Eifersucht, Befürchtungen und eine Lüge

57 6 0
                                    

Helen

Leer starrte ich den kleinen Teddy an, den ich an Kyles Rucksack gehängt hatte. Er hatte mal mir gehört, als Schlüsselanhänger, aber ich brauchte ihn nie. Kyle bekam jedes Mal das Grinsen, wenn er ihn sah. Jetzt wohl nicht mehr. Dieser Brief hatte es verändert.

Ein Brief veränderte alles. Kyle kam damit natürlich nicht klar. Er war sogar vier Tage lang tot, bevor er sich wieder herunter traute. Das allerdings auch nur, um mich giftig anzusehen, drei Brote von Kenneths einsamem Teller in der Küche zu klauen, in die ich ihm folgte, und wieder zu verschwinden. Seufzend bestrich ich drei weitere Brote mit Erdnussbutter und trug den Teller hinaus in den Garten.

Das Wetter war wie die Stimmung; grau und auf lange Sicht unveränderlich. Kenneth schraubte an dem LandRover herum. Eigentlich konnte Kyle das viel besser, aber der war ja tot.

Als ich neben Kenneth stand und ihm den Teller hinhielt, schob er sich dankbar ein Brot in den Mund und zog dann eine weitere Schraube am Rad fest. Dann ging er an die Schnauze und fummelte unter der Motorhaube an Kabeln herum. Seine sowieo schon schwarzen Hände wurden nicht sauberer und die Hose und das T-Shirt sahen auch nicht besser aus.

"Mach mal den Motor an", forderte er mich auf. Ich kletterte hinter das Steuer und drehte den Zündschlüssel um. Der Motor stotterte und gab ansonsten nichts von sich.

"Okay, reicht!", rief Kenneth nach dem sechsten Mal. "Die Zündkerzen sind im Arsch."

"Wir könnten Starthilfe geben, wenn wir die richtigen Kabel hätten. Der Hausgenerator steht im Keller."

"Ich weiß", sagte er und wischte sich die Hände an der Hose ab. Es sah nicht viel anders aus als vorher. Sie waren immer noch schwarz. Er bemerkte meinen leicht abwesenden Blick. In Gedanken war ich wieder einmal bei Kyle auf dem Dachboden.

"Der fängt sich schon wieder", meinte Kenneth. "Gib ihm Zeit."

"Zeit!", schnaubte ich. "Es wird nie mehr sein wie es war, verstehst du?"

Ich dachte an Kyles Meeresduft. Wie konnte ich nicht merken, dass er mein Bruder war? Mit einem Mal fühlte ich mich so leer und allein. Kenneth schien mich zu verstehen. Er streckte ohne Umschweife die schmutzigen Hände nach mir aus und zog mich an seine Brust. Die unangenehme Geborgenheit wurde jetzt zu einem miesen Trostpflaster. Gänsehaut an meinen Armen warnte mich. Aber ich brauchte das gerade.

Kenneth ließ von mir ab. Ich nickte ihm zu und er sah mich noch einmal tröstend an, bevor er sich wieder dem Auto zuwandte.

"Aha", rief da plötzlich eine Stimme erstickt. Sowohl meiner, als auch Kenneths Blick schnellten zur Tür und da stand Kyle. Mit verschränkten Armen, verletztem Gesichtsausdruck und einer bedrohlichen Lässigkeit. Trotz der Gewissheit, dass er mich nie schlagen würde, hatte ich in diesem Moment ernsthafte Angst vor ihm.

"So ist das also!", stieß er hervor und starrte mir direkt in die Augen, als wolle er mich mit seinem Blick an das Auto nageln. "Wie war das noch gleich? Du könntest niemals etwas mit ihm anfangen? Du könnetst niemals etwas mit deinem Bruder anfangen? Oder gilt das nur für mich??"

"Kyle", seufzte Kenneth und strich sich gestresst die Locken aus der Stirn. Aber es ging hier nicht um ihn und Kyles nächste Worte hätte ich ihm freundlicher auch gern gesagt.

"Du! Hast Sendepause!", sagte Kyle gefährlich beherrscht, deutete mit einem wütend zitternden Finger auf ihn, ohne ihn jedoch anzusehen, und trat einen Schritt näher. "Glaubst du wirklich, ich lass mich so leicht ersetzen? Das ist so arm!"

"Kyle, ich hab nicht...", setzte ich an, aber er unterbrach mich und seine Worte brachten mich zum Schweigen.

"Noch nicht. Aber es kommt, Helen. Ich sehe das. Und er" - wieder deutete Kyle auf Kenneth - "liebt dich schon Jahre!"

The Impossible Ones - Vergiss mich nicht [NICHT AKTUELLE VERSION)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt