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,,Ah!", ein gedämpfter Schrei ertönte aus dem Nebenzimmer, während ich im Warteraum Platz nahm und bereits die Eltern verständigt hatte.
Er hatte darum gebeten, dass ich auf ihn warten sollte, um die Situation seiner Familie zu schildern, da sie ihm anscheinend nie wirklich vertrauen schenkten und die Ausrede: ,,Du warst doch sowieso nur am Handy und hast deshalb das Auto nicht gesehen" parat hatten.

Auch wenn sich dieser Tag dem Ende neigte und ich eigentlich jetzt gerade viel lieber auf der Couch liegen würde, um mich ordentlich mit Essen zuzustopfen und dann wie ein Murmeltier ein Nickerchen zu machen, beschloss ich zu bleiben.
Denn auch ich machte mir etwas sorgen darum, was sich nun herausstellen würde, da sein Bein vor einer Viertelstunde noch ganz in die andere Richtung zeigte, als es eigentlich üblich war.

Die Schreie aus dem Behandlungsraum gaben mir noch die endgültige Bestätigung zu bleiben, um ihm wenigstens, wenn auch als völlig Fremder, beizustehen.
Er schien mir auch wirklich dankbar dafür zu sein. Das konnte ich genau in seinen Augen ablesen, kurz bevor ich den Todesraum verlassen musste.
Sie funkelten auf, wie bei kleinen Welpen, die das erste mal von ihrem Besitzer gefüttert wurden und sich mit vollem Bäuchlein an dich kuschelten, um sich auszuruhen.

Oh je, hier erkannte man wieder, wie sehr ich doch gerade in meiner Wohnung hocken wollen würde, um genau das zu tun, was kleine Welpen nun mal so taten. Aber nein, ich war hier und-

,,Sie können wieder reingehen", ertönte eine markante, tiefe Bassstimme, als ich meinen Kopf erhob und den Hauptarzt vor mir erblickte.

,,G-geht es ihm denn gut?"

,,Eine Tibiakopffraktur. Harmlos, aber dennoch sehr schmerzhaft."
Der Arzt lachte leicht sarkastisch auf und ließ seine weißen Gummihandschuhe in seine Kitteltasche sinken, da wohl hier seine Arbeit getan war.

Anstatt ihn über den unbekannten Begriff auszufragen, lief ich lieber gleich zu dem Jungen hinein, der mit verzerrtem Gesicht in seinem Bett saß, sein Bein oben neben der Aufrechthilfe befestigt.

,,Das sieht übel aus"

Sein aufzucken, als er zu mir blickte, erklärte sich ganz von selbst, denn wir waren nicht alleine. Ehrlich gesagt, standen so viele Menschen hinter mir, die ich erstmal richtig realisieren musste, bevor ich reagieren konnte.

Die eine Frau trug ein besorgtes Gesicht, roséfarbig und mit einem leichten Augenmakeup beschmückt.
Die ersten Fältchen waren bereits an den beiden Seiten ihres Gesichtes sichtbar, aber wohl eher, weil sie so oft in ihrem Leben gelächelt hatte.
Mein Blick huschte schnell zur zweiten Person, aber blieb dort nicht lange hängen.
Es konnte nur sein Vater sein, denn die beiden sahen sich zum verwechseln ähnlich, dabei konnte ich nicht mal genau erklären, was mich dabei so sicher machte.
Womöglich das Gesamtbild und die Erscheinung.

Da gab es aber eine Person zwischen den beiden älteren Herrschaften, die gleich meine ganzen Sinne an sich lockte. So alt wie der Junge, der ans Bett gekettet war, trug einen leichten Seitenscheitel mit ebenfalls schwarzen Haaren. Gestylt, als hätte er stundenlang im Badezimmer verbracht, um seine Haare zu glätten und zu föhnen.
Er jedoch trug keine Schuluniform an sich, sondern eine dunkelblaue, zerrissene Jeans mit einem schwarzen Tshirt, wo mit winzigkleinen, weißen Buchstaben ,,Te amo" geschrieben stand.
Weiter mit meinen Augen über seinen Figur huschend, kam ich schlussendlich an seinem Gesicht an.

Völlig anders gestaltet, als das der anderen drei Personen in diesem Raum. Wohl eher ein Ebenbild Gottes.
Seine Lippen waren zu einem hauchzarten Lächeln gepresst, welches so unglaublich ansteckend war. Keine zwei Sekunden später erwischte ich mich hautnah dabei, wie meine Mundwinkel in die Höhe schossen, ohne etwas dafür zu können.

Sein Näschen hätte ich am liebsten gerade angestupst, so süß stand es in die Höhe und gab seinem Gesamtbild noch mehr Perfektion.
Würde er nun die perfekte Analyse der Fremdpsyche beherrschen, so wüsste er gleich, wie sehr mir sein Aussehen gefiel und ich über alles um mich herum vergaß.
Das Krankenhaus war nicht mehr da, sowie kein anderer Mensch auf dieser Welt. Nur er klebte mir in den Augen, für diese wenigen Sekunden, die sich aber gefühlt in Stunden zogen.

Okay, um ehrlich zu sein, musste man nie die Fremdpsyche studiert haben, es reichte komplett aus, mich nur anzusehen, meine Mimiken und Gestiken zu betrachten und nur noch zu spekulieren.

,,Als wir die Nachricht überbracht bekommen haben, sind wir sofort hierhergefahren", sprach seine Mutter voller Sorge, rannte die letzten Schritte, auf ihren Stöckelschuhen, zu ihrem Sohn und nahm seine Wangen in ihre Hände, um ihn gleich zu beküssen.
Auch der Vater näherte sich, nur dieser eine Junge blieb einen Schritt von meinem Körper entfernt, stehen und wusste nicht ganz mit der Situation umzugehen.

Sein unsicherer Blick bohrte sich für eine Millisekunde in meinen Körper. Jede Stelle, die er ansah, begann wie verrückt zu kribbeln. Das musste so gottverdammt blöd klingen, doch es war genau so! Nicht nur das-

,,Xiaojun? Geht es dir wenigstens gut?"
Der Bursche, der bis eben noch im Umkreis von einem Meter zu mir stand, wand sich nicht nur emotionslos mit seinen Augen von mir ab, sondern auch jede andere Stelle seines Körpers schenkte mir keine Beachtung mehr und tat so, als wäre ich nie da gewesen.

Kälte stieg in mir auf.
Kälte die niemals hätte da sein sollen...

Der Versteckspieler  | TaetenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt