Chapter 48

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„Ich weiß, dass das gerade eine echt bescheuerte Situation für dich ist und es tut mir auch leid, dass ich dich quasi dazu zwinge, das alles noch einmal durchzumachen, aber ich wollte dir nur sagen, dass es Jake auch nicht sonderlich gut geht. Genau genommen ist das eine Untertreibung, ihm geht es wirklich miserabel – so miserabel, wie es dir wohl auch gehen muss."

Empört wollte ich schon den Mund öffnen, ihr meine Meinung sagen, ihr klar machen, dass es Jake ja wohl nicht schlecht gehen könne, er das alles nun einmal schuld war, aber wieder einmal fanden die Worte über Jake ihren Weg durch meinen Mund nicht. Ich kam mir vor, als sei ich physisch einfach nicht in der Lage, die Dinge auszusprechen, die mir eigentlich auf der Zunge lagen, also schloss ich den Mund wieder.

„Ich weiß. Dass, was ich sage, ist natürlich noch viel verwirrender als die Situation an sich generell schon ist, aber ich wollte dir das definitiv irgendwie mitteilen. Ich wollte, dass du weißt, wie es Jake geht, denn er kann ein wirklich guter Schauspieler sein und ich weiß, dass er nicht wollte, dass du siehst, wie es ihm wirklich geht. Und ich wollte dir auch sagen, dass du ihm wirklich wichtig bist, Claire. Ich denke, du magst mich jetzt vielleicht für verrückt erklären, dass ich dir so etwas sage, gerade nachdem er sich dir gegenüber so blöd und unfair verhalten hat, aber er ist kein schlechter Kerl. Klar, er macht genau wie jeder andere Mensch auch Fehler, schwerwiegende Fehler, aber er würde niemals jemanden absichtlich verletzen. Und soweit ich das beurteilen kann – und das kann ich eigentlich ziemlich gut, da ich weiß, wie Jake tickt – würde er gerade dich am allerwenigsten verletzen wollen. Er mag dich wirklich, Claire."

Ich musste schlucken. Klar, dass, was sie sagte, war wie eine Art Balsam für meine Seele, aber nichtsdestotrotz passte es nicht mit der Art zusammen, wie Jake sich mir gegenüber verhielt. Ich holte tief Luft und wappnete mich innerlich für die Worte, die ich sagen wollte und von denen ich aber wusste, dass sie schmerzhaft sein würden.

„Wenn ich Jake wirklich so viel bedeuten würde wie du denkst, dann hätte er nicht so plötzlich unsere Freundschaft beendet. Dann hätte er zumindest mit mir geredet und mir einen Grund für sein Verhalten genannt oder so. Selbst wenn er nun jemanden kennengelernt hat, jemanden, mit dem er sich eine richtige Beziehung vorstellen kann, dann hätte er mir das doch sagen können, immerhin hatten wir dann sowieso vor, unsere Fake-Beziehung zu beenden. Aber anscheinend bin ich ihm nicht einmal wichtig genug dafür, dass er es mir sagt und ehrlich ist."

Wütend blinzelte ich die Tränen weg, die sich in meinen Augen gesammelt hatten, während ich diese Worte ausgesprochen hatte, diese Worte, von denen ich sicher war, dass sie die einzige logische Erklärung für Jakes Verhalten darstellten. Zum ersten Mal hatte ich das in Worte gefasst, was mir so schwer auf der Seele lag, aber ich war mir nicht sicher, ob mir diese Art von Endgültigkeit nun guttat oder ob sie alles nur noch schlimmer machte.

Emily schwieg eine Weile lang und sah mich nur stumm an. Vielleicht versuchte sie ja einzuschätzen, ob ich noch wirklich zu weinen beginnen würde, aber da ich solche Gefühlsausbrüche hasste, musste sie sich da eigentlich keine Gedanken machen. Außerdem kannte ich sie ja gar nicht wirklich, bei Jo meine wahren Gefühle zu zeigen war da schon etwas anderes.

„Ich kann dir nicht sagen, was du jetzt denken sollst", begann Emily leise und langsam, beinahe so, als würde ihr meine Traurigkeit auch zusetzen. „Ich kann dir nur sagen, wie ich persönlich Jake und seine Gefühle einschätze. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich an deiner Stelle verhalten würde, aber glaub mir – Jake ist wirklich kein schlechter Kerl. Er steht immer für die Leute ein, die ihm etwas bedeuten und er hätte niemals so viel Zeit mit dir verbracht, wenn du ihm nicht wichtig wärst. Jake ist wirklich einer der einfühlsamsten Menschen, die ich kenne und ich weiß, dass er sich selbst für das fertig macht, was er getan hat." Sie seufzte, nahm noch einen Schluck von ihrem Wasser und sah dann wieder in meine Augen, die wahrscheinlich immer noch ein wenig nass glitzerten.

„Ich glaube, ich sollte gehen", meinte sie dann abrupt und griff nach ihrer Tasche. Ein wenig überrumpelt begleitete ich sie zur Haustür. Noch immer wusste ich nicht, was ich von alldem halten sollte; von Emily, von dem, was sie erzählt hatte, und von Jake selbst.

„Ich kann dir meine Handynummer geben, wenn du möchtest", sagte Emily nachdenklich, als sie sich an der Tür noch einmal zu mir umdrehte. „Ich könnte mir vorstellen, dass du manchmal vielleicht einfach mit jemandem über diese ganze Fake-Sache reden möchtest, aber genau wie Jake kannst du das ja nicht mit deinen Freunden tun. Von daher..." Sie brach ihren Satz ab und sah mich abwartend an.

Ich ließ mir den Gedanken durch den Kopf gehen. Klar, die Situation – auch jetzt mit Emily – war mehr als seltsam, aber ihr Vorschlag machte schon Sinn. Ich wusste zwar nicht, wann ich bereit sein würde, komplett offen über meine Gefühle sprechen zu können – und selbst dann wusste ich natürlich nicht, ob ich Emily, einer Freundin von Jake, würde vertrauen können –, aber schaden konnte es auch nicht, ihre Nummer zu haben. Also nickte ich und sie trug ihre Nummer in mein Handy ein.

„Es war wirklich schön, dich nun endlich persönlich kennenzulernen, Claire. Jetzt kann ich nachvollziehen, wieso Jake gerade dich gefragt hat, seine Fake-Freundin zu werden", meinte Emily und ich zog – wie schon so oft während des Gesprächs mit Emily – verwirrt die Augenbrauen zusammen. Erst einmal hörte es sich so an, als hätte Jake schon viel von mir erzählt, und andererseits war ich mehr als die Hälfte der Zeit, in der sie hier gewesen war, entweder vollends verwirrt oder den Tränen nah gewesen. Emily lächelte mir trotz meines verwirrten Gesichtsausdrucks noch einmal kurz zu und wollte sich schon zur Haustür herumdrehen, da fiel mir plötzlich noch etwas ein.

„Warte!", rief ich und sie wandte sich erwartungsvoll wieder mir zu. „Jake...", begann ich, wusste dann aber zuerst doch nicht genau, wie ich meinen Satz zu einem Ende führen sollte. „Weiß er – weiß Jake, dass du bei mir warst?" Beinahe schon ungeduldig, ihre Antwort zu hören, sah ich sie an.

Ein leichtes, beinahe schon ein wenig schelmisches Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, von dem ich zunächst nicht wusste, was es denn bedeuten sollte. „Nein, das weiß er nicht. Er hat überhaupt keine Ahnung, dass ich dich besuchen gekommen bin." Sie lächelte mir noch ein letztes Mal zu, dann drehte sie sich wirklich um und verschwand die Einfahrt hinunter.

Nachdenklich schloss ich die Haustür wieder. Ich war mir immer noch nicht ganz sicher, was die Intention von Emilys Besuch gewesen war, und noch weniger wusste ich, was ich davon halten sollte. So, wie es sich angehört hatte, hatte sie versucht, mir zu erklären, dass Jake ein guter Mensch war, der niemals absichtlich andere Personen verletzen würde – und mich ihrer Meinung nach schon gar nicht. Aber das ergab keinen Sinn, denn immerhin hatte Jake mich wirklich ziemlich verletzt.

Besonders verwirrt hatte mich auch ihr Gerede darüber, dass Jake einen Fehler gemacht, beziehungsweise Mist gebaut hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das mit der Situation in Verbindung bringen sollte, in der ich im Moment nun mal steckte. Klar, ich würde nichts lieber tun, als glauben, dass das alles nur ein schreckliches Missverständnis war, das man aufklären könnte, aber ich wusste einfach nicht wie Jakes Verhalten zu erklären war.

Und außerdem wollte ich alles in meiner Macht Stehende dafür tun, mich nicht noch einmal so in jemandem zu täuschen und dann im Endeffekt nur wieder verletzt zu werden.

PretendingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt