Die kurze Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, hatten mir gezeigt, dass er vielleicht doch kein schlechter Mensch war, wie ich erst angenommen hatte, sondern eher das Gegenteil. Seine Worte zeigten mir sein ehrliches Herz. Warum sonst würde er hier an meinem Bett sitzen und versuchen mich davon zu überzeugen, dass ich das Recht hatte zu leben? Dass ich nicht schlecht oder böse war?
Urplötzlich fielen mir auch einige andere seltsame Dinge auf, Dinge, die ich bisher einfach ausgeblendet und fast vergessen hätte.
„Wie lange bin ich eigentlich schon hier? Und warum bist du eigentlich hier? Ich hätte ja mit Kate oder John gerechnet...", wechselte ich wenig elegant das Thema. Ich musste einfach auf andere Gedanken kommen.
„Seit Donnerstag...und heute haben wir Samstag. Du warst ziemlich lange weg bevor du das erste Mal aufgewacht bist. Kate und ihr Bruder waren auch hier. Die Kleine hat Stunden lang geheult wie ein Wasserfall und immer wieder gerufen, dass sie dich wieder gesund machen sollen. Bis ihre Eltern sie nach Hause geschleift haben. Ihr Bruder, John nehme ich mal an, der kam gestern nochmal vorbei. Hat hier ganz still gesessen und deine Hand gehalten. Ich glaube, er steht auf dich, könnte mich aber auch irren." Finn klang etwas genervt von meiner Frage, vielleicht auch wenig verletzt. Aber war gerade noch wichtiger war, was mein Herz kurz anhalten ließ, waren seine letzten Worte.
John sollte in mich verliebt sein? Nie und nimmer...nicht wahr?
„Du erzählst Blödsinn. John und ich sind einfach nur sehr gute Freunde, Ende", erwiderte ich leicht schnaubend.
„Ach wirklich? Aber mich wirfst du vor, ich wäre blind, wenn es um Gefühle geht?" Ungläubig sah er mich an.
Das saß. Ich resignierte äußerlich, biss mir auf die Lippe als ich meinen Kopf wegdrehte. Aber innerlich wehrte sich ein Teil meiner selbst gegen den Gedanken, dass ich wirklich so blind gewesen sein könnte und es über Jahre nicht bemerkt hatte, dass John vielleicht doch etwas für mich empfand, dass mehr als nur gute Freundschaft war.
„Das ist etwas vollkommen anderes! Du kennst mich oder John gar nicht gut genug, um etwas wie das über uns wissen zu können", sagte ich daraufhin bockig wie ein kleines Kind. „Und wie kommt es nun, dass ich bisher nur dich gesehen habe? Wenn du gesehen hast wie die anderen hier waren, heißt das, dass du die ganze Zeit hier herumgelungert hast?" Wie zum Henker sollte ich das Kate nur erklären? War sie deswegen nur einmal hier gewesen? Ich hoffte so sehr, dass es eine andere, weniger schmerzhafte Erklärung dafür gab als die, die ich mir ausmalte.
„So könnte man es ausdrücken. Ich habe alles aus der Ferne...beobachtet. Glaub mir, ich habe nicht vergessen, was du mir gesagt hast, auch wenn du mich damit, um ehrlich zu sein, ziemlich verletzt hast. Das heißt, ich komme immer dann, wenn kein anderer hier ist. Die Schwestern lassen mich netterweise auch nachts hier sein, ich habe mir da eine kleine Geschichte einfallen lassen. Vor allem die eine Schwester scheint mich zu mögen. Wie war ihr Name nochmal? Ich glaube, es war Pansy oder doch Penny?"
Oh, Himmel. Bitte nicht auch noch das.
„Bitte sag jetzt nicht Penny George..." Unbewusst hatte ich meinen letzten Gedanken laut ausgesprochen. Und zu meinem Entsetzten sah ich in seinen Augen förmlich, wie es in seinem Kopf klick machte.
„Ja, genauso hieß sie. Kennst du sie etwas?"
„Kann man so sagen...", begann ich als in diesem Moment die Tür zu meinem Zimmer plötzlich geöffnet wurde. Ruckartig wandte ich meinen Blick in die Richtung und auf die Person, die soeben mein Zimmer betrat. Wenn man vom Teufel sprach...
„Victoria, wie schön, du bist wach. Wie geht es dir, Kleines? Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, als du hier in der Notaufnahme eingeliefert wurdest, weißt du?"
Mrs. George kam lächelnd auf mich und Finn zu. Sie sah tatsächlich ziemlich erleichtert aus, aber auch sehr müde. Wann hatte sie wohl das letzte Mal geschlafen? Hatte ich ihr unnötige Sorgen gemacht und den Schlaf geraubt?
„Hi, Penny", sagte ich und schluckte. Sie mochte es nicht, wenn ich sie nur Mrs. George nannte, aber in meinem Kopf hatte ich mir das nie abgewöhnen können. Zum Glück waren wir uns beide einig darüber, dass ich sie nicht Mom nennen musste, auch wenn sie für mich einer wirklichen Mutter bisher am nächsten kam.
„Besser als gestern auf jeden Fall. Tut mir leid, falls du dir Sorgen gemacht hast", setzte ich fort.
Finn sah kurz zwischen mir und Mrs. George hin und her und verweilte dann mit fragendem Blick bei mir.
„Penny, das ist Finn, Finn, das ist Penny, meine Pflegemutter. Auch wenn ihr euch ja scheinbar schon kennengelernt habt", erklärte ich ihm schließlich. Ich war wirklich unglaublich neugierig und gleichzeitig ängstlich, weil Finn Gott weiß was zu den Schwestern und Mrs. George gesagt haben könnte, um hier bleiben zu können.
„Stimmt, das haben wir. Du hast mir gar nicht erzählt, dass du in einem Buchclub bist. Aber es ist schön zu sehen, dass du dort bereits so gute Freunde gemacht hast. Aber ich muss mich leider schon wieder verabschieden, die Arbeit ruft. Ich werde deinem Arzt noch Bescheid geben, dass du wieder bei Bewusstsein bist. Dr. Andersen wird dich dann bei der Abendvisite besuchen. Ach, und Kate hat mich vorhin angerufen und nach dir gefragt. Ich schätze, dass sie heute noch vorbeikommen will. Vielleicht solltest du dich bald auf den Heimweg machen, damit ihr euch nicht über den Weg lauft, Finn."
Mrs. George zwinkerte Finn verschwörerisch zu. Dann beugte sie sich vor und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Ruh dich aus, kleine Victoria. Bis später", sagte sie liebevoll, strich mir kurz über das Haar und verließ dann den Raum. Als sie gegangen war, war ich es, die Finn nun fragend ansah, auf eine Erklärung wartend.
„Buchclub, wirklich? Was hast du ihr nur erzählt? Und was ist das mit Kate?", sagte ich und sah ihn anklagend an.
„Naja, weißt du, ich dachte, dass ich zwei Fliegen auf einen Streich erledigen kann. Und der Buchclub war das erste, was mir in den Sinn kam, da sie die Wahrheit über uns niemals erfahren darf. Außerdem stellt sie so weniger Fragen, wenn du erst spät nach Hause kommst. Die Sache mit Kate, nun ja. Du hast dir so viele Sorgen gemacht wegen ihr. Also habe ich einfach gesagt, dass Kate eifersüchtig ist auf deine neuen Freunde vom Buchclub, einem Ort, den sie laut dir ja nicht freiwillig besuchen würde und wir jetzt mehr Zeit miteinander verbringen als du mit ihr... Ich dachte mir, dass das zu ihrem Charakter vielleicht passen könnte. Aber ich hatte ja keine Ahnung, dass Penny deine Pflegemutter ist. Das erklärt dann wohl, warum sie gleich so überzeugt und wissend zu sein schein in Bezug auf Kate."
Finn sah mich kurz an und musterte mich, versuchte aus meinen Zügen zu lesen, bevor der fortfuhr. Was er darin zu finden versuchte, ich hatte schlichtweg keinen blassen Schimmer.
„Sag mal, ist Kate vielleicht wirklich so schnell eifersüchtig und besitzergreifend?", fragte er.
„Ich...also...ich...", stotterte ich vor mich hin. Als wäre die Situation nicht schon kompliziert genug, jetzt musste ich Kate wirklich diese lächerliche Idee eines Buchclubs auftischen. Ob sie schnell eifersüchtig war? Ja, aber was ging ihn das an? Und jetzt musste ich auch noch hoffen, dass Finn ihr nicht versehentlich erzählte, dass er auch zu diesem mysteriösen Buchclub ging. Hoffentlich liefen sich die beiden wirklich nicht oft über den Weg in nächster Zeit.
_________________________________________안녕하세요~ (oder auch: Hallöchen) ^^
Als kleine Entschädigung für die Verspätung des letzten Kapitels, gibt es das nächste schon einen Tag früher :)
Ich hoffe, es gefällt euch~
Genießt die Sonne und einen schönen Sonntag,
Mio_Mysterium
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Oblivia - Die Vergessenen
FantasíaWas würdest du tun, wenn du plötzlich erfährst, dass du nicht wie die anderen bist? Victorias Leben war vollkommen normal - bis eines Tages Finn an ihre Schule wechselt. Plötzlich geschehen seltsame Dinge, die sich Victoria einfach nicht erklären ka...