Woche 2, Tag 6

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Als der nächste Tag anbrach, wurde ich dadurch geweckt, dass Billie und Alex völlig betrunken in die Hütte kamen und sich umständlich und unter lautem Gepolter in ihre Betten legten. Ein Blick auf mein Handy bestätigte meine Ahnung, dass es in etwa 6 Uhr morgens war.

Die Atmung der beiden Schnapsnasen war gleichmäßig geworden, doch ich war jetzt wach und konnte nicht mehr einschlafen, auch wenn ich es noch so oft versuchte. Doch jedes Mal wenn ich meine Augen schloss, war ich wieder in dieser Hütte, war ich wieder hinter diesem Baum. Mein Herz schlug schnell und meine Angst war jedes mal so erschreckend echt, dass ich nach Luft schnappend meine Augen aufschlug und zunächst nicht wusste, wo ich war.

Ich zitterte und kalter Angstschweiß klebte an mir. Ich zwang mich auf die Beine und torkelte ins Badezimmer, wo ich eine ausgiebige heiße Dusche nahm. Er hatte mich nicht angefasst. Milo würde das niemals tun. Niemals. Ich schluckte, als ich in den Spiegel blickte. Meine, eigentlich von der Sonne gebräunte Haut war blass und ich hatte dunkle Schatten unter den Augen. Ich atmete tief ein und aus. Dann sagte ich meinem Spiegelbild und mir selbst: "Milo ist ein guter Mensch. Er hätte dich nicht angefasst." Erstaunlicherweise fühlte ich mich danach tatsächlich besser. Ich wusste zwar nicht, ob das etwas mit der langen Dusche oder meinem peinlichen Zureden zu tun hatte, aber war froh, dass sich mein Herz nicht mehr ganz so anfühlte, als würde es von einer unsichtbaren Hand in meinem Brustkorb zusammengedrückt.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, meine Zähne geputzt hatte und meine nassen Haare durchgekämmt hatte, setzte ich mich aufs Bett. Ich wechselte den Verband an meiner rechten Hand und war froh darüber, dass der Schnitt doch nicht so tief war, wie gedacht. Als ich fertig war, saß ich noch eine Weile auf dem Bett und starrte auf die  grünkarierte Decke auf meinem Bett. Ich hatte Hunger, doch wollte ich nicht alleine zum Frühstück gehen. Auch wenn ich wusste, dass keine meiner beiden Freundinnen, mich in ihrem Zustand begleiten würden.

Einen letzten Blick auf eine schnarchende Alex und eine sabbernde Billie werfend, trat ich aus der Tür der kleinen Blockhütte. Ich war erstaunt, wie schön das Wetter heute war. Die strahlende Sonne verbesserte sofort mein Gemüt und ich ignorierte das leichte Zittern in meinen Händen, als ich die wenigen Treppenstufen hinunterging und mich auf den Weg zur Versorgungshütte machte.

Ich atmete erleichtert auf, als ich saß, dass 'unser' Tisch unbesetzt war und fühlte mich sogleich schuldig. Nur eine Handvoll Leute saßen bereits am Frühstückstisch, aber es war auch erst 8 Uhr morgens und die meisten mussten noch ihren Rausch ausschlafen. Ich war froh keinen Kater zu haben und setzte mich alleine an einen Tisch. Ich hatte keine Lust mit jemandem zu reden und trank stattdessen genussvoll meinen heißen Kaffee und löffelte Müsli, während mir die Sonne ins Gesicht schien.

Ein Schatten fiel auf mein Gesicht, als jemand gegenüber von mir Platz nahm. Ich kniff die Augen zusammen, da mich die Sonne blendete. Es war Anthony, der sein Frühstück vor sich abstellte und mir ein Lächeln schenkte. "Hey."

Ich erwiderte sein Lächeln. "Hey."

Anthony warf mir noch einen letzten Blick zu, bevor er sich seinen Cornflakes widmete.

Ich trank den letzten Schluck Kaffee und wollte schon aufstehen, als ich inne hielt. Er hatte mich gestern gefunden, mich getröstet. Ich räusperte mich.

Der dunkelhaarige Junge sah auf. Er hatte den Mund voll mit Milch und Cornflakes und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. "Ich.. äh.. Ich wollte bloß danke sagen. Also für gestern Nacht." Als ich merkte, wie doof sich meine Worte anhörten, spürte ich wie mir die Hitze in die Wangen schoss. "Ich meine, dass du mich gesucht hast und dich um mich gekümmert hast.", sagte ich hastig hinzu und wurde wenn möglich noch mehr rot. Oh, Gott, dass klang immer noch total falsch.

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