#13 Panic

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Seit der François-Dumont-Mission sind ein paar Tage vergangen, in denen Shelter mir erfolgreich aus dem Weg gegangen ist.

Nachdem ich aus Bloomington wieder in die Zentrale kam, bin ich ihm in der Eingangshalle begegnet und er hat mich nur angestarrt, als könne er nicht glauben, was ich getan habe. Dabei weiß er, dass es mein Job ist - dass die Leute, die ich zur Strecke bringe, es verdient haben.

Doch da ist etwas, das mir noch weniger aus dem Kopf geht: Dumonts Fragen, seine Worte. Als hätte er direkt meine Gedanken gelesen.

Wie konnte er wissen, dass ich verzweifelt bin? Traurig? Das ist schlicht und einfach nicht möglich, auch wenn er behauptet hat, meine Augen würden es ausstrahlen. Es stimmt nicht, das weiß ich.

Das lindert allerdings nicht meine Wut Shelter gegenüber.

Was glaubt er eigentlich, wer er ist? Er ist nur ein dahergelaufener, alter Bekannte, der mich mal sonst wo den Buckel runter rutschen kann und nichts anderes.

Oder? Schließlich hat mich Dumont zur Weißglut gebracht, indem er mich nur an Shelter erinnert hat.

Ab und zu habe ich ihn mal in der Kantine gesehen, doch er wich meinen Blicken aus und setzte sich meistens mit Kenji und Lauren an einen Tisch, ohne noch ein einziges Mal in meine Richtung zu schauen.

Kenji ist ein verrückter, dunkelhäutiger Vogel. Jeder mag ihn, ich ausnahmsweise auch. Er ist ein Typ der lockeren Art und jemand, der immer einen passenden Spruch auf Lager hat. Jedoch ist er die meiste Zeit außerhalb der Zentrale tätig und arbeitet als Vollzeitspion, daher sehe ich ihn sehr selten.

Lauren dagegen kann ich weniger ausstehen. Sie ist blass und hat hellblonde Haare, genau wie Shelter. Von den meisten wird sie einfach nur "Angel" genannt, weil sie nach außen hin schüchtern und total liebenswürdig wirkt. Aber der Schein trügt, so ist es auch bei ihr. In unserer Amateurphase waren wir starke Konkurrentinnen und ich sage es mal so: Sie hat mit sehr unfairen Mitteln hantiert.

Aber letztendlich habe ich eine höhere Position erreicht als diese miese Schlange. Lauren ist Teil unseres Suchtrupps, sowie 40% der Bewohner der Zentrale. Nichts Besonderes eben.

Sozusagen gönne ich Shelter ihre Anwesenheit. Auch ... Auch, wenn ich von mir nicht behaupten kann, dass es mich nicht stört. Denn das tut es. Aber - es geht mich nichts an. Soll Shelter aus erster Hand erfahren, wie hinterhältig "Angel" ist.

Ehrlich gesagt, wundert es mich auch nicht, dass er so schnell Anschluss gefunden hat. Shelter ist so eine Art von Mensch, die auf andere schnell sympathisch wirkt. Ich bin eher das Gegenteil. Aber das macht mir nichts aus, so hängen mir wenigstens keine Kletten am Arsch. Oder Menschen wie Lauren.

Und je länger Shelter mich ignoriert, desto mehr wächst der Abscheu ihm gegenüber. Mein Schlafrhythmus leidet allerdings stetig darunter. In der letzten Woche habe ich pro Tag höchstens vier Stunden schlafen können und ich fühle mich schlapper denn je.

Oh, Shelter. Wenn das so weiter geht, bringe ich dich um.

Ich beschließe, der Krankenschwester einen kleinen Besuch abzustatten und sie nach Schlaftabletten zu fragen.

. . .

Noch am selben Abend setze ich mich fertig zum Schlafen auf mein Bett, greife nach dem Glas Wasser und werfe vier Schlaftabletten hinein, die mir Schwester Caroline noch am Nachmittag verschrieben hat. Ich bete, dass vier genügen.

»Wer raubt dir deinen Schlaf?«, schießen mir Dumonts Worte durch den Kopf.

Hastig leere ich das Glas mit einem Zug und würge die Tabletten hinunter. Ich hoffe so sehr, dass sie wirken.

Dann stelle ich das Glas auf meinen weißen Nachttisch, lege mich ins Bett und schließe die Augen, versuche das Echo seiner Worte aus meinem Kopf zu verbannen.

Es dauert zwar immer noch einige Minuten, bis ich endlich in den Schlaf falle, doch die Hauptsache ist: Ich kann wieder richtig schlafen.

. . .

Und schon zwei Stunden später spüre ich, dass etwas nicht stimmt.

Als ich versuche mich zu zwingen, aufzustehen, kann ich es nicht.

Mir fehlt die Kraft, die Motivation, mich aufzurichten und diese Tatsache verschlägt mir den Atem. Genau so hat es damals angefangen. Angst drängt sich immer weiter in mein Gewissen.

Was ist, wenn...?

Nein! Das kann nicht sein. Denk nicht mal an so etwas, verstanden?

Kapiert?

Ich stütze mich ein wenig auf beide Ellbogen, sodass mein Körper sich ein wenig aufsetzt, doch das kostet mich schon einiges an Stärke und nach kurzer Zeit lasse ich mich wieder ins Kissen fallen.

»Wer ist dabei, disch zü zerstören?«

Warum jetzt? Was ist nur los mit mir? Ich dachte, ich hätte alles hinter mich gebracht.

»Gott, bitte... Bitte lass es nicht Realität werden«, flüstere ich flehend vor mich hin, während sich kleine Tränen in meinem Augenwinkel bilden. Mit einem kurzen Blinzeln bahnen sie sich schon den Weg meine Schläfen hinunter, bis sie meinen Haaransatz befeuchten.

Langsam bekomme ich Panik. Ich kann verdammt noch mal nicht aufstehen. Ich kann - ich kann nicht - was soll ich nur tun? Ich kann hier nicht weg und ich zittere und meine Atmung beschleunigt sich und ich falle durch einen schwarzen Tunnel. Ich bekomme keine Luft, verdammte Scheiße, wo ist der ganze Sauerstoff hin? Meine Augen weiten sich, sie brennen, doch ich kann sie nicht schließen.

Wieso kann ich meine Augen nicht mehr schließen, wieso kann ich nicht mehr blinzeln, was ist los mit mir? Panik - ich habe so große Panik und ich kriege keine Luft, aber ich brauche Luft, ich muss doch atmen, um zu leben. Ich will leben. ICH WILL LEBEN!

Etwas bahnt sich einen Weg durch meine Kehle und als ich meinen Mund öffne, entfährt mir ein Schrei. Ich schreie. Laut und erbarmungslos kreische ich durch die Etage. Ich tue es pausenlos und mehrere Tränen bahnen sich den Weg über mein Gesicht, hinterlassen kleine, heiße Spuren auf meiner Haut. Und ich schreie weiter, bis mein Hals wehtut, bis ich krampfhaft versuche, etwas in meinen Kommunikator zu tippen, damit mir jemand zu Hilfe kommt, doch ich schaffe es nicht.

Ich keuche, weil die Luft um mich herum immer enger wird. Ich zucke wie wild herum und ich habe keine Ahnung, was mit mir los ist. Ich schreie weiter und weiter, will, dass mich jemand hört und mir sagt, was los ist. Ich rufe nach Rettung. Ich spüre, wie die Ränder meines Blickfelds immer dunkler werden und ich weiß: Gleich wird alles schwarz, gleich ist alles vorbei. Gleich bin ich weg vom Fenster und ich schluchze und wedle mit meinen Armen herum, doch nichts geschieht.

Mein Körper hat keine Kraft mehr und während ich schließlich langsam in mich zusammenbreche und meine Augen schließe, kann ich nur noch schwach wahrnehmen, wie Personen meine Zimmertür aufbrechen und wie in Zeitlupe auf mich zusteuern.

»Es ist ein Jünge, nischt wa'r?«

Als sie bei mir ankommen, wird alles schwarz und die Finsternis verschluckt mich. Das letzte, woran ich mich erinnern kann, sind mattgrüne Augen.

Endlich kann ich loslassen.

Shelter is your NameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt