Kapitel 20

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Es vergingen keine zwei Sekunden, da wurde die Tür auch schon aufgerissen und Kate stürmte zu mir mit Tränen in den Augen.

„Toooooriiiii", wimmerte sie und schlang die Arme um meine Schultern. Dann heulte sie sich für bestimmt zehn Minuten die Seele aus dem Leib und erzählte mir mit zitternder und weinerlicher Stimme in etwa das, was sie bereits in all ihren Nachrichten geschrieben hatte. Dass sie sich vorwarf, mich nicht beschützt zu haben. Dass sie Angst hatte, mich vielleicht nie wiedersehen würde.

Während sie sprach und weinte, strich ich ihr beruhigend und mit steifen Armen über den Rücken. Als ihre Tränen endlich versiegten rückte sie wieder von mit, sodass sie mich ansehen konnte. Wahrscheinlich hätte ich die ganze Zeit mit ihr Rotz und Wasser verschüttet, wenn meine Tränen vorhin nicht schon aufgebraucht worden wären, als ich mich ans Finns Schulter hatte fallen lassen.

„Danke, dass du noch lebst", sagte Kate mit ernster Stimme während sie sich die restlichen Tränen aus den Augen strich und nach einem Taschentuch suchte.

„Ach was, so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Schau, alles noch dran. Wahrscheinlich habe ich nur so lange Dornröschenschlaf gehalten, weil ich mir die Nächte zuvor um die Ohren gehauen habe. Ich bin im Nullkommanichts wieder fit, versprochen", versicherte ich ihr und alberte herum, indem ich so tat als würde ich meine Oberarmmuskeln anspannen, um zu zeigen, wie stark ich war. Doch Kate sah alles andere als amüsiert aus und mehr als hätte ich gerade einen Witz auf ihre tote Großmutter gemacht.

„Du warst ja auch ohnmächtig. Glaub mir, das war kein schöner Anblick. All das Blut...Und du hast nicht mehr geatmet, ernsthaft. Ich dachte wirklich, ich würde dich verlieren. Wäre Finn nicht da gewesen, würdest du jetzt vielleicht unter Erde statt in einem Krankenhausbett liegen. Er hat dich wiederbelegt. Also so richtig mit Mund zu Mund. Bei Gelegenheit solltest du dich bei ihm dafür bedanken", sagte sie todernst. Dann stahl sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen als ihre Gedanken bei der Erwähnung von Finn höchstwahrscheinlich in den Herzchen-Modus sprangen.

Ich war sprachlos. Finn hatte was getan? Scheiße nochmal! Warum hatte er mir das nicht gesagt? Rettete er etwa jedem Tag irgendwem das Leben und holt sie wieder unter die Lebenden? Meine Gedanken drehten weitere Runden auf der Achterbahn als sie abrupt stockten, als mir wieder einfiel, dass er genug damit zu hatte mich davon zu überzeugen, dass ich mich nicht vor lauter Schuldgefühlen verlor. Aber trotzdem... Wie sollte ich ihm nur je wieder in die Augen schauen können?

Verdammt, das war einfach zu nah! Sein Eingreifen mit seiner Fähigkeit, den Wind zu kontrollieren und den Baum wegzuwehen, konnte ich ebenso wie meine eigenen Kräfte, die diese ganze Situation verursacht hatten, einfach als Fantasie in meinem Kopf einstufen, als etwas, das nie wirklich passieren konnte.

Aber das? Es war eine vollkommen andere, viel zu reale Situation. Viel zu echt, um erdacht zu sein.

„Tori? Alles okay? Erst bist du total blass geworden und dann auf einmal rot." Musternd sah Kate mich an und inspizierte mein Gesicht und meine Regungen genaustens.

„Ach warte. Ist dir das etwas peinlich? Ja, klar...irgendwie war das sowas wie dein erster Kuss – und wäre die Situation nicht so naja, du weißt schon...wärst du nicht dabei fast drauf gegangen und ich vor Sorge gleich mit dir, dann wäre ich tatsächlich irgendwie eifersüchtig auf dich."

Bitte was? Das war doch nicht das gleiche wie mein erster Kuss! So etwas konnte man doch nicht romantisieren wie in den ganzen kitschigen Romanzen im Fernsehen. Das war etwas anderes, oder?

Finn hatte einfach nur gehandelt. Sicherlich hätte er auch einen vollkommen Fremden – und eigentlich waren wir fast genau das – gerettet, wenn er in der Situation gewesen wäre, richtig?

„Es ist mir natürlich peinlich...Ach man, das ist doch offensichtlich. Und das war kein Kuss, sondern lebensrettende Maßnahmen, verstanden? Gott, wie soll ich ihm nur wieder gegenübertreten?" Unbewusst hatte ich auch den letzten Gedanken laut ausgesprochen. Hoffentlich dachte sich Kate nichts weiter dabei.

Kate lachte auf als ich mich peinlich berührt von ihr wegdrehte.

„Mensch, Tori. Du bist so niedlich, wenn dir etwas peinlich oder unangenehm ist. Da will man dich einfach nur in den Arm nehmen und knuddeln."

Und genau das tat sie. Kate warf sich mehr oder weniger auf mich und drückte mich fest.

„Sag einfach Danke. Finn ist wirklich ein guter Kerl. Gott, du hättest mal sehen müssen, wie besorgt er ausgesehen hat an diesem Tag...Dabei kennt er dich nicht mal wirklich. Und nett zu ihm warst du nicht. Stell dir nur vor, wie er erst ist, wenn er sich um jemanden kümmert und sorgt, den er so richtig mag?" Bei dem Gedanken wurde Kate rot und lächelte wie ein verliebtes dummes Schäfchen, nicht fähig zu klaren und logischen Gedanken, da sie fest auf Wolke sieben schwebte. Aber in gewisser Hinsicht kam mir das zugute. So sah sie wenigstens das Offensichtliche nicht.

Wir bewegten uns trotzdem auf gefährlichem Terrain und ich sollte meine Worte lieber zweimal bedenken, bevor ich sie aussprach. Nachher gab ich ihr vielleicht noch einen weiteren Anstoß, um einen Schritt in Finns Richtung zu machen und sie damit einen Schritt näher an die Lüge brachte, die mich mit ihm verband. Und dann wäre sie mehr als nur verletzt oder nur eifersüchtig. Tagträumerisch sah Kate an die Wand und war gefährlich nah dran, wirklich ein dümmlich lächelndes verliebtes Schäfchen zu werden.

Sollte ich etwas dagegen unternehmen? Finn hatte ihre Gefühle nicht einmal bemerkt als diese nur so aus ihr geflossen waren, sie würde echt hart kämpfen müssen uns würde trotzdem aller Wahrscheinlichkeit nach scheitern und am Ende verletzt und am Boden zerstört sein. All das könnte ich ihr einfach ersparen, nicht wahr? Aber auf der anderen Seite, was sprach dagegen, dass ich ihr sie zurückhielt? Was ich egoistisch, wenn ihr ihr sagte, dass Finn ihre Gefühle nicht erwiderte? Was es falsch? Auch wenn es nach all den gefährlichen Situationen, aus denen mich Finn gerettet hatte nach dem Gegenteil anfühlte, ich kannte ihn nicht wirklich. Konnte ich mir so sicher sein, dass sein Herz nicht doch für sie schlagen könnte, dass sie ihn nicht für sich gewinnen konnte? Ich fühlte mich so machtlos.

Wie sollte ich ihr meine Zweifel beibringen ohne ihr zu zeigen, dass ich Finn wohl besser kannte als sie ihn? Vor ihr solch große Geheimnisse zu haben fühlte sich so falsch an, ihr nicht sagen zu dürfen, wer und was ich wirklich war, schaffte eine Mauer zwischen uns beiden. Mir gefiel das Ganze nicht und ich hasste es. Zwar würde sie mir sowieso nicht glauben, wenn ich ihr die ganze Wahrheit sagen würde, aber mein Gewissen wäre dann frei.

Himmel, ich hasste meine Ohnmacht so sehr!

Ich beschloss auf Nummer sicher zu gehen und zu schweigen. Wenn ich ihr helfen wollte, dann auf anderem Wege, falls es so kommen sollte.

„Ich schätze, du hast recht. Wahrscheinlich habe ich das bald sowieso wieder vergessen. So schlimm kann es nicht werden", log ich. Als ob ich das vergessen konnte, dachte ich. „Aber du musst bei mir bleiben, wenn ich mich bedanke, okay? Allein kann ich das nicht", jammerte ich hoffte, dass sie darauf anspringen würde. Damit könnte ich ihr Zeit mit Finn verschaffen und mich dann verdrücken. Entweder war sie danach noch auf ihrer rosa Wolke oder sie kam zurück in die Realität. Ich hoffte auf letzteres. In meinen Kopf kroch ein furchteinflößender Gedanke.

Damit du ihn für dich allein hast, sagte eine Stimme zu mir.

Schaudernd schüttelte ich den Gedanken von mir. Innerlich fror ich meine dummen Gefühle ein. Für Kate setzte ich äußerlich ein Lächeln auf, damit sie mir meine wankenden Gefühle nicht anmerkte.

„Für dich mach ich das doch immer. Natürlich komme ich mit", erwiderte Kate und auch sie lächelte mich mit rosigen Wangen an. Nur war ihr Lächeln echt.

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Hallöchen (oder eher gute Nacht) :)

Eine neue Woche, ein neues Kapitel~ Viel Spaß beim Lesen. Ich hoffe, es erreicht euch überhaupt ^^"

Liebe Grüße,

Mio_Mysterium

Oblivia - Die VergessenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt