#28 Dinge, die wir hätten sagen sollen

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Amorys P.O.V.

Einige, mir ewig vorkommende Sekunden verstreichen, in denen der Helikopter schon nicht mehr zu sehen ist.

Es ist zu spät.

Er ist weg. Für immer.

Ich spüre, wie meine Beine langsam nachgeben. Das kann nicht wahr sein. Ich träume doch, oder?

Zittrig sinke ich auf die Knie und spüre augenblicklich eine sanfte Hand, die meine Schulter berührt.

»Es tut mir leid«, flüstert mir die Stimme von Flavie zu. Ich kann nur den Kopf schütteln.

Hätte ich nicht so lang gezögert, nicht so lang mit meinem inneren Ich gerungen, dann würde die Situation jetzt nicht so ausarten - dann wäre es jetzt nicht zu spät.

Ein stechender Schmerz flammt in meinem Arm auf und ich ziehe scharf die Luft ein. Der Verband ist völlig durchnässt von meinem Blut und einige Tropfen bahnen sich schon einen Weg zum Boden.

Wie in Zeitlupe beobachte ich die herunterfallende Flüssigkeit, die mein eigenes Leben symbolisiert. Jetzt, da Shelter weg ist, rinnt dieses Leben aus mir heraus - so fühlt es sich zumindest an.

Immer mehr Menschen kehren um und widmen sich ihren alltäglichen Tätigkeiten, verschwinden wieder in die Zentrale. Ich kann ihre Schritte hören, ich kann wahrnehmen, wie sie sich von mir entfernen.

»Oh Gott, Amory!«, ruft Flavie plötzlich aus, als sie schließlich das ganze Blut bemerkt, »Wir müssen das verarzten!«

Erneut kann ich nur den Kopf schütteln. »Ich will aber nicht«, hauche ich.

Ich bin nicht einmal in der Lage zu weinen. In den letzten paar Tagen habe ich es zu oft getan.

»Lasst mich hier einfach verbluten«, flüstere ich kaum hörbar.

»Sicherlich nicht!«, widerspricht mir Flavie energisch und zerrt mich auf die Beine. Dann dreht sie mich um, sodass ich jetzt erkennen kann, wer noch alles da ist.

Shevre und Kenji mustern mich besorgt, ihre Blicke haften auf meiner Schnittwunde. Meine Augen suchen nach weiteren Leuten und überraschenderweise kann ich Lauren erkennen, dessen blaues Veilchen mir aus dieser Entfernung zulächelt.

Ich grinse ihr boshaftig entgegen, doch sie wendet finster ihren Kopf ab.

Und dann sehe ich ihn: Jason.

Er steht mir direkt gegenüber, 10 Meter weit entfernt. Er starrt mich an und ich glaube, im Glitzern seiner Augen etwas wie Wut erkennen zu können.

Aber das ist mir egal, denn das, was zählt, ist Shelter. Und der ist jetzt weg.

Flavie beginnt zu gehen und zieht mich mit sich, Richtung Eingang der Zentrale. Wir kommen meinem Exfreund immer näher, die Spannung in der Luft ist deutlich zu spüren.

Am liebsten würde ihn dafür verprügeln, dass er es wagt, in solch einem Augenblick sauer auf mich zu sein. Doch ich kann ihn nicht einfach umbringen, das wäre nicht fair.

Stumm schauen wir uns in die Augen, während sich unsere Wege kreuzen und ich unsanft seine Schulter streife.

Dann ist der Moment vorbei.

. . .

Mit einem leichten Druckverband sitze ich nun auf meinem Bett und blase Trübsal. Es ist, als würde meinem Geist irgendetwas fehlen, als würde ein Teil sich vor mir verstecken.

Dabei weiß ich ganz genau, dass es mit Shelter zusammenhängt.

Ich kann's einfach nicht realisieren. Ich kann nicht glauben, dass er weg ist, dass ich nun vollkommen auf mich allein gestellt bin.

Shelter is your NameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt