Kapitel 15

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Währenddessen beäugte ich mein Stück Pizza misstrauisch und knabberte dann ein wenig daran. Aber entweder schliefen selbst meine Geschmacksnerven oder die Pizza schmeckte einfach nach nichts. Ich gähnte herzhaft und legte das angeknabberte Stück wieder auf den Teller.

Kate sah, wie ich meine Pizza wieder fallen ließ und schenkte mir einen besorgten Blick.

„Tori du solltest was essen. Und dich danach vielleicht auf die Krankenstation schleichen und dort schlafen, Ich könnte mir da schon was einfallen lassen. Ganz ehrlich, du siehst halb tot aus. Also fast wie ein Zombie. Nur ohne das ganze Blut und diesen hungrigen Blick, wenn du Gehirn siehst", sagte sie, legte mir eine Hand auf die Schulter und sah mich aufmerksam an.

„Oder du bist wirklich ein Zombie geworden und wir haben es nur noch nicht geschnallt", scherzte Kate, vermutlich, um mich ein wenig aufzumuntern.

„Hmmm. Vielleicht ist da was dran. Ich rieche dein kleines saftiges Gehirn bis hier. Menschliche Nahrung ist wohl nichts mehr für mich. Ich will Hiiiiirrrrnnnn!", erwiderte ich und streckte meine Arme von mir wie ein Zombie. Dann stand ich auf und schlurfte um den Tisch herum auf Kate zu. Kate sprang glucksend auf und lief spielerisch vor mir weg. Nun lachte sie herzhaft.

„Johns Gehirn schmeckt bestimmt viel besser. Iss seins zuerst!", forderte Kate. Sie kicherte und zeigte auf John, der nun erschrocken von seiner Pizza aufsah.

Dann wandelte sich sein Blick und er schaute verschwörerisch zu mir auf. Ich nickte ihm zu, denn ich wusste, was er vorhatte. Er stand auf und wandte sich Kate zu.

„Du liegst falsch, Kate. Mein Gehirn ist verdorben. Tori hat mich bereits infiziert und dein Hirn wird ein Festmahl für uns beide sein", sagte er mit einem siegessicheren Lächeln.

Nun jagten wir beide Kate durch die Cafeteria wie Zombies. Lachten und alberten herum wie Kinder. Wie damals, als alles noch anders war. Als es keinen Finn gab, keine Geheimnisse gab. Keine mystischen, übernatürlichen Fähigkeiten. Als ich noch genauso normal war wie sie.

Schlagartig trübte sich meine Laune wieder. Meine Sorgen, meine Ängste und meine bleierne Müdigkeit verdrängten all die Freude. Bevor Kate und John meinen Stimmungsumbruch auch nur bemerken konnten, beendete die Pausenklingel unser Spiel. Das verschaffte mir einen Moment, um zumindest zu versuchen, meinen Gesichtsausdruck nicht zu Tode verängstigt, voller Sorgen oder todesmüde aussehen zu lassen.

Draußen hatte es wieder angefangen zu regnen. Und zwar so richtig. Es schüttete urplötzlich wie aus Eimern, obwohl vor einigen Minuten kaum Wolken am Himmel zu sehen waren. Ein Blitz durchzuckte den dunkel gewordenen Himmel und ließ alle aufschrecken, denn der Donner kam direkt hinter her. Ich bekam Angst. Das war ich. Wie sollte sich sonst das Wetter so schnell und abrupt ändern? Ich hatte es absolut nicht unter Kontrolle. Die Hoffnung auf Sonnenschein konnten die anderen, wie es derzeit aussah, wohl mit ins Grab nehmen.

Und das Einzige, was ich gerade tun konnte war runter zu kommen von meinem Angstturm. Aber wie zur Hölle sollte ich das schaffen, wenn meine Gedanken verrücktspielten?

Ich spürte, wie mein Körper wärmer und wärmer wurde bis es sich anfühlte, als würde ich in Flammen stehen.

Nein! Nein! Nein!, schrie alles in mir. Das musste aufhören. Alle würden mich sehen, alle würden wissen was für ein abnormales Wesen ich geworden war. Und ich könnte jemanden verletzten. Kate und John waren fast direkt neben mir. Viel zu nah an mir dran, dem brodelnden Vulkan.

Draußen schlug ein weiterer Blitz ein, traf eine hohe Eiche. Direkt vor der großen Fensterfront der Cafeteria. Ein ohrenbetäubender Knall ließ alle abermals zusammenzucken. Der Baum wurde in der Mitte durch die Kraft des Blitzes gespalten und fing Feuer.

Und dann fiel er. Geradezu auf die Glasfront, schnurstracks auf uns zu. Durch unser herum Gerenne waren wir genau vor die Scheiben gelangt und mit dem Klingeln der Glocke stehen geblieben.

Hinter uns hörte ich ein Mädchen kreischen. Alles passierte innerhalb von weinigen Augenblicken. Und wir waren viel zu perplex, um uns zu bewegen. Die Baumkrone krachte in die Scheiben, welche unter dem enormen Gewicht brachen. Plötzlich regneten Glassplitter aus drei Meter Höhe auf uns herab. Ich hatte das Gefühl, als würde die Zeit in Zeitlupe ablaufen. Die zerstörerische Macht der Splitter und Scherben wirkte noch so fern, sie glitzerten mehr wie Schnee im Licht, verbanden sich mit dem Regen.

Reflexartig zog John, der näher an Kate stand, diese unter den Tisch, der am nächsten bei uns stand. Ich hingegen stand einige Meter weiter weg von den beiden. Außerhalb von Johns Reichweite, der noch versucht hatte, zu mir zu gelangen und auch mich in Sicherheit zu bringen.

In der Cafeteria war Chaos ausgebrochen. Hinter mir hörte ich aufgeregtes Getrampel und Schreie von Schülern und Lehrern, die sich in Sicherheit brachten. Alle bewegten sich. Alle außer mir.

Ich stand nach wie vor starr gerade aus, den Blick nach oben, geradewegs zur tödlichen Bedrohung. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. In meinem Kopf drehten sich die Vorwürfe umeinander.

Es ist alles deine schuld!

Du kannst es nicht kontrollieren!

Du bist gefährlich!

Und da gab es diese eine kleine Stimme in mir, die mich wahrscheinlich davon abhielt, mich in Sicherheit zu bringen.

Es ist deine Schuld, du hast es verdient. Du bist es nicht wert gerettet zu werden!

In Zeitlupe sah ich die Scherben und Splitter auf mich zu rasen. Kurz bevor die ersten Teile mich berühren konnten, gab mein Körper doch einem Schutzreflex nach und meine Arme schossen in die Höhe, um meinen Kopf zu schützen so gut es ging.

Dann bestand die Welt um mich herum nur noch aus Glas und Regen. Ich spürte kaum, wie mir die Scherben die Arme aufrissen, wie Teile von ihnen in meiner Haut stecken blieben, so sehr war ich in Trance. Nahm das warme Blut kaum war, was mir die Arme hinab lief.

Und plötzlich so schnell wie sie gekommen waren, verschwanden die Scherben, verschwand der beständige Regen aus Glas. Ich senkte die Arme soweit, dass ich wieder meine Umgebung sehen konnte.

Die Eiche, welche noch vor Sekunden versucht hatte, durch die Scheibe zu brechen, war zur Seite gekippt und lag nun am Boden. Und sie brannte auch nicht mehr.

Es passte einfach nicht. Wie sollte der Baum von allein in diese Richtung fallen, wenn sein Gewicht auf dem Glas lastete? Nichts außer einem Erdbeben oder einem unglaublich heftigen Windstoß hätte das in so kurzer Zeit vollbringen können. Und ich hatte keines von Beidem wahrgenommen. Mein Gehirn kam nicht mehr hinterher. Alles machte einfach keinen Sinn.

Mein Körper war immer noch so heiß wie bevor der Blitz eingeschlagen war, bevor ein Teil meiner Fähigkeiten Amok lief während der andere versuchte, mich von innen zu verbrennen. Es fühlte sich nun an, als ob mein Innerstes gekocht werden würde. Ich blickte auf meine Arme. Alles, was ich sah, war rot. Das Blut in meinen Adern brodelte wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

Die blutroten Arme vor meinen Augen verschwammen. Plötzlich sah ich gar nichts mehr. Nur noch schwarz.

Und ich fiel.

Wie aus der Ferne hörte ich verzweifelte Stimmen, die meinen Namen riefen. Tori! Kate und John?

Nein, da war noch eine andere Stimme, dachte ich. Und dann hörte ich auf zu denken.

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Und ich habe es tatsächlich geschafft~ hihihi :)

Viel Spaß mit dem zweiten Kapitel für diese Woche, was zugegebenermaßen auch nicht sehr lang ist. Ich hoffe, es gefällt euch ;)

Liebe Grüße,

Mio_Mysterium

Oblivia - Die VergessenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt