#21 Time flies

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Eine weitere Woche vergeht und endlich spüre ich die Wirkung der Antidepressiva, die ich jetzt schon seit ungefähr drei Wochen einnehme.

Shelter ist nun etwas mehr als einen Monat hier in der Zentrale und hat sich gut eingelebt.

Sein Training verläuft reibungslos und weil ich sein Scout bin, muss ich das wissen, denn ich bin bei fast jeder Einheit dabei - genau wie Lauren.

Immer wieder frage ich mich, warum dieses Miststück dabei sein muss. Ich könnte auch gegen Shelter antreten und mir keine Mühe geben, das würde auf dasselbe hinauslaufen.

Jedenfalls fühle ich mich tagsüber nicht mehr so schlapp und traurig. Da ich die Medikamente immer abends einnehme, bin ich nur nachts antriebslos, was eigentlich ganz vorteilhaft ist, da ich sowieso am schlafen bin. Meistens.

Zwischen mir und Shelter hat sich in diesen letzten Wochen nicht mehr viel entwickelt. Warum sollte es auch? Wir verstehen uns gut, essen ab und zu miteinander und ich begleite ihn zu seinem Training und zu den Gesprächen mit Shevre.

Allerdings hat sich auftragsmäßig etwas stark verändert. Seit zwei Wochen wurde mir keine Mission mehr zugeschrieben und ich habe so langsam das Gefühl, dass Doktor Connor seine Schweigepflicht missachtet und Shevre zugezwitschert hat, dass ich gewisse Medikamente zu mir nehme.

Ich beschließe, Shevre zu suchen.

. . .

Bei seinem Büro angekommen, klopfe ich an und ohne auf ein weiteres Signal zu achten, trete ich ein.

Shevre sitzt auf seinem Schreibtischstuhl und schaut verwundert zu mir auf. »Ach, Amory, du bist es.«

Mit undurchdringlicher Miene setze ich mich auf den nächstgelegenen Stuhl und funkle Shevre an. »Ja. Ich bin es nur.«

Er runzelt die Stirn. »Warum bist du hier?«

»Ich sage dir, warum ich hier bin«, sage ich und durchbohre ihn wörtlich mit meinen ernsten Blicken, »Seit zwei Wochen wurde mir kein Auftrag mehr zugeteilt. Und ich frage mich einfach, warum. Vielleicht bin ich nicht mehr gut genug?«, ich stütze mein Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen und tue so, als würde ich nachdenken, »Vielleicht ist in der äußeren Zone einfach nur tote Hose? Oder vielleicht hat der liebe Doktor Connor meinem Boss eine kleine Nachricht zugeflüstert, die ihm nicht erlaubt war, weiterzuleiten.«

Shevres Miene bleibt unverändert. Anscheinend hat er mit so etwas gerechnet. »Ich kann verstehen, weshalb du dir Gedanken machst, Amory. Aber ich versichere dir: Doktor Connor hat die Befugnis, mir jegliche Nachrichten weiterzuleiten.«

Meine Augen weiten sich in Erkenntnis. Ich springe auf und betrachte meinen Chef von oben herab. »Also ist es wahr?«, gebe ich atemlos von mir, »Doktor Connor hat dir alles erzählt?«

»Ja. Weil ich dein Vorgesetzter bin und über solches Wissen verfügen muss.«

Shevre bleibt bei der gesamten Sache ganz gelassen, was mich gleich noch fahriger macht.

»Ich glaube es nicht!«, rufe ich aus, fasse mir geschockt an den Kopf, »Was sind das für bescheuerte Regeln?«

Bevor mein Boss irgendetwas erwidern kann, falle ich ihm schon ins Wort. »Das ist doch Zensur! Nur weil ich gewisse Medikamente zu mir nehme, heißt das nicht, dass ich schlechter bin!«

»Das hat auch niemand gesagt. Aber du musst zugeben, dass es dir in den letzten Wochen nicht sonderlich gut ging.«

Mein Zorn klingt ein wenig ab, als ich begreife, dass er Recht hat. »Ich weiß-«

»Und in einer solchen Situation sollte man nichts riskieren.«

Ich setze mich langsam wieder auf den Stuhl und nicke. »Ja. Ich schätze, das stimmt«, gebe ich verhalten zu, »Aber die Wirkung hat vor ein paar Tagen eingesetzt. Mir geht es besser.«

»Ich weiß«, erwidert Shevre und seine Mundwinkel zucken dabei ein wenig.

Verwirrt runzle ich die Stirn. »Woher...?«

»Doktor Connor.«

»Das hat er dir also auch schon erzählt? Ich sollte mir langsam mal Gedanken machen, was ich den Ärzten hier alles anvertraue.«

»Um deine kommenden Fragen jetzt schon mal zu beantworten: Du wirst wieder Aufträge bekommen, aber erst bald. Wir müssen sichergehen, dass das mit der Übelkeit langsam ein Ende nimmt und die Wirkung so konstant bleibt wie jetzt«, sagt Shevre dann.

»Oh«, gebe ich ein wenig enttäuscht zurück, »Na gut, dann... dann ist ja alles geklärt.«

Ich schlucke einmal, dann stehe ich wieder auf und gehe auf den Ausgang zu.

»Schönen Tag noch«, murmle ich Shevre zu, woraufhin ich die Tür öffne, in den Flur schlüpfe und sie wieder ins Schloss fallen lasse.

Ich atme einmal tief aus und -ein. Seufze. »Bald.«

. . .

Noch am selben Tag muss ich feststellen, dass meine Pillen sich dem Ende zuneigen.

»Na toll, so 'n Dreck«, fluche ich leise vor mich hin, als ich die Pillen auf meinem Bett ausschütte und zähle.

»Eins, zwei, drei ... vier.«

Nur noch vier Stück? Ich rolle genervt mit den Augen und beschließe, mich sofort auf den Weg zur Krankenstation zu machen, um mir eine neue Packung Antidepressiva verschreiben zu lassen.

Ich lege die Pillen zurück in die Packung, nehme sie in meine Hände und steuere geradewegs auf meine Zimmertür zu.

Als ich sie öffne, steht Shelter vor mir, einen Arm in der Luft, als habe er gerade vorgehabt zu klopfen.

Vor Schreck lasse ich die Packung fallen und die letzten vier Pillen verteilen sich auf dem Boden vor uns.

Oh, shit.

Bevor ich mich bücken kann, um alles wieder einzusammeln, hat Shelter es schon getan und hält überrascht die Packung in der Hand, als er sich wieder aufrecht hinstellt und die Anweisungen darauf liest.

Auf seinem Gesicht macht sich langsam der Schrecken breit. »Antidepressiva...«

Ich versuche mich angestrengt rauszureden. Der Schweiß bricht mir auf der Stirn aus. Verdammte Scheiße. »Ich - die gehören mir nicht!«

Shelters verstörter Blick wandert langsam hinüber zu mir und ich spüre augenblicklich, wie mir heiß wird.

»Willst du mich verarschen?«, flüstert er verzweifelt, »Natürlich gehören die dir!«

Ich lasse die Schultern schuldbewusst sinken und sacke innerlich in mir zusammen. Ich bin so blöd.

»Shelter...«

»Seit wann?«

»Was?«

Er schaut mich ernst an und ich kann förmlich die Spannung zwischen uns in der Luft riechen. »Seit wann nimmst du die?«

Ich räuspere mich. »Die Wahrheit?«, frage ich ihn unsicher.

»Die Wahrheit.«

Ich seufze zittrig. »Seit ungefähr drei Wochen«, gebe ich flüsternd zu.

Ich schaue betreten zu Boden, meine Hände ballen sich verkrampft zu Fäusten. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Shelter ist so still.

Mein Puls pocht laut in meinen Ohren.

Schließlich schaue ich verunsichert wieder auf und merke, wie Shelters Augen langsam glasig werden, als würden sich kleine Tränen in ihnen sammeln. Er sieht mich einfach nur fassungslos an, unfähig irgendetwas zu sagen, was die Situation besser machen würde.

»Shelter...«, will ich flüstern, doch er blockt ab und drückt mir die Packung in die Hand.

Er schüttelt den Kopf, murmelt: »Ich sollte jetzt gehen.«

Und verschwindet.

Shelter is your NameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt