Kapitel 3

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„Aufwachen", säuselte eine Stimme in mein Ohr. Widerwillig öffnete ich die Augen und blickte in Kates Gesicht.

„Morgen. Oder eher Schönen Nachmittag. Komm, wir können gehen. Die letzte Stunde fällt aus", sagte sie fröhlich. Hinter ihr stand John und lächelte mich schüchtern an.

Ich brummte und streckte mich. Dann stand ich auf und zog meine Schuhe wieder an. Ich nahm meine Tasche und folgte den anderen aus der Schule.

„Und, habe ich etwas Spannendes verpasst?", fragte ich auf dem Weg zur Bushaltestelle.

„Nope. Das Gleiche wie letzte Woche", sagte Kate. „Obwohl. Vielleicht doch. Mrs. Bitch Nr. 1 hat sich an den Neuen ran gemacht und wurde sofort abserviert. Alle haben es gesehen. Das war herrlich." Kate summte fröhlich.

„Früher oder später hätte sie es eh versucht. Aber er hat sie ehrlich abserviert? Er flirtet doch schon den ganzen Tag mit den Äffchen."

„Ihm scheint wohl nicht entgangen zu sein, was sie mit dir gemacht hat. Und gefallen hat es ihm wohl auch nicht", Kate zwinkerte mir zu.

„Aus dem soll mal einer schlau werden...", sagte ich.

Wir musste nicht lange auf den nächsten Bus warten. Ich verabschiedete mich und ging ins Haus. Als Erstes ging ich in die Küche und aß die Reste des gestrigen Abendessens. Dann fiel mir der Apfel und das Sandwich ein, die ich vorhin nicht mehr hatte essen können. Ich schnappte mir meine Tasche und ging auf mein Zimmer. Genüsslich aß ich meinen Apfel und das Sandwich bevor ich mir Gedanken um meine Hausarbeiten machte. Wenn ich sie jetzt schnell machte, konnte ich mein Buch zu Ende lesen, was schon den ganzen Tag auf mich wartete. Seufzend machte ich mich an die Arbeit. Kurz darauf waren die letzten Kapitel auf schon verschlungen und ich total erledigt. Ich legte mich in mein Bett, um noch ein Nickerchen zu machen.

Mein Nickerchen sollte aber doch etwas länger dauern als geplant. Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ein Blick auf meinen Wecker sagte mir, dass es vier Uhr morgens war. Und an Einschlafen war jetzt nicht mehr zu denken.

Ich knipste meine Nachttischlampe an und setzte mich auf. Wie könnte ich die Stunden bis zur Schule totschlagen? Mein Buch hatte ich gestern beendet und der zweite Teil wartete sehnsüchtig in der Bibliothek auf mich, die aber erst um zehn Uhr aufmachte. Vielleicht konnte ich nach der Schule einen Abstecher dorthin unternehmen. Also müsste ich mir etwas anderes suchen. Der Fernseher wäre zu laut, Mrs. George ist gerade einmal vor drei Stunden von ihrer Schicht heim gekommen, wenn alles nach Plan gelaufen ist. Ich stand auf und setzte mich an meinen Laptop, der auf meinem Schreibtisch stand. Er war ziemlich alt, aber noch funktionierte das, was funktionieren sollte. Ich schaltete ihn an und wartete. Ein paar Stunden im Internet würde ich wohl aushalten. Wahrscheinlich würde ich die drei Stunden mit Katzenvideos verbringen.

Schneller als gedacht klingelte mein Wecker und riss mich aus dem Sog, den diese Videos mit sich brachten. Ich begann meine Morgenroutine und traf später wieder auf Kate und John. Diesmal pünktlich.

„Heute mal ausgeschlafen? Ich sehe deine Augenringe gar nicht", spaßte Kate.

„Ich bin nach der Schule quasi sofort ins Bett gefallen und mitten in der Nacht dann aufgewacht", antwortete ich ehrlich.

„Wenigstens eine von uns hat gut geschlafen. Der verdammte Kater hat die ganze Nacht Lärm gemacht", sagte Kate. „Ich verstehe gar nicht, wie John davon nicht wach werden konnte."

„Ich habe echt nichts gehört. Vielleicht hast du das nur geträumt", zog John seine Schwester auf.

„Nein, ich bin mir ganz sicher. Ich bin sogar aufgestanden und ins Wohnzimmer gegangen. Er saß an der großen Scheibe zum Garten und hat wie irre gejault."

„Vielleicht wollte er zu Tori?", scherzte John.

„Klar, er weiß auch ganz genau, dass genau dort ihr Fenster ist. Was für ein intelligentes Tier", sagte Kate sarkastisch.

Wir redeten nicht weiter darüber, weil der Bus gerade kam. Heute hatten wir leider einen verdammt langen Tag in der Schule vor uns. Die ersten vier Stunden überstanden wir irgendwie und gingen dann wie immer in die Mensa, um etwas zu essen.

Als wir wie gewohnt nach draußen gehen wollten, blieb Kate wie angewurzelt an der Tür stehen. Wir lenkten unseren Blick nach oben an den Himmel, wo Kates Augen festhingen. Am Morgen hatte die Sonne geschienen und es war kaum ein Wölkchen zu sehen gewesen. Aber jetzt war der Himmel überzogen mit dunklen Wolken und es schüttete wie aus Eimern.

„Was zum...", fing John an.

„Wo ist die Sonne? Ich wollte noch ein paar Sonnenstrahlen auffangen, bevor wir in diesen schrecklichen Sarg von Schule wieder zurück müssen...", maulte Kate.

„Das bringt uns jetzt auch nichts. Lasst uns einen Tisch suchen, bevor alles voll ist", schlug ich vor.

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen und wir fanden schnell einen Acht-Personen-Tisch in der hinteren Ecke der Mensa mit Blick nach draußen. Noch war alles leer. Wir schnappten uns drei Plätze und fingen an zu essen. Ich aß einige Löffel von meinen Käsespätzle, aber irgendwie wurde mir schon nach den wenigen Bissen total schlecht. Meine freie Hand wanderte automatisch an meinen Bauch. Ich schaute zu Kate und John, die das gleiche Essen hatten wie ich. Aber beide schienen okay zu sein. Am Essen konnte es wohl nicht liegen. Draußen am Himmel durchzuckten grelle Blitze die düsteren Wolken. Kurz darauf hörte man den Donner. Mir wurde richtig übel.

„Ich geh mal schnell aufs Klo", sagte ich während ich aufstand und schnellen Schritts auf das Mädchenklo flüchtete. Ich hoffte sehnlichst, dass ich nicht kotzen musste.

Als ich dann in einer Kabine vor dem Klo stand, beruhigte sich mein Magen langsam. Trotzdem wartete ich noch ein paar Minuten, um sicher zu gehen. Dann schloss ich die Kabinentür auf und wusch meine Hände. Ich drehte das Wasser auf kalt und wollte mir etwas Wasser ins Gesicht spritzen, aber als meine Hände mit dem Wasser in Kontakt kamen, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Es fror an meinen Händen und bildete Eiskristalle auf meiner Haut.

Was war hier los? Ich stellte das Wasser auf warm und spülte das Eis weg. So kalt konnte das Wasser gar nicht aus der Leitung kommen. Und...Nein, das war alles absolut unlogisch. Aber das warme Wasser spielte nun auch verrückt und ich verbrannte mir fast die Hände. Ich zog sie schnell weg und stellte das Wasser aus. Das war genug. Ich glaube, ich drehe hier langsam durch. Vielleicht war ich krank. Irgendein Virus oder so etwas. Ich trocknete meine Hände und verließ das Mädchenklo.

Als ich in die Mensa zurückkam und zu unserem Platz zurück gehen wollte, blieb ich wie angewurzelt stehen. An unserem Tisch hatte sich eine Traube von Äffchen gebildet. Und ihr Mittelpunkt war Finn. Warum saß er ausgerechnet dort? Die Äffchen hätten ihm doch überall freudestrahlend einen Stuhl freigemacht. Mein Blick wanderte zu Kate und John, die am Rand genervt die Reste ihrer Spätzle aßen. Mein Platz war auch besetzt. Ich ging hinter Kate und fragte sie, was hier los war.

„Finn hat sich an das andere Ende gesetzt als du gerade weg warst. Und dann kamen die Äffchen. Das ist verdammt nervig. Mir kommt schon fast das Essen hoch", flüsterte Kate mir zu.

„Lass uns von hier verschwinden", sagte John.

Ich schnappte mir meinen Apfel und mein Wasser von dem Tablett und floh mit Kate und John aus der Mensa. Als ich einen Blick zurückwarf, sah ich, dass Finn uns hinter schaute. Unsere Augen trafen sich für einen kurzen Augenblick. Und plötzlich riss Finn die Augen auf. Aber das hielt nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann senkte er den Blick wieder zu den Äffchen. Ich dachte mir nichts dabei und schaute wieder nach vorne.

Wir gingen zurück in unseren Raum. Kate stieß genervt die Luft aus, als wir uns auf unsere Plätze setzten. John drehte wie immer seinen Stuhl um.

Oblivia - Die VergessenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt