Liebeskummer der besonderen Art

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Helen

Liebeskummer. Liebeskummer ist schlichtweg scheiße. Man sitzt nur da, trinkt Heißgetränke und ist sauer. Allerdings ist nichts schlimmer, als auf niemanden sauer sein zu können. Kyle konnte nichts dafür, Kenneth schon gar nicht und unsere Eltern konnten ja nicht wissen, dass ihre Kinder Geschwistergefühle mit Liebe verwechseln. Jetzt blieb mir nur noch, böse auf Kenneth zu sein, weil er seine Ahnungen nicht preisgegeben hatte. Aber nicht einmal dafür konnte er  wirklich etwas. Immerhin hatte er Recht und wir hätten ihm niemals geglaubt. Trotzdem bereute ich die Ohrfeige nicht.

Kenneth ließ mich in Ruhe. Er sprach kaum ein Wort mit mir, antwortete jedoch auf jede meiner unausgesprochenen und gestellten Fragen.

Ich saß tagelang nur vor dem Kamin und stand nicht einmal zum Essen auf. Kenneth brachte es mir immer, ohne dass ich merkte, wie er neben mich trat. Ich konnte nicht wirklich böse auf ihn sein. Er tat nämlich alles und noch ein bisschen mehr für mich. War da, ging wieder, zeigte, dass er mich nicht allein ließ. Doch nichts konnte gegen die Leere helfen, nicht einmal seine Kavaliersdelikte. Und keine einzige Träne verließ mein Auge.

"Soll... soll ich Kyle von dir grüßen?", meinte Kenneth eines Abends zögernd. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er sich hinter mir auf die Sofalehne gesetzt hatte. Die tanzenden Schatten des Feuers im Kamin spiegelten sich in seinen Augen und es sah aus, als würde er ruhig vor sich hin brennen, und das obwohl seine Augen eigentlich blau waren.

"Was? Du hast Kontakt zu ihm?", meine Wut begann, wieder aufzusteigen und ich runzelte so heftig die Stirn, dass ich davon Kopfschmerzen bekam. Allerdings verebbte das Gefühl schnell wieder, weil in mir einfach alle Gefühle durch einen leeren, schwarzen Tunnel jagten und im endlosen Nichts verschwanden. Ich fühlte mich diesem Nichts übrigens näher als mir lieb war und es kam auch immer weiter zu mir. Und die ganze Zeit  tropfte nicht eine Träne zu Boden.

"Nein", entgegnete Kenneth ruhig. "Ich schreib ihm zum Geburtstag 'ne SMS."

Ich seufzte. Ich wusste, Kyle würde nicht antworten. Er hatte sich nicht gemeldet und er würde auch nicht zurückschreiben. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er eines Tages ohne Vorwarnung wieder vor der Tür stehen würde. Oder eben auch nicht. Melden würde er sich nie. Den Stolz konnte er nicht hinunterschlucken. Das machte mich krank. Und leer. Aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Ich sagte mit selber, dass es nichts war. Und ich war eine schlechte Lügnerin.

"Tu' das", sagte ich. Dann wandte ich meinen Blick wieder dem Kamin zu. Ich zog die Schultern und Knie an und schlang die Arme um meine Beine. Seit Kyle fort war, war mir ständig kalt. Ich fühlte mich irgendwie allein gelassen.

Mit einem Mal spürte ich warme, sanfte, kraftvolle Hände auf meinen Schultern. Sie massierten meine angespannte Muskulatur und jagten mir bei jeder Bewegung wohlige Schauer über den Rücken. Angenehmes Kribbeln breitete sich aus.

Ich schloss die Augen und lehnte mich gegen die Liebkosung. Kenneth hörte nicht damit auf. Er strich mit den Daumen bis knapp unter die Schulterblätter, beließ es aber dabei und war gleich darauf wieder bei meinen Schultern. Er fasste mich nicht an.

"Hast du mal daran gedacht, Physiotherapeut zu werden?", fragte ich verträumt. Das Knistern des Feuers übertönte meine Worte fast. Aber Kenneth hörte trotzdem.

"Nein...", sagte er leise und räusperte das Raue aus seiner Stimme. Ich musste ihm nicht sagen, dass er genau in diesem Moment auf den Muskel unterhalb des linken Schulterblattes drücken musste, denn er tat es einfach. Er hatte ein Händchen dafür.

"Du machst das echt gut", redete ich weiter und sogar meine zusammengekauerte Haltung löste sich allmählich auf.

"Ist das eine, ein hübsches Mädchen mit Liebeskummer zu trösten und das andere einen fetten Sack ohne Job die Faulheit auszumassieren."

The Impossible Ones - Vergiss mich nicht [NICHT AKTUELLE VERSION)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt