Kapitel 12

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Die Scheinwerfer des Wagens leuchteten gespenstisch in der Dunkelheit. Hier und da sah es fast so aus, als würden leuchtende Gestalten hinter den Bäumen lauern, doch sobald das Licht sie erreichte verflogen die Hirngespinste. Den das waren sie, sagte ich mir. Es war nichts, wovor ich mich fürchten müsste. Im Auto wurde es merklich kühler, fast schon eisig. Finn, der seitdem sie losgefahren waren schwieg, schien das ebenfalls zu merken.

„Spinnt die Klimaanlage?", fragte er mehr sich selbst. Er spielte an den Schaltern und Reglern am Armaturenbrett herum. Als das auch nichts half und ein Schlag auf die Klimaanlage ihn auch nicht weiterbrachte, schaute er mich fragend an.

„Sag mal, bist du das etwa? Du bist ganz schön launisch, weißt du das eigentlich? Bist du irgendwie traurig oder wütend? Vielleicht ängstlich? Bevor ich die Luft halbwegs kontrollieren konnte, habe ich unbewusst immer eiskalte Winde heraufbeschworen, wenn ich Angst hatte. Ist es das?"

Erst dachte ich, Finn wäre immer noch sauer auf mich, aber jetzt klang er eher besorgt. Wer von uns hat hier Stimmungsschwankungen?, rief ich ihm im Geiste zu.

„Du stellst ganz schön viele Fragen, weist du das eigentlich? Ich müsste doch diejenige sein, die Fragen stellt, dachte ich.", erwiderte ich leicht gereizt. Im Auto wurde es schlagartig wieder wärmer.

Na super, wahrscheinlich würde ich als menschliche Klimaanlage in die Geschichte eingehen.

„Wusste ich es doch. Aber jetzt bist du wütend, schätze ich. Meine Theorie ist also richtig, zumindest in einer Hinsicht. Meine Frage hast du aber noch nicht beantwortet. Hattest du gerade Angst?" Finn schmunzelte und warf mir einen Blick zu.

„Ich hoffe, das ist das erste, was ihr mir beibringen werdet. Das Letzte, was ich in der Schule gebrauchen könnte, wären plötzliche Flammenmeere im Klassenzimmer", wich ich seiner Frage wieder aus. Irgendwie kam mir Finn viel zu nahe. Und er war ziemlich scharfsinnig.

„Dir ist klar, dass das nicht von heute auf morgen passiert, oder? Manche von uns brauchen Monate ehe ihr Gemüt den Einfluss auf ihre Fähigkeiten verliert", erklärte er, „Und ich deute das als ein Ja. Aber was genau macht dir hier gerade Angst?"

„Okay, na schön. Ja, ich habe Angst. Es ist ein bisschen gruselig hier im Dunkeln. Mein Kopf lässt es für mich aussehen, als würden hinter den Bäumen Gestalten stehen. Zufrieden?" Ich verschränkte die Arme vor der Brust und senkte den Blick. Es war mir peinlich. Ich war doch keine zwölf mehr, warum sollte ich also Angst in der Dunkelheit oder gar Angst vor Geistern haben?

„Gestalten hinter den Bäumen?" Finn fuhr ein wenig langsamer und sah sich um. „Ich sehe niemanden. Und wenn es doch einen Axtmörder hier geben sollte, sei unbesorgt. Da reicht eine kleine Windböe und er fliegt weiter als du dir vorstellen kannst." Finn grinste mich an. Dieses Mal war er es, der so stolz aussah wie ein verdammter Hund, der gerade einen großen Stock gefunden hat. Aber seine Augen blieben trotzdem wachsam auf der Straße, fast wirkte es, als würde er meine Hirngespinste doch ernster nehmen als er es zeigen wollte.

„Du bist blöd", antwortete ich leicht beleidigt, aber ich musste auch schmunzeln. Vielleicht war Finn doch anders, als sie ihn bisher gesehen hatte.

Was machte ich hier eigentlich? Flirtete ich etwa mit Finn? So schnell wie mein Lächeln kam, schickte ich es auch wieder in den hintersten Winkel meines Kopfes. Das durfte ich auf keinen Fall zulassen. Niemals würde ich Kate so hintergehen. Ich beschloss, in Zukunft vorsichtiger in Finns Gegenwart zu sein. Und es gab eine Möglichkeit, unseren Kontakt soweit einzuschränken wie nur möglich.

„Finn, ich muss dich um noch etwas bitten", sagte ich an Finn gewandt und sah in ernst an.

„Wie, noch mehr Wünsche? Was ist es denn jetzt? Du fragst mich jetzt aber nicht, ob ich morgen in einem Avatarkostüm zur Schule komme, oder?"

„Nein, aber eigentlich keine schlechte Idee. Ich werde es mir merken. Aber die Sache ist die..." ich versuchte die richtigen Worte zu finden. „Kannst du in der Schule versuchen, nicht mit mir zu reden? Du müsstest einfach nur so tun, als wäre ich unsichtbar. So wie es die meisten dort tun. Ich glaube, ich würde mit der Aufmerksamkeit der anderen einfach nicht fertig werden und dann vielleicht weiterhin Chaos durch meine Kräfte anrichten", log ich.

Finn schwieg. Ich hatte die Stimmung geradewegs in den Keller geschoben. Im Auto war es wieder etwas kälter geworden.

Würde er es mir abkaufen?, fragte ich mich. Immerhin hatte er vorhin schneller eingelenkt als ich es erwartet hatte. Und irgendwie schien er auch Verständnis zu haben.

„Du kannst mich nicht besonders gut leiden, oder?" Mehr sagte er nicht mehr. Er hielt den Wagen an und sah mich an.

„Wir sind da."

Finn betrachtete mich mit einem eindeutigen Blick.

Steig aus!', schrien seine Augen mir förmlich zu.

Da war keine Freude, kein Verständnis. Er hatte es nicht verstanden. Zumindest nicht so, wie ich es gewollt hatte.

„Okay. Danke für's nach Hause fahren."

Ohne ein weiteres Wort stieg ich aus und knallte sie Autotür hinter mir zu.

Ich hatte es sowas von versaut. Aber war es nicht genau das, was ich gewollt hatte? Dass er mich in Ruhe lässt und ich damit jeglichen Anflug von Gefühlen für ihn für immer verbannen konnte? Ich hatte erreicht, dass er mich wohlmöglich sogar hasste. Oder noch schlimmer, dass er den Fehler in sich suchte. Warum tat es dann so weh, wenn es doch mein Ziel war?

Der Regen wurde heftiger. Unentschlossen stand ich vor meiner Haustür. Finn war in dem Moment losgerast, als die Autotür ins Schloss gefallen war.

Worte sind gefährlich, sagte eine Stimme in mir. Manchmal reichen ein paar von ihnen und man fügt jemanden Schaden zu. Vielleicht sogar ohne Absicht. Vielleicht dachte ich aber wieder einmal zu viel nach. Morgen würde ein neuer Tag anbrechen. Eine Nacht, um alles zu verarbeiten, jedes scheußliche Wort, was ich ihm an den Kopf geworfen hatte, ohne sie auszusprechen.

Aber auch ich hatte einiges zu verarbeiten. Dinge, die ich seit wir losgefahren sind, verdrängt hatte. Wenn ich nicht darüber nachdachte, wenn ich nichts fühlte, konnte ich dann das Chaos, zu dem mein Leben geworden war, beseitigen? Würde ich mich jemals wieder normal fühlen?

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Huch, es ist schon Donnerstag...Mist. Der Alltag hat mich leider fest im Griff... :(
Ich hoffe, das neue Kapitel entschädigt euch für's Warten ;)

Liebe Grüße, Mio_Mysterium

Oblivia - Die VergessenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt