konnte. Du warst da, als ich am Boden war und hast mich aufgebaut. Ich liebe dich, also bitte, bleib bei mir."
Vorsichtig lege ich meine Hand auf seine und halte sie fest.
Während der ganzen Fahrt versuche ich ihn wach zu halten, indem ich möglichst viel erzähle. Und kurz bevor wir am Krankenhaus ankommen, rollt eine Träne über seine Wange.
Mit quitschenden Bremsen komme ich zum Stehen und renne in die Rettungsstelle. Dort werde ich zuerst gefragt, was mir passiert ist, aber ich erzähle aufgebracht von Kohaku und sofort stürmen lauter Rettungssanitäter nach draußen.
Mein Bewusstsein ist etwas benebelt, aber ich renne den Leuten sofort hinterher. Sie verfrachten Kohaku auf eine Trage und er wird an ein Gerät angeschlossen.
"Wir haben keinen Puls!", ruft ein Mann.
"Sofort Reanimation!"
Und in dem Moment bricht meine kleine Welt mal wieder zusammen.
Kohaku wird in das Haus geschoben und ich renne den Leuten weiterhin hinterher, will zu Kohaku und an seiner Seite sein.
Doch plötzlich halten mich von allen Seiten Menschen fest und ich versuche mich los zu reißen.
"LASSEN SIE MICH DURCH, DAS IST MEIN FREUND!", rufe ich aus voller Kraft und zapple weiter. Kohaku entfernt sich immer weiter und verschwindet schließlich ganz aus meinem Blickfeld.
Ich spüre, wie mir eine Nadel in den Hals gedrückt wird und ab da ist meine Wahrnehmung erst benebelt und schließlich bin ich komplett weg.

Sie gehört zu mir Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt