...und Flucht

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Helen

Abgekämpft, müde und frustriert standen Kenneth und ich in der Küche im Cottage und versuchten, erstmal wieder zu Hause anzukommen. Der muffige Geruch eines allein gelassenen Hauses lag in der Luft und ich hätte schwören können, dass im Rest des Hauses wieder überall Fliegenleichen lagen.

"Wenn sich die Spur jetzt verloren hat, bleibt uns nichts anderes übrig als zu warten", murmelte ich entkräftet. Ich schraubte den Deckel der Wasserflasche auf und lehnte mich an den Küchentresen, während ich daraus trank.

"Er ist vorsichtig geworden. Er hat angefangen, sich nicht sehen zu lassen. Da können wir noch so lange suchen, am Ende finden wir ihn doch nicht! Vielleicht war er ja auch schon wieder hier", sagte Kenneth und griff nach der Flasche. Auch er nahm einen Schluck daraus und sah danach nicht viel erfrischter aus als vorher.

Ich seufzte. Warum konnte Kyle nicht einfach hier sein? Warum musste er sich so verstecken? Warum war er überhaupt weggelaufen?

Kenneth schien die Fragen in meinem Kopf lesen zu können. Er stellte die Wasserflasche auf dem Tisch ab und streckte wie aus Versehen die Hand nach meinem Gesicht aus.

Er fuhr mit dem Finger unter mein Kinn. "Kopf hoch", sagte er aufmunternd und zwang mich fast, ihn anzusehen. Plötzlich hatte ich solch einen Drang, ihn zu küssen. Einfach die Probleme für einen winzigen Moment vergessen und seine warme Geborgenheit spüren. Und ich hatte nicht die Kraft, diesem Drang zu widerstehen.

So legte ich eine Hand in seinen Nacken, zog daran und hatte die Augen geschlossen, bevor Kenneths Lippen meinen Mund berührten. Kenneth war nicht überrascht, nicht wirklich. Er küsste fast sofort zurück und vergrub die Hand in meinen Haaren. Er tat das so locker und selbstverständlich, dass die ganze Anspannung ein wenig von mir abfiel und ich es einfach nur genoss, jemanden zu haben, das Flattern in meinem Bauch zu spüren. Die alberne Frage aus dem Zug schoss mir durch den Kopf und ich lachte fast. 

Kyle

Hoppla, da störte ich wohl jemanden. Wie süß, ein verzweifeltes Pärchen. Gute Ablenkung, sich zu küssen. Das machte es mir leichter, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Ich hätte sie gleich umbringen können. Von hinten erschießen. Oder ich brachte sie ins Schloss. Das würde ihr ziemlich gut gefallen, weil das Blut dann frischer wäre.

Ja, das klang gut. Und ich hatte noch den Triumph, ihnen ins Gesicht zu sagen, wie sehr ich sie hasste. Okay, das war hochgegriffen. Aber wie sehr ich sie nicht mochte. Wie konnte man denn jemanden hassen, den man nur aus Bildern in einer verstaubten Kristallkugel kannte?

"Na? Machen wir uns einen schönen Tag?", fragte ich und lehnte mich so cool es gin gin den Türrahmen. Hm, was für ein schöner Anblick, in ihre erschreckten Gesichter zu sehen. 

"Kyle!", rief das Mädel erleichtert und wollte hinter dem Jungen mit dem Engelsgesicht hervor auf mich zu stürmen, wohl nicht in schlechter Absicht, doch der hielt sie mit einer starken Hand zurück. Wie gut, dass ich mich nicht prügeln musste, ich hätte sowas von verloren.

"Ich muss sie bitten, mir zu folgen", sagte ich und genoss ihre verwirrten Blicke in meinem Rücken, als ich mich umdrehte. 

"Kyle?"

Kyle, Kyle. Woher wusste die Kleine eigentlich meinen Namen? Ihren hatte ich auf jeden Fall vergessen. Irgendwas mit... Hell. Auf jeden Fall wollte ich nicht, dass sie mich so nannte. Das durfte nur meine Freundin.

"Mr. Hodgson, wenn ich bitten darf", sagte ich in möglichst hochnäsigem Ton und zog eine Augenbraue hoch. "Sie sind?"

"Kyle...?", meinte der Engelsjunge mahnend. Der auch noch? Was ging jetzt ab!? Er hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt und seine dunklen Brauen zitterten bedrohlich. Uhhh, da bekam ich ja Angst. Wie war das noch gleich? Ach ja, ich war derjenige mit der Knarre.

The Impossible Ones - Vergiss mich nicht [NICHT AKTUELLE VERSION)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt