Die Unmöglichen

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Kenneth

Als Helen die Tür hinter sich ins Schloss fallen und mich mit Michael allein ließ, sah er mich nicht an. Der eben noch so bewusst wirkende Mann schwieg und schien zu überlegen, was er sagen sollte. Ich hatte eine Million Fragen an den einzigen meiner Familie, der noch lebte, und keine einzige fiel mir ein. Also saß ich ebenso stumm vor ihm, wie er vor mir. Das gab mir Gelegenheit, mich auf seinem Schreibtisch umzusehen. Dort standen neben Stifthaltern, Lampe, Locher und was man sonst noch auf einem Schreibtisch brauchte, zwei Fotos. Ihre Vorderseite war weit genug zu mir gedreht, dass ich gerade so erkennen konnte, was darauf zu sehen war.

Auf dem einen war eine Familie mit zwei Kindern zu sehen. Die Frau und der Mann mussten Vater und Mutter von Kyle und Helen sein, denn es waren die gleichen, die auch auf dem Foto im Cottage zu sehen waren. Demnach sollten die Kinder Kyle und Helen selbst sein. 

Auf dem anderen Foto lachten eine hübsche, junge Frau mit kastanienbraunem Pferdeschwanz und ein ebenso junger, schwarzhaariger Mann, der einen kleinen, lachenden Jungen mit verstrubbelten blonden Locken auf den Schultern trug, auf ewig in die Kamera. Ohne dass ich schlussfolgerte, war mir sofort klar, dass ich mich selbst mit Vater und Mutter sah.

"Wer... wer waren meine Eltern?", fragte ich endlich. "Und... Kyles und Helens?"

Ich sah, dass Michael meinem Blick auf das Foto gefolgt war und er wusste besser als ich, dass ich keine Ähnlichkeit mit meinen Eltern hatte. Ich hatte seine Augen, seine Haare, sein Gesicht... Da stellte sich die Frage, ob...

"Deine Eltern waren deine Eltern", antwortete Michael. "Ganz sicher. Thomas und Emily. Sie waren gut. Emily war der liebste Mensch, den ich kannte, gütig und versdtändnisvoll, und wir alle haben sie sehr gern gehabt. Sie war eine Heilerin, unter ihrer Hand wurde jeder wieder gesund. Und Thomas... nun ja, er war mein Bruder. Wir hatten so unsere Meinungsverschiedenheiten, aber wir waren Brüder, und das ist ein sehr starkes Band. Er war etwas Besonderes. Er konnte sich jede Unmöglichenkraft aneignen, wenn er einen seiner Sorte berührte. Und er hat es letztendlich dazu genutzt, uns alle zu befreien. Sie beide haben dich sehr geliebt, Kenneth."

Ich glaubte ihm. Er log mich nicht an, er war mein Onkel. Und mein Vater? War ein Held. Was war ich ihm dann schuldig? Ich schob das beiseite. Ich wollte den Mann vor mir verstehen. War er dann ein Feigling, weil er noch hier war? Oder hatte er alles für seine Freunde getan? "Und... Nick?"

Michael sah mich an und lachte. "Nick war mein Bruder im Geiste. Für den Mist, für den Thomas nicht zu haben war, hatte ich ihn..."

Für einen Augenblick schwelgte er in Erinnerungen und ich musste lachen, bei dem Gedanken an einen jungen Michael, der mit einem anderen Jungen zusammen Briefkästen bemalte.

"Er war Seher. Wenn er wollte, konnte er jeden Augenblick an einem anderen Ort auf der Welt sehen, was gesachah. Ähnlich wie bei Kyle wechselte er dabei nur den Standort seines Geistes. So haben wir auch die Hexe gefunden."

Also war ich nicht der einzige, dessen bester Freund gelegentlich mal scheintot wurde. Mir wurde bewusst, dass Michael und der Rest der Unmöglichen die einzigen waren, die uns mit unserem Kyle-Problem helfen konnten.

Michael holte einmal tief Luft, bevor er sich über den Tisch beugte und mir direkt in die Augen sah. Er lächelte, aber er war durch und durch ernst. "Du bist jemand besonderes. Schon als du noch ganz klein warst, wussten wir, du würdest mächtig sein, egal welche Gabe du hast. Du warst sehr klug, klüger als es mir lieb war. Und jetzt sieh dich an. Ein starker, junger Mann. Du kannst uns alle beschützen. Du bist mit einer sehr mächtigen Gabe gesegnet, Kenneth. Sie haben sie dir nicht umsonst gegeben."

Die Frage, wer 'Sie' waren, sparte ich mir. Ich konnte mir denken, dass das etwas mit dem Jenseits zu tun haben musste. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass Michael mir gerade sagte, dass ich Kyle allein aufhalten sollte. Oder die Hexe. Ob ich den Mut dazu hatte, stand nicht infrage, aber was würde Helen dazu sagen? 

The Impossible Ones - Vergiss mich nicht [NICHT AKTUELLE VERSION)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt