Kapitel 5

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Als ich bei den Schließfächern war, packte ich meine Tasche in eines davon und hing meine Jacke an einen Haken in der Nähe. Dann ging ich mit meinem Ausweis in der Hosentasche zu meiner Lieblingsabteilung. Die lag in der zweiten Etage und man musste über die breite Treppe, die auf beiden Seiten des Erdgeschoss nach oben führte. Der Raum war rund gestaltet und man konnte durch die riesige Fensterfront nach draußen auf den Park blicken, der hinter der Bibliothek lag. Ich ging an der rechten Treppe im Bogen nach oben und bog dann nach links ab. Hier befand sich die Fantasy-Abteilung. Ich ging durch die Reihen und Regale, die voller Bücher waren, von denen ich schon unzählige verschlungen hatte. Schnell fand ich den zweiten Band, den ich lesen wollte und auch noch zwei andere Bücher, die ich noch nicht gelesen hatte. Die Hände voller Bücher ging ich zu der großen Leseecke, die auf der Empore in diese Etage lag. Von hier aus konnte man ebenfalls nach draußen durch die großen Fenster schauen, da die zweite Etage offen gebaut war.

Bisher saß hier niemand, also hatte ich freie Platzwahl. Ich machte es mir etwa in der Mitte der Sofas bequem und war schon bald in mein Buch vertieft. Meine Umgebung blendete ich komplett aus. Erst, als das Handy in meiner Hosentasche vibrierte, schreckte ich hoch. Ich legte das Buch neben mich und las die SMS, die ich gerade bekommen hatte.

„Kam es dir vorhin auch so vor, als würde Finn was von mir wollen? Ich meine, er gibt mir perfekte Hausarbeiten und lässt mich nicht auffliegen. Und er hat mich die ganze Zeit angeschaut.", schrieb Kate.

Irgendwie hatte ich geahnt, dass Kate Gefühle für ihn entwickeln würde. Erst sagt sie, er sieht gut aus, aber tut so, als wäre er ihr egal. Es nervt sie, dass die ganze Zeit die Äffchen an ihm hängen, auch wenn sie es auf die Äffchen an sich schiebt. Sie streitet mit ihm wegen der Äffchen und tut so, als würde sie ihn nicht mögen. Und jetzt das. Der Blick, den sie ihm vorhin zugeworfen hat. Ach, Kate, dachte ich.

Ich sollte ehrlich zu ihr sein, und ihr sagen, dass ich nicht so denke. Und sie kannte ihn gerade mal zwei Tage. Wo sollte das nur enden?

Ich hörte hinter mir ein amüsiertes Schnauben. Ruckartig drehte ich mich um und sag Finn, der gerade an dem Sofa, auf dem ich saß, vorbeigelaufen war. Hatte er die SMS gelesen? Was machte er hier überhaupt?

Draußen grollte der Donner laut.

Plötzlich wurden meine Hände eiskalt. Das Handy, was ich immer noch in meiner Hand hielt überzog sich an den Seiten mit Eiskristallen, wo es meine Haut berührte. Was passierte hier? Vor lauter Schreck ließ ich das Handy auf den Boden fallen und starrte meine Hände an. Was war nur los mit mir? Bildete ich mir das ein? War das echt?

Ich ließ meine Sachen einfach so liegen und rannte die Treppe runter auf die Toilette. Dann drehte ich den Wasserhahn auf und goss warmes Wasser über meine Hände. Und wieder passierte das gleich, wie heute Mittag. Meine Hände fühlten sich im ersten Moment an, als würden sie in Flammen stehen, aber als ich sie betrachtete, waren sie nicht einmal rot. Aus dem Wasserhahn kam kein Wasser mehr, sondern nur noch Wasserdampf. Schnell drehte ich ihn zu.

Spielte mir mein Geist einen Streich? Vorsichtig drehte ich das kalte Wasser auf. Am Anfang floss es noch, aber urplötzlich gefror es und bildete einen Eiszapfen. Ich berührte ihn und er wurde sofort wieder flüssig. Hastig stellte ich das Wasser ab.

Ich betrachtete mich im Spiegel. Hatte sich irgendetwas an mir verändert? Äußerlich fiel mir nichts auf. Meine Augen hatten wie eh und je ihre seltsame Farbe. Ein helles Grün und den violetten Kranz am äußeren Rand der Iris. Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber dieser Kranz schien ein wenig zu leuchten, er war deutlicher zu sehen als jemals zuvor.

Die Leuchtröhre an der Decke flackerte und kleine Funken sprangen durch die Luft.

Ich glaube, ich werde wirklich verrückt, dachte ich. Aber vielleicht gab es für das auch eine logische Erklärung. Oder sagte ich das nur zu mir selbst, um mich zu beruhigen? Denn wie logisch war es denn schon, wenn Wasserdampf und Eis aus einem Wasserhahn kamen?

Oblivia - Die VergessenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt