Gähnend machte ich mich an meine Aufgaben, konnte mich aber, oh Wunder, nicht wirklich konzentrieren. Alles, woran mein Körper und mein Kopf denken konnten, war Schlaf. Mein Bett sah geradezu verführerisch weich und kuschelig aus. Doch ich musste dieser Versuchung widerstehen ebenso wie dem immer noch aufgeschlagenen Buch, das auf dem Bett lag.
Als mein Wecker schließlich klingelte, um mir zu signalisieren, dass ich mich jetzt fertig machen muss, gab ich auf. Meine Lehrer mussten sich heute mit dem, was ich geschafft hatte, begnügen. Immerhin hatte ich sie gemacht. Irgendwie.
Jetzt musste ich nur noch den Tag überstehen. Jede Fase meines Körpers schrie mich an, flehte mich an, einfach wieder ins Bett zu gehen und zu schwänzen. Aber das konnte ich einfach nicht tun. Ich konnte es einfach nicht. Und dann wäre die Zeit, die ich in meine Aufgaben gesteckt hatte, vollkommen verschwendet und umsonst gewesen.
Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich anzuziehen und zur Schule zu gehen. Ich trat überpünktlich aus der Haustür. Von Kate und John fehlte bisher jede Spur, aber wieder zurück ins Haus zu gehen kam auch nicht in Frage. Mittlerweile sah selbst der Teppich im Flur bequem genug aus, um darauf sofort einzuschlafen.
Draußen gab es frische Luft, mein Gehirn würde sich also nicht so schnell verabschieden. Hoffte ich zumindest.
Aus meiner Jackentasche kramte ich mein Handy hervor, um die Zeit zu vertreiben. Bevor ich das Display aktivierte, sah ich meine Reflexion in dem dunklen Bildschirm.
Meine Augenringe haben Augenringe, dachte ich. Ich seufzte und entsperrte dann das Display, um die Innenkamera zu öffnen, damit ich das ganze Ausmaß betrachten konnte. Langsam sollte ich daran gewöhnt sein, wie eine wandelnde Leiche auszusehen, aber ich war es nicht. Wahrscheinlich würde ich einen erstklassigen Zombie abgeben.
Bevor ich mich noch weiter in die Tiefen meiner Augenringe flüchten konnte, hörte ich Kates Stimmer hinter mir.
„Bist du unter die Frühaufsteher gegangen? Ich glaube, du warst noch nie vor uns aus dem Haus", begrüßte sie mich.
Als sie näherkam, wandelte sich ihr Gesichtsausdruck und sie schien sichtlich besorgt zu sein. „Ach zu scheiße, was ist denn mit dir passiert? Deine Augenringe haben Augenringe!"
„Genau das dachte ich auch. Sag mal, kannst du vielleicht wirklich Gedanken lesen? Ich konnte nicht einschlafen gestern Nacht und habe dann angefangen zu lesen", antwortete ich ihr. Warum ich nicht einschlafen konnte, durfte und konnte ich ihr einfach nicht sagen. Ich würde damit nicht nur gegen die Regel der Oblivia verstoßen, sondern auch noch ihre Gefühle obendrein verletzen, weil ich mit Finn zusammen gewesen bin. Schuldbewusst sah ich zu Boden.
Kate kam näher, hob mein Kinn und begutachtete mein Gesicht, als wäre es eine neues Forschungsobjekt und äußerst faszinierend. Ob sie daraus lesen konnte, dass ich ihr etwas verheimlichte?
„Ich glaube, ich muss dir deine Bücher wegnehmen, damit du mal wieder schläfst. Also außerhalb der Schule. Und am besten schicke ich dich zu den anonymen Bibliophagen!", sagte Kate und runzelte die Stirn. Das brachte auch mich dazu, die Stirn zu runzeln. Bibliophage? Kate musste wohl heimlich Wikipedia-Roulette gespielt haben.
„Kate hat recht, du siehst furchtbar aus, Tori", stimmte John ihr zu, der nun hinter Kate stand. Er sag mich aus seinen traurig reinschauenden blauen Augen besorgt an. Fast kam es mir so vor, als er würde im Gegensatz zu Kate ahnen, dass ich ein Geheimnis hatte, dass sie nicht kannten.
„Ich weiß, aber es ist doch so spannend gewesen...Und ich konnte sowieso nicht einschlafen", verteidigte ich mich, „Aber ich verspreche, dass ich heute früh schlafen gehe. Ehrenwort." Ich stieß seufzend den Atem aus.
„Ich wette, sie schläft gleich in Geschichte ein. Wenn nicht schon vorher im Bus." Kate drehte sich grinsend zu ihrem Bruder um.
„Und ich glaube, dass sie noch bis Mathe durchhält", wettete er dagegen. Die beiden sahen sich kampfeslustig und verschwörerisch an. Stumm gingen sie die Wette ein.
Mir dagegen fielen die Augen fast zu und ein Gähnen schlich sich aus meinem Mund. Vielleicht würde keiner von beiden gewinnen und ich würde hier einfach im Stehen einschlafen.
„Ich habe euch auch lieb, aber ich habe nicht vor heute in der Schule einzuschlafen. Heißt das, ich gewinne, wenn ich am Ende des Tages noch wach bin?", antwortete ich ein wenig patzig. Ich war zu müde und wenn die beiden mich weiter reizten, konnte ich nichts versprechen.
„Niemals" Das hälst du nicht durch!", rief Kate und ließ ihr fieses Lachen aufklingen. Auch wenn es nicht wirklich fies klang, eher niedlich. Aber das durfte man ihr nicht sagen, sonst bekam man es mit einer ein Meter sechzig Kampfmaschine zu tun.
„Leute, der Bus!" John zeigte nervös auf den Bus, der gerade an uns vorbeifuhr. Wir rannten los zur Bushaltestelle und erreichten diese nur knapp vor dem Bus. Nun war auch das letzte bisschen Energie, was ich noch aufgebracht hatte, verbraucht. Erschöpft ließ ich mich auf einen freien Sitz fallen und stöhnte.
Dieser Tag würde die Hölle werden.
Irgendwie überstand ich die erste Hälfte des Tages bis zur Mittagspause ohne einzuschlafen. Damit hatten sowohl Kate als auch John verloren. Wahrscheinlich lag es aber daran, dass ich vor der ersten Stunde mir noch einen dieser grauenvollen Kaffees aus einem der Automaten im Gang geholt hatte. In einem Zug hatte ich das widerliche heiße Zeug herunter gekippt, was ich ja nun dank meiner sonderbaren Fähigkeiten bewerkstelligen konnte ohne mir dabei mein Innerstes zu verbrühen.
Es half sehr dabei, nicht einzuschlafen, aber wirklich wach wurde ich dadurch auch nicht. Als wir nun auf dem Weg in die Cafeteria waren, lief ich mehr oder weniger wie ein Zombie. Passte ja, wenn ich schon wie einer aussah. Die Wirkung des Kaffees war verpufft und ich kurz davor, auf der Stelle im Stehen einzuschlafen.
Und ausgerechnet heute gab es Pizza, die ich normalerweise abgöttisch liebte, aber heute war mir absolut nicht danach. Ich hatte schlicht und ergreifend keinen Hunger. Da ich aber schon das Frühstück bis auf einen halben Apfel ausfallen lassen hatte, nahm ich mir pflichtbewusst ein Stück Pizza und setzte mich zu Kate und John an den Tisch nah an der großen Fensterfront. Ich musste ihnen ja nicht noch mehr Grund zur Sorge geben, indem ich auch noch nichts aß.
Kate und John unterhielten sich gerade angeregt über einen Film, der bald in die Kinos kommen sollte - Kate schwärmte für den Hauptdarsteller und war hellauf begeistert während John diesen Frauenheld einfach nur doof fand und Kate fragte, ob sie sich nicht lieber zu den Äffchen setzten wollte. Ich hatte weder von dem Film je etwas gehört noch war mein Kopf gerade in der Lage, dem Gespräch lange zu folgen. Immerhin einen Vorteil hatte die Müdigkeit auf diesem Level, denn ich kam kaum dazu, an meine großen Sorgen und Ängste zu denken.
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Hallöchen zusammen,Kapitel 14 ist (wie ich jetzt erst sehe) doch sehr kurz geraten. Wenn ich es schaffe, lade ich im Laufe der Woche noch ein weiteres Kapitel hoch.
Ich hoffe, dass es euch trotzdem gefällt :)
Liebe Grüße,
Mio_Mysterium
PS: Ich schätze mal, dass es ab dem nächsten Kapitel etwas spannender (und dramatischer) wird - zumindest war es das, als ich es geschrieben habe ;)
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Oblivia - Die Vergessenen
FantasyWas würdest du tun, wenn du plötzlich erfährst, dass du nicht wie die anderen bist? Victorias Leben war vollkommen normal - bis eines Tages Finn an ihre Schule wechselt. Plötzlich geschehen seltsame Dinge, die sich Victoria einfach nicht erklären ka...