Kapitel 19

43 1 0
                                    

„Ach ist auch egal. Solange niemand die Wahrheit erfährt, sollte es kein Problem sein." Finn wischte seine Frage und seine Neugier einfach so weg. Sah man mir etwas so deutlich an, dass ich einfach keine Ahnung hatte, was ich darauf antworten sollte? Dass mir die Frage unangenehm war? Dankbar schenkte ich ihm ein kleines Lächeln.

Einem Instinkt folgend sah ich aus dem Fenster. Der Regen hatte mittlerweile aufgehört – was vermutlich damit zusammenhing, dass Finn mein Gemüt beruhigt hatte- aber es war zunehmend dunkel geworden.

„Ich glaube, ich sollte langsam gehen. Nicht, dass nachher noch wirklich Kate über den Weg renne oder mich sonst noch irgendwer sieht, der mich nicht in deiner Nähe sehen sollte." Er versuchte ein Lächeln aufzusetzen, aber es gelangte nicht bis zu seinen Augen. Es fiel ihm sichtlich schwer, mit meinen ganzen Forderungen klarzukommen. Dass er noch nicht das Handtuch geworfen hatte, sondern immer wieder zurückkam, erstaunte mich mehr und mehr. Ich verletzte ihn mehr als mir lieb war. Aber wie oft waren meine Gedanken nun schon an diesem Punkt angelangt?

Es war besser so, sagte ich mich selbst wieder, als müsste ich mich selbst davon überzeugen, dass es wirklich die bessere Lösung war.

„Ja, das wäre sicher besser", sagte ich laut. „Ich glaub, das wäre jetzt echt zu viel, was ich ihr erklären müsste, wenn sie dich hier sehen würde." Finn nickte.

„Ich werde versuchen morgen wieder zu kommen, wenn das für dich in Ordnung ist. Am besten bringe ich meine Mom mit, damit sie mit zu trainieren beginnt. Das ist überfällig. Oder vielleicht sollte ich auch die Aqua auch gleich mitbringen. Wäre wahrscheinlich sogar besser. Dieser Dauerregen geht mir schon ein wenig auf die Nerven", sagte Finn mehr zu selbst als zu mir.

„Ach, da fällt mir noch etwas ein", fügte Finn hinzu und sah sich suchend im Raum um. Schließlich kramte er Stift und ein Stück Papier aus seiner Tasche und kritzelte etwas auf den Zettel und faltete diesen anschließend.

„Hier, dachte mir, dass du das brauchen könntest", sagte er und reichte mir den Zettel. Ich klappte das Papierstück neugierig auseinander und mein Herz machte einen kleinen Sprung. Es was seine Handynummer.

„Danke. Wenn ich also wieder etwas zerstören will oder mich das Bedürfnis überfällt, etwas anzünden zu wollen, sage ich dir vorher Bescheid, richtig?"; scherzte ich und versuchte mir meine Freude nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. Ich warf ihm ein Lächeln zu.

„Wäre wohl sinnvoll. Ich komme so schnell wie der Wind, wenn es nötig sein sollte", erwiderte Finn und grunzte leise über seinen eigenen Witz, auch wenn dieser wirklich unterirdisch war. Er erwiderte mein Lächeln, dann schwieg er für einen Moment und sah mir tief in die Augen.

„Ich mache mich dann mal los. Ruf mich einfach an, wenn irgendwas ist, okay?"

„Ja, mache ich. Bis dann", verabschiedete ich mich und winkte ihm nach als er den Raum zögernd verließ, fast wirkte es auf mich, als würde er nicht gehen wollen. Ich durfte mich auf keinem Fall von ihm durcheinanderbringen lassen. Ja, Finn war charmant. Sehr charmant. Aber ich würde nicht einknicken, ich würde standhaft gegen...ja, gegen was auch immer das in mir war ankämpfen.

In den nächsten Stunden war ich allein. Anfangs wusste ich nicht, wie ich die Zeit irgendwie verstreichen lassen sollte bis entweder Kate oder der Arzt vorbeikam. Mir was wirklich langweilig und schlafen konnte ich auch nicht mehr, das hatte ich in den letzten Tagen sowieso viel zu viel. Vielleicht war es aber auch notwendig nach so vielen schlaflosen Nächten.

Nachdem ich einige Zeit einfach nur damit verbracht hatte, nachzudenken und die Wände anzustarren während ich wartete, fing ich an den Raum abzusuchen nach irgendeiner Art von Beschäftigung. Bis mir schließlich meine Tasche neben dem Nachtisch auf einem Stuhl auffiel. Ich hatte überhaupt nicht an die Möglichkeit gedacht, dass jemand vielleicht meine Sachen mitgenommen haben könnte. Aber um an die Tasche heranzukommen musste ich mich bewegen oder sogar aufstehen. Zuerst versuchte ich mich halb auf die Seit zu legen und mit einem Arm ausgestreckt nach der Tasche zu angeln. Doch an meinem anderen Arm war noch der Zugang zu einer Infusion befestigt, welcher meine Bewegungsfreiheit zusätzlich einschränkte. Ich rutschte soweit wie ich konnte an den Rand des Bettes, beide Arme in die entgegengesetzte Richtung ausgestreckt. Würde jetzt jemand in den Raum kommen...derjenige würde sich wahrscheinlich vor Lachen nicht mehr ein bekommen. Ich musste bestimmt ein ulkiges Bild abgeben. Nach einigen Versuchen schaffte ich es schließlich, trotzdem hatte ich mehrere Pausen einlegen müssen, weil meine blöden Arme natürlich wieder anfangen schmerzhaft zu pochen, als ich sie zu sehr dehnen musste.

Nachdem ich die Tasche auf mein Bett gezogen hatte und auch meinen Körper wieder gänzlich auf das Bett verlagert hatte, durchforstete ich die Tasche nach zwei Dingen. Zuerst wollte ich mein Handy finden, um Finns Nummer einzuspeichern. Zweites wollte ich mein Buch finden, von dem ich ziemlich sicher war, dass ich es auch im Halbschlaf in meine Tasche gepackt hatte. Immerhin waren meine Gedanken und Emotionen dank Finn derzeitig gezähmt und ruhig, aber die Langeweile zerrte dann dich ganz schön an mir.

In einem der kleinen Fächer im Inneren der Tasche fand ich schließlich mein Handy . Wenn ich wieder zuhause war musste ich unbedingt meine Tasche ausmisten, ich schleppte quasi einen Haufen Müll mit mir herum.

Ich aktivierte das Display in der Hoffnung, dass der Akku noch einige Prozente aufweisen konnte. Erleichtert stieß ich den Atem aus. Mit dreißig Prozent würde es noch einige Zeit durchhalten. Erschreckend hingegen waren die fünfzehn Nachrichten von Kate, die auf meinem Startbildschirm angezeigt wurden. Schnell überflog ich die Nachrichten. Alle hatten mehr oder weniger denselben Inhalt. Immer wieder hatte sie gefragt, wie es mir geht, hatte geklagt, dass ihre Eltern sie nicht zu mir ließen, damit ich mich ausruhen konnte. Und in ihrer letzten SMS schrieb sie, dass sie es nicht mehr aushielt und sich heute noch rausschleichen würde, um nach mir zu sehen.

Ich beschloss ihr kurz zu antworten, damit sie wusste, dass ich wieder wach war und sie sich nicht zu viele Sorgen machten musste. Prompt kam auch eine Antwort von Kate.

„Oh, Himmel" Ich dachte schon, dass du ins Koma oder so gefallen bist. Man bin ich froh. Ich bin in etwa anderthalb Stunden da. Wag es ja nicht wieder einzuschlafen, verstanden?", schrieb sie.

Ein Schmunzeln breitete sich auf meinen Lippen aus. Ach, ich hatte Kate einfach so lieb. Sie hatte lauter weinende Smileys in die Nachricht gequetscht. Wahrscheinlich hatte sie wirklich viele Tränen vergossen, das würde zu ihr passen, sie war ziemlich emotional. Nachdem ihr ihr eine weitere kurze Nachricht zugeschickt hatte, in der ich ihr hoch und heilig versprach, nicht wieder ins Reich der Träume zu verschwinden, machte ich mich daran, Finns Nummer als Kontakt hinzuzufügen.

Aber unter was sollte ich sie abspeichern? Einfach nur Finn? Was wäre, wenn Kate mein Handy in die Hand nahm und zufällig darauf stieß? Nein, dass würde also nicht gehen. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Eigentlich war es ziemlich albern. Wie wäre es mit Wind?, fragte ich mich selbst. So schlecht war der Einfall nun auch wieder nicht. Anonym und schlicht. Also blieb ich bei der Idee, da mir auch kein anderer Einfall kam. Danach legte ich das Handy auf den kleinen Nachttisch und suchte weiter nach meinem Buch in meiner viel zu vollen Tasche.

Als ich es zwischen Schulordnern und einem Schokoriegel gefunden hatte, ließ ich die Tasche achtlos auf den Boden fallen und schlug die Seite mit dem Lesezeichen auf. Dabei handelte es sich nicht etwa um ein klassisches hübsches Lesezeichen, sondern um einen alten Busfahrschein. Bücherwürmer - wie ich - nahmen eben alles, was in der Nähe lag als Lesezeichen.

Es war zwar etwas mühselig mit bandagierten Armen zu lesen, aber irgendwie fand ich eine bequeme Position, in der ich die Seiten problemlos umblättern konnte. Sekunden danach war ich wieder vertieft in der Geschichte und blickte erst wieder auf, als es an der Tür klopfte.

____________________________________________

Ein bisschen extra Stoff ;)

Ach ja, Semesterferien sind doch was Feines~ Endlich habe ich mal wieder viel Zeit für entspannt nichts tun (zumindest, wenn man alle Gedanken an Hausarbeiten und Bachelorarbeit auf "später" verschiebt...) ☺

Ich hoffe, es gefällt euch~

Mio_Mysterium

Oblivia - Die VergessenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt