Chapter 46

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Die nächsten Schultage bis zum Wochenende vergingen ähnlich wie der Montag nach dem Wochenende mit Jakes Familienfeier und der Wahrheit-oder-Pflicht-Runde. Wenn Jake irgendeine, für Paare typische Geste machte, stand ich meistens so, dass unsere Freunde meinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnten. Ich sah Jake fast nie in die Augen, nur wenn ich es zwingend musste. Und wenn er mich vom Unterricht abholte, um mit mir zusammen in die Cafeteria zu gehen, liefen wir schweigend nebeneinander die Gänge hinunter, ohne uns auch nur anzusehen.

Mittlerweile fragte ich mich wirklich, warum er nicht auch unsere Fake-Beziehung beendet hatte. Ihm musste doch klar gewesen sein, dass es echt schwierig und kompliziert werden würde, so zu tun, als sei man ein frischverliebtes, glückliches Paar, wenn man nicht mehr miteinander redete. Und dass wir nicht mehr miteinander redeten, lag selbstverständlich an dem, was er gesagt und getan hatte.

Als es dann endlich zum Ende der letzten Unterrichtsstunde am Freitagnachmittag klingelte, war ich aber doch ziemlich erleichtert, Jake zumindest für zwei Tage nicht sehen zu müssen, weshalb ich ziemlich positiv gestimmt mit dem Bus nach Hause gefahren war. Klar, Montag würde es mir höchstwahrscheinlich nicht besser als heute gehen, aber zwei Tage Abstand würden mir doch guttun, da war ich mir sicher.

Ehrlichgesagt wunderte es mich überhaupt, dass noch keiner meiner Freunde, nicht einmal Jo, erkannt hatten, dass irgendetwas zwischen Jake und mir nicht stimmte und dass es mir in Wahrheit ziemlich mies ging. Aber anscheinend war ich doch eine bessere Schauspielerin als ich dachte, nur war das in der Situation, in der ich mich gerade befand, kein Grund zur Freude, im Gegenteil.

Ich überlegte, ob ich nicht einfach am Montag selbst die (Fake-)Beziehung mit Jake beenden sollte, aber andererseits müsste ich dann viel zu viele Fragen beantworten, und zwar nicht nur von unseren Freunden. Auch wenn Jake und ich schon einige Zeit lang nicht mehr das Gesprächsthema Nummer 1 an unserer Schule waren, würde man uns trotzdem von allen Seiten mit Fragen bombardieren – und das würde ich mit Sicherheit nicht überstehen, dessen war ich mir auf jeden Fall sicher.

Wie also komplett den Kontakt mit Jake abbrechen, ohne dass jemand Fragen stellte und ich darüber reden musste? Mir war beim besten Willen in den letzten Tagen nichts eingefallen, aber vielleicht hatte ich ja bis zum nächsten Schultag mehr Glück. Und wenn ich alleine keine Lösung finden würde, dann würde ich doch mit Jo reden – und ihr von allem erzählen, von wirklich allem.

Klar, Jake und ich hatten ausgemacht, niemandem von unserer Fake-Beziehung zu erzählen, aber so wie er sich benommen hatte, war es wirklich nicht schlimm, wenn ich dann dieses Versprechen brach. Ich schuldete ihm nach seinem Verhalten nämlich gar nichts, wirklich überhaupt nichts. Das war mein einziger Trost, aber auch er half natürlich nicht sehr gegen das Gefühl, das mich seit Sonntag nicht mehr verlassen hatte.

Als ich die Haustür aufschloss und den Schlüssel mehrmals im Schloss drehen musste, da die Tür nicht nur zugezogen, sondern auch abgeschlossen worden war, merkte ich, dass von meinen Eltern wohl noch keiner zuhause war. Kein Wunder, ich hatte am heutigen Tag ausnahmsweise einmal nicht so lange Unterricht wie an den meisten sonstigen Tagen gehabt, was eigentlich einen guten Start ins Wochenende darstellte. Eigentlich.

Ich entschied mich dazu, einen Film zu schauen, nachdem ich eine Kleinigkeit gegessen hatte. Meine Wahl fiel auf einen Actionfilm, den ich vor ein paar Tagen auf Netflix entdeckt hatte. Wirklich konzentrieren auf das, was gerade auf dem Bildschirm vor mir passierte, konnte ich mich allerdings trotzdem nicht, warum auch immer. Vielleicht lag es ja an meiner inneren, emotionalen Unruhe, wer wusste das ja schon.

Gerade deswegen störte es mich auch nicht, als es mitten während einer spannenden Szene an der Haustür klingelte. Einen kurzen Moment lang flatterte mein Herz auf und ich überlegte, ob nicht Jake da stehen könnte, der mir eine total schlüssige Erklärung für sein Verhalten liefern würde, aber andererseits wusste ich, dass er heute eigentlich bei Tyler war. Darüber hatten die beiden jedenfalls in irgendeiner Pause heute in der Schule gesprochen. Und obwohl ich aus so vielen Gründen sicher war, dass es nicht Jake war, hoffte ich es natürlich trotzdem insgeheim.

Als ich dann aber die Haustür öffnete, wich meine Hoffnung und verwirrt starrte ich das Mädchen an, das da vor mir stand und offensichtlich geklingelt hatte. Ich hatte keine Ahnung wer sie war und was sie von mir wollte, aber auf unsere Schule ging sie bestimmt nicht, sonst wäre mir ihr Gesicht nicht so komplett fremd vorgekommen.

„Hi", sagte ich, aber betonte meine Begrüßung eher so, als sei sie eine Frage. Das Fremde, braunhaarige Mädchen sah mich mit einem freundlichen Lächeln an, was mich nur noch mehr verwirrte.

„Hallo. Du bist Claire, stimmt's?"

„Ja?" Schon wieder klang meine Antwort wie eine Frage, aber das war mir im Moment ziemlich egal. Sie war immerhin diejenige, die einfach bei mir aufgetaucht war. Andererseits wirkte sie – nachdem ich sie noch einmal kurz genauer betrachtet hatte – nicht ganz so selbstbewusst, wie sie mir am Anfang vorgekommen war, beispielsweise spielte sie mit ihrer Hand ein wenig nervös am Riemen ihrer Umhängetasche herum, während sie sprach.

„Ich bin Emily Parker. Eine Freundin von Jake. Er hat dir doch schon einmal von mir erzählt, habe ich recht?" Aufgrund des Stiches, den Jakes Name aus ihrem Mund bei mir verursachte, war ich nicht in der Lage, etwas zu sagen, und nickte lediglich. Die Situation war gerade ziemlich absurd. Emily Parker war anscheinend das Mädchen, das eine ganze Zeit lang Jakes beste Freundin gewesen war, ehe die ganze Sache mit Dylan und dem Umzug passiert war. Aber was machte sie nur auf einmal wieder hier in der Stadt und dann auch noch vor meiner Haustür? Mein Gesichtsausdruck musste wohl ziemlich verwirrt und lustig ausgesehen haben, jedenfalls schien es so, als könnte das Mädchen vor mir gar nicht anders, als kurz zu grinsen.

„Okay, ich weiß, du fragst dich natürlich, was ich hier bei dir mache, wo ich doch schon vor längerer Zeit von hier weggezogen bin und auch die Freundschaft von Jake und mir darunter gelitten hatte. Das verstehe ich natürlich. Lässt du mich vielleicht kurz rein? Dann erkläre ich es dir, das wollte ich jetzt aber nicht machen, während ich immer noch vor der Haustüre stehe." Jetzt war Emily diejenige, die ihre letzte Aussage wie eine unsichere Frage klingen ließ und ich malte mir aus, dass die Situation hier auch für sie ziemlich absurd sein musste. Aber immerhin war ich nun doch neugierig geworden und wollte wissen, was Emily dazu gebracht hatte, an meiner Haustür zu klingeln.

„Klar", antwortete ich also und öffnete die Tür ein weiteres Stück, um Emily ins Haus zu lassen, ehe ich die Tür hinter ihr wieder schloss. Verstohlen beobachtete ich, wie sie ihre Schuhe auszog und neben meine stellte, die auch im Flur standen. Irgendwie hatte ich mir Jakes ehemalig beste Freundin Emily als noch viel unsicherer vorgestellt, nach allem, was mit Dylan geschehen war, aber wahrscheinlich hatte ihr der Umzug und der Abstand zwischen ihr und dem Geschehenen wirklich gutgetan.

„Möchtest du vielleicht ein Glas Wasser haben?", fragte ich um die Stimmung doch noch ein wenig weiter zu lockern und sie nickte dankend.

„Gerne." Sie folgte mir in die Küche und ich goss uns zwei Gläser Wasser ein. Wir setzten uns beide an den großen Esstisch und nachdem sie ein paar Schlucke getrunken hatte, sah sie mich an. Gespannt erwiderte ich ihren Blick, denn ich war wirklich neugierig, warum sie hier war und was sie mir denn zu erzählen hatte.

PretendingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt