Drei Worte, die dein Leben ruinieren: der Morgen danach

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Helen

Ich erwachte auf Kenneths pochendem Herz. Es schlug ruhig und stetig unter meinem Ohr und eine Weile hörte ich ihm nur zu. Dann bemerkte ich noch andere Sachen. Zum Beispiel, dass meine Hand, dessen Arm quer über seiner Brust lag, mit seiner verschränkt war. Oder dass er auf der anderen Seite den Arm um mich geschlungen hatte, Linien auf meine Haut zeichnete und in mein Haar atmete.

Dann bewegte ich mich und bemerkte den Kater. Mein Schädel brummte wirklich schlimm und ich fragte mich, wie viel ich wohl getrunken hatte. Ich versuchte krampfhaft, mich zu erinnern. Aber außer Kenneth und unsäglicher Aufregung verschwamm alles vor meinen Augen. Kenneth... Plötzlich erstarrte ich. Ich hob die Decke an und spähte darunter.

"Kenneth?", fragte ich panisch.

Kenneth war wach. So schlaftrunken er auch tat, er war wach.

"Hm?", brummte er und küsste mich auf den Kopf, ohne sein Kinn dabei groß zu bewegen.

"Warum sind wir nackt?"

Meine Logik war noch zu langsam, um eins und eins zusammenzuzählen. Ich brauchte erst den Beweis, dass überall um uns herum im Zimmer Klamotten verstreut lagen und es hier auf keinen Fall nach Unschuld roch. Wie in einem schlechten Liebesfilm.

"Ha... haben wir...?", stotterte ich verstört.

"Schhht", machte Kenneth sanft. Er strich mit dem Daumen über meinen Arm und lehnte sein Kinn so gegen meinen Kopf, dass ich liegen bleiben musste.

"Haben wir jetzt, oder haben wir nicht??"

Aber die Frage war unnötig. Irgendwie hoffte ich, dass die Erinnerung, die jetzt immer schärfer wurde, nur ein Trugbild meiner verkaterten Fantasie war.

"Ja", antwortete Kenneth leise und mit einer kratzigen Morgenstimme, die mich knieweich werden ließ. Verdammt, was tat ich da nur? Was hatte ich getan?

"Es... es war schön", hauchte er mir leise ins Ohr und ich musste sein Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass er schuldbewusst war und trotzdem lächelte.

Jetzt erinnerte ich mich an die letzte Nacht. Die Küsse, die Berührungen, das, was ich dabei gefühlt hatte, wie ich auf ihn zu gekommen war. Und das Schlimmste von allem war, dass es mir absolut nicht leidtat. Ich hatte keinen einzigen Gewissensbiss deswegen. Nicht ihm gegenüber. Es fühlte sich einfach nicht an, als hätte ich Kyle betrogen.

Und gestern Abend war... trotzdem ein Fehler gewesen. Nicht, weil es nicht schön gewesen war, denn das war es - Kenneth hatte Recht - sondern weil ich einfach nicht wusste, wie es jetzt weiter ging.

Ich schluckte schwer und machte Anstalten, aufzustehen. Ich wollte wegspringen. Aus diesem Zimmer heraus in eine dunkle Ecke und mich schämen. Aber Kenneth hielt mich fest. Er packte mein Handgelenk.

"Nein, geh nicht, bitte", flehte er. Allerdings beeindruckte mich das nicht wirklich und ich zerrte daran.

"Wenn du jetzt gehst, steht das zwischen uns."

Das war die Wahrheit. Ich hörte auf, mich zu wehren. Ich konnte ihn nicht so hier lassen. Ich konnte ihn nicht verlassen und diesen One-Night-Stand ignorieren, denn er würde früher oder später unser Verhältnis zerstören.

"Ich will nicht, dass du gehst", flüsterte Kenneth so leise, dass ich es kaum hören konnte, und blickte über mein Handgelenk zwischen seinen Fingern hinweg mit großen, blauen Augen in meine. Er betrachtete schließlich meine Hand und öffnete sie dann. Er schluckte und küsste in die Innenfläche, bevor er sie wieder zusammen schob und losließ, wobei ich insgeheim zu flehen begann, er möge weiter machen.

"Behalt wenigstens das", murmelte er und ließ sie los. Dann gab er sich einen Ruck und setzte sich auf. Ich kletterte von seinen Beinen, damit er aufstehen konnte.

"Das bleibt in diesem Zimmer?", fragte ich möglichst sachlich, während ich mich bemühte, ihn nicht anzustarren. Ich schaffte es nicht. Was ihn allerdings überhaupt nicht zu stören schien. Er war sehr schön, auch wenn ich krampfhaft versuchte, es zu leugnen, und ich bekam es leider nicht auf die Reihe, den Ausdruck des Bedauerns von meinem Gesicht zu wischen, bevor er mich ansah.

Kenneth lachte. "Nur, wenn du aufhören kannst, mich so anzusehen, sonst garantiere ich für nichts."

Er zog sich seine Hose wieder an. "Ich mache Frühstück" - dann sah er mein Gesicht und grinste noch einmal - "und Kaffee."

Gedankenverloren starrte ich auf die Tür, die er hinter sich geschlossen hatte. Dann sah ich auf meine Hand hinunter und öffnete sie. Ich spürte Kenneths Lippen noch immer auf meiner Haut und das Kribbeln, das er hinterlassen hatte, überdeutlich. Mit einem Mal bedauerte ich zutiefst, dass er das Zimmer verlassen hatte.

Ich machte mir nicht die Mühe, meine Party-Klamotten aufzusammeln. Dafür war später Zeit. Ich zog einfach meine Unterwäsche wieder an und spazierte aus dem Raum.

Als ich in Jeans und T-Shirt aus meinem Zimmer kam, duftete es schon herrlich nach Kaffee und Kenneth stand ohne Oberteil vor dem Herd und beobachtete die Spiegeleier.

"Wie gesagt, ich garantiere für nichts."

Bedauerlicherweise hatte ich nicht das Frühstück, sondern ihn hungrig angesehen. Zum Teufel, wie sollte ich es auch nicht tun. Schnell machte ich mich daran, zwei Tassen mit heißem Kaffee zu füllen.

Als der erste Schluck des braunen Gebräus zu wirken begann, hatte ich den Becher schon ausgetrunken.

Doch ich hätte es lieber nicht einen Tropfen anrühren sollen. Denn mit mir erwachte auch mein Gewissen und das biss ohne Rücksicht auf Verluste kräftig zu. Aber nicht, weil ich mit Kenneth geschlafen und es genossen hatte, sondern weil ich mich deswegen absolut nicht schuldig fühlte.

Schweigend aß ich mein Ei und starrte den Teller und bloß nicht Kenneth an.

"Ich hab mir gedacht, wir reisen los", sagte er. Ich kaute weiter und sah ihn immer noch nicht an.

"Hm.. wohin?", murmelte ich meinem Teller zu.

"Wir suchen Kyle. Das Warten bringt uns um", sagte er schlicht. Wie recht er doch hatte. Wenn das so lief wie letzte Nacht, war spätestens nach einer Woche zumindest ich an meinem Gewissen erstickt.

"Und wie stellst du dir das vor?", fragte ich, diesmal wagte ich es, ihn anzusehen. Er trug einen Pullover und blickte genau so den Teller an wie ich eben.

"Wir suchen an seinen Lieblingsplätzen", sagte er. "Orte, an denen er gern ist, wo er hin könnte... wir kennen ihn beide ziemlich gut. Und mit ein bisschen Hilfe der Leute drum herum sollten wir zumindest eine Spur finden."

"Sollten wir nicht in der Stadt anfangen?", warf ich ein. "Immerhin muss er ja von dort irgendwie losgereist sein. Mit Bus oder Bahn. Wenn sich irgendwer von den Leuten am Bahnhof an ihn erinnert, haben wir vielleicht eine Chance zu ahnen, wo er hin ist."

"Helen, das ist über zwei Monate her, glaubst du, da erinnert sich noch einer an einen Durchschnittsteenager?"

Jetzt blickte Kenneth mich zweifelnd an.

"Vielleicht ist er ja mal wieder unfreiwillig ohnmächtig geworden? Dann erinnert sich bestimmt irgendwer daran. Komm, ein Versuch ist es wert."

Ich seufzte und fuhr mir mit der Hand durch die verknoteten Strähnen. Ich glaubte nicht daran, dass wir ihn finden würden. Aber solange Kenneth darauf vertraute, konnte ich wenigstens so tun. Und eine Aufgabe lenkte vielleicht von meinem Gefühlschaos ab.

"Also gut, packen wir es."

The Impossible Ones - Vergiss mich nicht [NICHT AKTUELLE VERSION)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt