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Jede Minute, die ich mit Chittaphon schrieb, fühlte ich mich befreit, konnte alles rauslassen, was mir im Gehirn umherschwirrte.
All diese Probleme des Alltags machte er erträglicher mit seiner puren Anwesenheit. Er hörte mir zu, half mir aus Krisensituationen und schon nach kurzem war mir so, als kannte er mein ganzes Leben, dabei hatten wir uns nur das eine Mal im Krankenhaus gesehen.

Er hatte etwas an sich, was ihn von anderen Menschen abhob. Interesse zu meinem Job war bei ihm nie wirklich vorhanden, scheiß egal, dass ich ein ausgebildeter Schauspieler war. Immer, wirklich immer trug er dieses Lächeln auf den Lippen, was jedes mal mein Herz erwärmte, sowie seine offene, charmante und humorvolle Art.

Um so mehr freute ich mich, mehr über sein Leben zu erfahren und was für ein Mensch er war. Ich wollte alles wissen!

,,Meine Mutter müsste erst später kommen, also... Mach es dir einfach bequem. Falls du irgendetwas brauchst, nur Bescheid sagen."
Gesagt, getan.
Nachdem ich eine kostenlose Wohnungsbesichtigung von dem Jüngeren bekam, ließ ich mich in seine schwarz bezogene Couch fallen, er gleich neben mir.

Um ehrlich zu sein konnte ich mich nicht mehr richtig daran erinnern, über was wir die nächste halbe Stunde sprachen. Zu viele Informationen stauten sich in meinem Gehirn an, doch ich wollte mehr in mich reinfressen.

,,Du gehst jeden Tag durch diese knallende Sonne zur Schule?"
Verblüfft musterte ich den Schwarzhaarigen, der gerade an seinem Wasser nippte, um nicht zu dehydrieren bei dieser Hitze.

,,Was soll ich schon anderes machen?"
,,Also wenn du willst", setzte ich an, trug dabei ein sanftes, liebes Lächeln auf den Lippen, ,,... kann ich dich zur Schule bringen, am Montag, dort fahre ich sowieso entlang."

Für einen kurzen Moment funkelten seine Augen, wie die hellsten Sterne am Himmel, auf und er bejahte hastig nickend. Doch irgendetwas war diesmal anders.
Schon nach kurzem glitt er in seine Gedanken und sein Gesichtsausdruck strahlte eine leichte Unsicherheit aus.
Zu gerne hätte ich gewusst, warum so plötzlich. Ob es vielleicht an mir lag oder er mit dem Thema bereits völlig abgeschlossen hatte und an etwas anderem hing.

,,Alles in Ordnung?", fragte ich ihn vorsichtig mit besorgten Unterton, legte meine Hand auf seine Schulter, die nur von seinem dünnen, dunklen Shirt bedeckt war. Kurz ließ mich das  unwohle Gefühl nicht los, dass es irgendein Problem gab und er mir davon aber, aus welchem Grund auch immer, nicht berichten wollte. Dabei konnte er selbstverständlich mit mir über alles reden. Ich hätte ihm bei jeder Angelegenheit geholfen.

...

Ein einziger, winzigkleiner Knopf konnte so viel bei einem Menschen bewirken. Jeder hatte seine ganz individuellen Erinnerungen an alte Zeiten, die man entweder vermisste, nie wieder zurück haben wollte, oder einfach nicht mehr darüber nachdachte.
Sie konnten jedoch auf Knopfdruck wieder abgerufen werden, wenn man nur ein kleines Detail zugeteilt bekam, was diese Erinnerung anregte.
Es konnte noch so winzig und unwichtig sein. Der Mensch hätte darauf reagiert.

Als dieser Knopf gedrückt wurde, spürte ich kleine Blitze, die quer durch meinen Körper zogen und mich immer wieder durchzuckten.
Eine Gänsehaut nach der anderen und meine Person war wie gelähmt.
Alles ausgeschaltet.  Eine Erinnerung nach der nächsten durchbohrte meine Gedankengänge.
So lange hatte ich diese unterdrückt.
So lange hatte ich gelernt mit diesen umzugehen. Alles futsch.
Das bisher schwarze Nichts vor meinen Augen fügte sich langsam zu einem vollständigen Bild zusammen und ließ mich umso mehr erschaudern und beängstigt dreinschauen.

Und alles nur, weil Chittaphons Hausklingel betätigt wurde.

Der Versteckspieler  | TaetenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt