Chapter 52

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Sobald ich aus dem Café getreten war und den kühlen Wind in meinem Gesicht spürte, begann ich, meine Entscheidung zu bereuen. Natürlich wusste ich, dass ich ihm nicht so einfach verzeihen durfte und konnte – immerhin hatte sich der Jake, den ich immer als selbstlos und überaus mitfühlend empfunden hatte, als das genaue Gegenteil herausgestellt. Im Konflikt dazu standen aber nun mal meine Gefühle für eben diesen Jake, der seinen Aussagen nach in mich verliebt war und dem das Geschehene leidtat.

Nichtsdestotrotz kramte ich in meiner Tasche nach meinen Kopfhörern, verband diese mit meinem Handy und drückte auf den Shuffle-Button meiner Lieblingsplaylist, während ich mich auf den Weg zur nächstliegenden Bushaltestelle machte. Wenn ich jetzt in dieser Situation eins ganz besonders brauchte, dann war es Musik.

Im Bus und auf dem Weg von der Bushaltestelle, an der ich ausstieg, bis nach Hause, ließ ich mein Gespräch mit Jake noch einmal im Kopf Revue passieren und mir wurde bewusst, dass mir doch noch immer einige Fragen im Kopf umher spukten. Das war natürlich eigentlich kein Wunder, ich hatte nicht viel gesagt und Jake das Reden überlassen, aber war so natürlich keine meiner Fragen losgeworden.

Das Problem lag jedoch darin, dass ich zwar gerne Antworten auf meine Fragen hätte, mir aber nicht sicher war, ob ich es denn schaffen würde, Jake noch einmal so unter die Augen zu treten und über dieses Thema zu sprechen. Jake gegenüber hatte ich es auch schon formuliert: „Ich brauchte einfach Zeit." Und wahrscheinlich stimmte das eben einfach. Ich musste meinen Kopf etwas klarer bekommen, ehe ich mit Jake wieder über dieses Thema sprechen konnte, denn ich war mir sicher, dass ein erneutes Gespräch unvermeidbar war – gerade, weil Jake gemeint hatte, er hätte Gefühle für mich.

Ausgehend von dieser Erkenntnis, holte ich, sobald ich wieder zuhause war, meine Sportsachen aus meinem Schrank. Wenn ich einfach einmal gar nichts denken oder meine Gedanken ordnen wollte, dann halfen mir meistens zwei Dinge: Musik hören und Laufen. Und da es erst kurz nach halb sieben war (mein Gespräch mit Jake hatte nicht lange gedauert und auch auf der Busfahrt wieder nach Hause hatte ich nicht umsteigen müssen) hatte ich mich kurzfristig dazu entschieden, noch eine Runde laufen zu gehen.

Ich war schon ewig nicht mehr wirklich gejoggt – abgesehen vom Sportunterricht natürlich –, aber sobald ich die ersten paar Meter hinter mich gebracht hatte und sich meine Muskeln an den Laufrhythmus gewöhnt hatten, spürte ich, wie mich diese Ruhe überkam, die ich beim Laufen immer verspürte. Alles andere rückte für mich dann einfach in den Hintergrund und das tat meistens einfach verdammt gut.

Letztendlich fiel meine Runde nicht so klein aus, wie ich ursprünglich gedacht hatte, aber die Musik, das Laufen und die frische Luft hatten mir echt gutgetan. So gut sogar, dass ich schon wieder ein wenig lachen musste, als mein Vater nichts sagte und mich lediglich mit verdutzter Miene und einer hochgezogenen Augenbraue ansah, als ich mit Ohrstöpseln in den Ohren, ein wenig verschwitzt und mit dreckigen Schuhen (der Waldweg war leicht feucht gewesen) zur Tür hineinkam.

Meine Mutter wiederum lächelte genau wie ich, aber an ihrem Blick konnte ich ablesen, dass sie genau wusste, wieso ich laufen und somit den Kopf klar bekommen wollte. Sie sprach es natürlich nicht aus und wieder einmal war ich dankbar dafür, dass sie mich so ohne Worte verstand. Ich empfand es nicht immer als leicht, über meine Gefühle oder Gedanken zu reden und deswegen passte es perfekt, dass meine Mutter mir so vieles vom Gesicht ablesen konnte.

Nachdem ich mich kurz mit meinen Eltern unterhalten hatte, ging ich wieder nach oben in mein Zimmer, um mich im daran liegenden Bad schnell zu duschen. Auch unter der Dusche konnte ich immer gut nachdenken und so kam es, dass ich das Wasser auf meinen Kopf rieseln ließ und zum ersten Mal seit vergangenem Sonntag ganz rational überlegte, wie ich mich weiterhin verhalten sollte. Wie sollte ich unseren Freunden erklären, dass Jakes und meine (Fake-)Beziehung ein Ende hatte? Genau genommen, wie sollte ich mit Jo darüber reden? Und wie sollte ich die ganzen restlichen Pausen mit Jake überstehen, da unsere Freundesgruppen sich ja mittlerweile vermischt hatten?

Kurz um, ich hatte keine Ahnung, und dabei waren diese Fragen nur ein Bruchteil der ganzen unbeantworteten Dinge, die mir im Kopf umher spukten. Ich wollte Jake wirklich nicht noch einmal unter die Augen treten – aber konnte mir einfach keine andere Lösung vorstellen. Ich seufzte. Warum nur war mein Leben auf einmal so kompliziert geworden? Alles hatte mit dieser Fake-Beziehung angefangen, dieser blöden Idee von Jake, und der noch bescheuerteren Entscheidung von mir, bei dieser absurden Geschichte auch noch mitzuspielen. Wie um alles in der Welt hatte das nur passieren können?

Ich seufzte noch einmal. Immerhin war diese ganze Fake-Beziehungs-Geschichte nicht nur eine blöde Idee gewesen, es hatte auch viele schöne Momente gegeben. Ich hatte es gemocht, Jake näher kennenzulernen und freute mich auch, dass es jetzt so viele Leute mehr in meinem Leben gab, die mir wichtig waren. Ohne Jakes und mein Übereinkommen hätte ich Jakes Freunde natürlich überhaupt nicht kennengelernt. Aber trotzdem hatte alles kein gutes Ende genommen und hätte ich solch eine Situation – wie die, in der ich jetzt steckte – am Anfang voraussehen können, hätte mich noch kein so nerviger Typ wie Max dazu bringen können, Jakes Angebot anzunehmen.

Immer noch mit scheinbar unendlich vielen Gedanken im Kopf legte ich mich am Ende des Tages schlafen und auch wenn ich es natürlich nicht sofort schaffte, einzuschlafen, ging es mir schon besser als am Sonntag. Klar, die Situation war immer noch genau dieselbe, aber ich fühlte mich mittlerweile doch so, als wäre ich einen Schritt vorangekommen. Als hätte die von Jake erzwungene Konfrontation mit ihm mich dazu gebracht, das Ganze von einer anderen Seite zu betrachten. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, was genau jetzt Jakes Absicht gewesen war, so wusste ich doch, dass alles eventuell noch viel schlechter hätte laufen können. Emily, Jakes ehemaliger bester Freundin, war es noch viel schlimmer als mir ergangen.

Der Gedanke an Emily brachte mich auf eine Idee. Ich war die letzten Tage davon ausgegangen, dass ich gar nicht darüber nachdenken müsste, ob es mir helfen würde, über diese Situation zu reden, weil ich davon ausgegangen war, dass es sowieso niemanden gab, dem ich die ganze Geschichte hätte erzählen können. Dabei war ich nur von meinem (und Jakes) Freundeskreis ausgegangen und hatte außenstehende Personen natürlich nicht in meine Überlegungen einbezogen. Jedenfalls kam es so, dass ich kurzentschlossen Emilys Nummer aus meinen Kontakten heraussuchte und sie fragte, ob sie nicht Lust hätte, sich morgen nach der Schule mit mir zu treffen.

Einige Minuten später – ich hatte gerade Netflix beendet, da ich jetzt wirklich schlafen und mich nicht mehr ablenken wollte – kam ihre Antwort. Sie schrieb mir, dass sie morgen Zeit hätte und schlug ein kleines Café ganz in der Nähe der Schule vor. Durch ihre Antwort wurde mir noch einmal mehr bewusst, dass sie genau wie ich hier aufgewachsen war und sich in unserem Ort natürlich immer noch auskannte. Irgendwie kam mir das gerade total verrückt vor. Ich bestätigte ihr natürlich aber trotzdem noch einmal, dass das Treffen in dem Café okay ging, dann legte ich jedoch mein Handy weg.

Es war eine vollkommene Kurzschlussreaktion gewesen, ihr zu schreiben, und ich hatte nicht wirklich eine Ahnung, was ich damit denn jetzt eigentlich bezwecken wollte. Ich bezweifelte, dass ich ihr wirklich irgendetwas erzählen würde – dafür kannte ich sie wirklich viel zu wenig und ich wusste nicht, wie viel Kontakt sie im Moment wieder zu Jake hatte – aber irgendwie erschien es mir als sinnvoll, mich mit ihr zu treffen. Vielleicht würde ich auch gar nichts von mir erzählen, sondern ihr einfach ein paar Fragen zu Jake stellen – wer wusste schon, wie ich morgen nach der Schule (also nach einigen weiteren Konfrontationen mit Jake) über die ganze Situation nachdenken würde.

PretendingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt