Der gutaussehende Tod

59 7 2
                                    

Helen

Drei Tage. Kyle hatte drei ganze Tage auf dem Dachboden verbracht und nichts anderes getan, als keinen Laut von sich zu geben. Nicht einmal zum Essen war er herunter gekommen. Ich hatte das Gefühl, dass er wirklich eifersüchtig war und bekam ein furchtbar schlechtes Gewissen, sodass ich auch versuchte, Kenneth aus dem Weg zu gehen.

Alles umsonst, wie sich herausstellte, denn als Kyle endlich wieder im Wohnzimmer erschien, war er außer Atem und strahlte.

"Ich hab's geschafft."

"Was hast du geschafft?", fragte ich perplex. Ich saß auf dem Sofa, die Knie angezogen, und wehrte mich gegen die Kälte, die durch die offene Terassentür hereinwehte. Trockenes, kaltes, dunkles Wetter war etwas, das ich nur wenig bis gar nicht leiden konnte.

"Ich bin aus dem Raum gekommen. War übrigens wirklich ein Mausoleum", Kyle blickte sich um. "Wo ist Kenneth?"

"Draußen, Rasen köpfen." Von Mähen konnte bei der Höhe nicht mehr die Rede sein, schon gar nicht mit dieser altmodischen Sense. Ich sah auf den Grund meiner Teetasse und bedauerte, dass der Inhalt schon kalt war. Die ganze Sache schlug mir auf den Magen. Denn irgendwie machte ich mir eben doch Sorgen.

Ich dachte, dass Kyle jetzt zu Kenneth laufen und ihm erzählen würde, dann wäre ich endlich mit meiner Tasse kaltem Tees wieder allein. Aber Kyle ging nicht. Er setzte sich an das andere Ende der Couch. Und komischerweise spürte ich seine Anwesenheit. Kaum zu fassen, er war ganze drei Tage tot gewesen.

"Ich hab' dich vermisst", warf ich ihm vor. "Kannst du nicht mal Bescheid sagen, bevor du verschwindest?"

Kyle sah mich an. "Versprochen."

Ich starrte noch ungefähr zehn Sekunden in seine Augen, dann krabbelte ich zu ihm hinüber und suchte seine Nähe. Kyle hob einen Arm und wie ein kleiner Hund kringelte ich mich neben ihm zusammen, während er den Arm um mich legte und begann, mein Haar zu streicheln.

Kenneth trat durch die Tür. Er war nass und voller Gras und tropfte den Teppich voll. Es hatte angefangen zu regnen und entweder hatte er sich nicht rechtzeitig retten können, oder es einfach ignoriert. Der eine Kopfhörer hing aus seinem Ausschnitt, während der andere noch in seinem Ohr steckte. Sein T-Shirt klebte an seinem Oberkörper und zum ersten Mal fielen mir seine für seine schlanke Statur echt breiten Schultern auf. Sogar seine Jeans war komplett durchnässt und betonte so ziemlich alles. Die blonden Locken hingen ihm dunkel in der Stirn und betonten seinen finsteren Blick aus viel zu blauen Augen. In Kombination mit der Sense in seiner Hand sah er aus wie ein weiß gestrichener und wirklich gutaussehender Tod.

Jetzt bekam ich wirklich ein schlechtes Gewissen. In den Armen des Einen zu liegen, die Muskeln unter seinem Shirt zu spüren und seinen staubigen Duft einzuatmen, den er mit Sicherheit von seinem ewigen Dachbodenexperiment hatte, und gleichzeitig daran zu denken, wie gut der andere aussah. Pfui!

"Ach, auch mal wieder wach, toter Mann?"

Kyle nahm die Hand von meinem Kopf und setzte sich so vorsichtig auf, dass er mich nicht schlug. Auch mir war das Zucken in Kenneths linkem Auge nicht entgangen, als er in der Tür stand.

"Und? Wie hast du es geschafft? ", fragte Kenneth und schüttelte sich die Haare zurück, wobei er die Wassertropfen im ganzen Wohnzimmer verteilte.

"Ich habe Helens Vorschlag ausprobiert und die Tür aufimaginiert."

Auch ich setzte mich gerade hin und stützte dann die Ellenbogen auf die Knie. "Ja und?"

"Friedhof. Ich war auf einem Friedhof. Ich glaube, es war der, auf dem die Heimleute mich damals gefunden haben. Und es war... wie in einer Stadt. Viel zu bunt für die Hölle. Anders als bei meinen bisherigen Erfahrungen, konnte ich hier mal die Umgebung begutachten und ich muss sagen, dass es ziemlich beeindruckend ist. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es bei jedem irgendwie anders aussieht."

The Impossible Ones - Vergiss mich nicht [NICHT AKTUELLE VERSION)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt