In Tokyo schien zur Abwechslung mal die Sonne. Seine Einwohner trauten sich auf die Straßen hinaus, um Freunde zu treffen, zu shoppen und Vitamin D zu sammeln. Es war ein angenehmer Tag, an dem sich sogar Minerva vor die Tür traute. Die Schwarzhaarige mied sonst Menschenmengen, besser gesagt mied sie die Öffentlichkeit, soweit es ihr möglich war. Heute jedoch war sie mit einem guten Freund in einem Café verabredet, um ein Gespräch mit ihm zu führen, von dem sie noch nicht wusste, worüber es handeln würde. Aiber hatte sie nur mit dem Hinweis, über eine Person sprechen zu müssen, hergelotst. Eher widerwillig ging Minerva dieser Bitte nach, wenn auch etwas zu spät. Zur vereinbarten Zeit hatte sie erst das Haus verlassen, welches am Rande Tokyos stand. Nun war sie jedoch auf dem Weg zum Café und las dabei ein Buch. Die junge Frau sah gar nicht, wohin sie ging, da sie so auf die Zeilen des Romans konzentriert war, doch sie stolperte kein einziges Mal. Trotz der vielen Menschen rempelte sie niemanden an und schlängelte sich geschickt durch die Menge. Stumm beschwerte sie sich über die Sonne, die sie trotz der Sonnenbrille blendete und auf ihrer blassen Haut brannte.
"Hey! Hey, Prinzessin!", hielt sie eine vertraute Stimme an.
Minerva drehte sich, ohne den Blick von den gedruckten Worten zu nehmen zu der Quelle der Stimme. "Du bist reichlich spät." Die Schwarzhaarige hielt ihm ihren Zeigefinger hin und deutete ihm so, noch für einen Moment leise zu sein.
"Sie stirbt gerade", murmelte sie schmunzelnd. Aiber verdrehte seine blauen Augen und wartete geduldig. Mit einem leisen Knall schlug Minerva das Buch zu, steckte es in ihre Umhängetasche, nahm die Sonnenbrille ab und sah dem großen Mann entgegen. Das Blau ihrer Augen passte nicht zum Wetter.
"Opfern Sie nun ihre Zeit für mich?", fragte er grinsend.
"Mit Vergnügen, werter Herr."
Der Blonde betrat das Café und setzte sich an einen Platz in einer versteckten Nische. Die beiden bestellten bei der jungen Kellnerin, die dem Mann schöne Augen zu machen schien. Minerva musterte die Blonde, die beim Abgang mit dem Hintern wackelte. Sie erinnerte sie an Misa. Aiber blickte ihr verstohlen hinterher, was der Schwarzhaarigen nicht verborgen blieb.
"Also", begann der Mann, doch hielt inne, als seine Freundin ihm entgegengrinste, "was?"
"Reiß sie doch auf, Großer", schlug Minerva vor.
Aiber lachte und schüttelte den Kopf.
"Lieber nicht."
"Feige?"
"Verheiratet", entgegnete Aiber und brachte Minerva schlagartig zum Erstarren.
"Du bist verheiratet?", fragte sie fassungslos.
"Und ich habe einen Sohn. Wusstest du das nicht?"
Die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf und schluckte.
"Das passt nicht in das Bild, das ich von dir habe", murmelte sie.
Die hübsche Kellnerin stellte ihr einen Eiskaffee vor die Nase, sodass sich ihr Gemüt schlagartig erhob.
"Er ist verheiratet, wusstest du das? Und einen Sohn hat er auch! Ist doch krass, oder?", redete sie ungeniert mit der Blonden.
Sie sah verwirrt aus, lächelte jedoch.
"Krass", wiederholte sie unsicher und verschwand schnell.
Minerva kicherte leise vor sich hin, doch verstummte, als Aiber sie mit einem Musste-das-sein-Blick ansah.
"Was denn? Lass mir den Spaß", verteidigte sie sich. "Weswegen bin ich hier?"
Sie steckte sich den Strohhalm in den Mund.
"Ich muss mit dir über jemanden sprechen."
"Das sagtest du mir bereits. Wer ist derjenige, der deine Aufmerksamkeit auf sich zieht?"
"Dein Partner", meinte Aiber langgezogen.
Das Lächeln auf den vollen Lippen der jungen Frau verblasste langsam. In ihrem Gesicht erschien ein Fragezeichen, als sie sich stumm fragte, weshalb ihr Freund über L, mit dem sie seit dem Ende des Kira-Falles zusammen am Rande Tokyos lebte, sprechen wollte.
"Warum willst du über ihn reden?"
"Nun, er ist eben nicht wie andere Männer", meinte Aiber vage.
Minerva hätte ein ironisches Lachen von sich gegeben, wenn Aiber sie nicht unbedingt hier sprechen wollte. Hier, wo L bestimmt nicht war.
"Richtig", bestätigte sie langsam nickend.
"Was weißt du über ihn? Was denkst du über ihn?"
"L ist der raffinierteste Mensch, der mir jemals begegnet ist. Du weißt, dass ich Black Flash war. Er hätte mich einsperren können, er hätte es tun sollen, aber das hat er nicht. Dank L darf ich das Leben leben, welches ich gerade genieße. Auch wenn er mich des Öfteren zur Weißglut treibt, bin ich ihm sehr dankbar", sagte Minerva vorsichtig aber überzeugt. "Wenn du das Gesagte an ihn weiterleitest, mach ich dich kalt, nur damit das klar ist."
"Glasklar", grinste Aiber, doch wurde schnell wieder ernst. "Wie sieht es mit seinen Schwächen aus?"
"Warum möchtest du das wissen?", fragte sie misstrauisch.
Der Blonde erweckte den Eindruck, L Böses zu wollen. Vielleicht verfolgte er den Plan, ihn enttarnen zu wollen, doch der Schwarzhaarigen kam nicht in den Sinn, weswegen er dies wollen würde. Aiber seufzte resigniert und ließ den Kopf kurz hängen.
"Versuchen wir es anders", begann er, doch er wurde von Minerva sofort gebremst.
"Nein", schnitt sie ihm das Wort ab, "rede gefälligst Klartext."
Ihr fordernder Ton ließ keinen anderen Weg für Aiber zu, als mit der Sprache herauszurücken.
"Also schön, aber es wird dir nicht gefallen, was ich dir sagen werde."
"Mal sehen."
"Ich befürchte, dass er unfähig ist, für einen Menschen Gefühle zu empfinden. Tiefere Gefühle."
Die beiden sahen sich tief in die Augen. Aiber suchte nach Erkenntnis in ihren kalten Augen, doch da war keine Spur von Verständnis.
"Kommt da noch etwas?", fragte sie langsam.
Ein weiteres Mal seufzte der Ältere der beiden.
"In diesem Gebiet bist du genauso unwissend wie er", murmelte er.
Minerva ballte ihre Hand zu einer Faust.
"Aiber", zischte sie bedrohlich.
"Okay, okay, hör zu. Ich bin mir beinahe sicher, dass du auf dem besten Weg bist, dich in ihn zu verlieben."
Ihre Faust löste sich augenblicklich und ihre Wut verebbte mit einem Schlag. Mit gespaltenen Lippen sah sie ihn an. Sie suchte nach einem schelmischen Grinsen, wartete auf ein 'Ich habe dich nur verarscht', doch auf beides wartete sie vergeblich. Stattdessen war sie es, die zu lachen begann, doch es klang nicht besonders belustigt.
"Das kannst du doch unmöglich ernst meinen, Aiber."
"Ich meine es ernst, Minerva." Sie biss die Zähne zusammen und hielt für einen kurzen Moment die Luft an. Sie wandte sich ab, um das Café zu verlassen.
"Du bezahlst", knurrte sie leise.
"Merkst du es nicht? Wie du von ihm sprichst, das sagt doch schon alles. Ich habe auch bemerkt, dass du ihn immer einen Moment zu lange ansiehst. Du studierst ihn, weil er für dich interessant ist."
"Das mag er sein, aber -"
"Du wohnst mit ihm zusammen, demnach verbringst du viel Zeit mit ihm. Es scheint aber trotzdem nicht genug Zeit zu sein. Mittlerweile kennst du ihn so gut wie niemand anderes, aber trotzdem willst du mehr über ihn wissen. Ja, er treibt dich des Öfteren zur Weißglut, aber du würdest dich jederzeit gern von ihm wahnsinnig machen lassen. Wie viel er dir auch gibt, es ist nicht genug. Vor allem, wenn es um seine Aufmerksamkeit geht."
Minerva erstarrte in ihrer Bewegung und sagte nichts. In ihrem Bauch drehte sich etwas um. Als ihre Brust zu schmerzen begann, erinnerte sie sich selbst daran, zu atmen. Nach einem tiefen Atemzug, der ihren Puls beruhigte, verließ sie das Café. Einen kurzen Moment blieb sie stehen und schloss ihre Augen, die von der warmen Sonne geblendet wurden. Stumm redete sie sich ein, welch einen Mist Aiber da von sich gegeben hatte.
Vereinzelte Schreie von Menschen rissen sie in das Hier und Jetzt zurück.
"Keine Bewegung! Hände hoch!", rief ein Mann mit einer brüchigen Stimme.
Minerva drehte ihren Kopf in seine Richtung, nur um zu sehen, dass der verängstigt wirkende Mann eine Waffe auf sie richtete.
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Minerva [L x OC]
Fanfiction[Dies ist der zweite Teil zu 'Black Flash'. Es ist vorteilhaft, mit dem ersten zu beginnen.] "Aiber?", fragte Minerva atemlos, sobald das Piepen aufgehört hatte. "Ist alles in Ordnung bei dir, Prinzessin?", fragte Aiber sofort. Er schien sie wirklic...