#22 Kommen und Gehen

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Schlimmer hätte es definitv nicht kommen können.

Shelter weiß, dass ich diese verdammten Pillen nehme. Er weiß es und ich will gar nicht daran denken, was er nun von mir denkt.

Dass ich ein psychisches Wrack bin? Dass Lauren Recht behalten hat? Wahrscheinlich hat sie ihn sogar damit konfrontiert und mich irrsinnig schlecht geredet.

Ich hasse dieses Weibsbild so abgöttisch.

Es ist nicht ihre Schuld, dass du die Packung fallengelassen hast.

Und ich hasse mich so viel mehr. Wie konnte ich nur so dumm und unachtsam sein?

Eine kleine Bewegung, ein bisschen mehr Achtung und Shelter wüsste nichts davon. Es ist meine Schuld. Sowas von.

In diesem Augenblick verwandelt sich mein tiefer Selbsthass in noch tiefere Wut. Meine Hände ballen sich zu Fäusten und zerdrücken die Packung mit dem Antidepressivum.

Shelter ekelt sich vor dir, er hat Angst vor deiner Psyche, Angst davor, dass du komplett ausflippen könntest, schießt es mir durch den Kopf und ehe ich mich zurückhalten kann, schleudere ich die Packung voller Zorn gegen die gegenüberliegende Wand in meinem Zimmer.

»Scheiße!«, zische ich verzweifelt und knalle die Tür zu.

»Scheiße, scheiße, scheiße...«, gebe ich noch murmelnd von mir, dann lehne ich mich mit dem Rücken an die Tür und lasse mich langsam sinken, bis mein Körper den Boden berührt.

Schuldbewusst vergrabe ich mein Gesicht in beiden Händen.

Gerade war alles eigentlich ganz okay, aber ich musste es wieder einmal vermasseln, indem ich zu unvorsichtig war. Ich bin es, die mein eigenes Leben ruiniert, ich ganz allein. Shelter ist nur ein Nebenfaktor, den ich mir immer wieder einrede, um irgendwem die Schuld in die Schuhe schieben zu können.

Dabei bin ich es, dessen Gedanken mich selbst zugrunde richten. Ich bin es, die so denkt und kein anderer, der mich zwingt, dies zu tun. Mein Leben besteht aus meinen eigenen Entscheidungen, die lediglich ein wenig aus dem eigenen Umfeld beeinflusst werden.

Ich bin es, die sich selbst ins metertiefe, schwarze Loch stürzt und sich bemitleidet. Niemand anderes.

Ich. Nur ich.

Und ich kann die darauf folgenden Tränen nicht mehr verhindern, will es nicht, versuche es nicht einmal.

. . .

Shelters P.O.V.

Wie ein Zombie schlendere ich durch die Etagen, fühle mich wie benebelt, als sei ich vollkommen taub. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll, geschweige denn woran ich denken soll.

Es tauchen immer wieder diese Bilder in meinem Kopf auf: Pillen, Antidepressiva, eine geschockte Amory, die versucht, sich rauszureden.

Doch ich wusste ganz genau, dass sie mich anlog, dass es ihre Pillen waren und dass sie schon beinahe aufgebraucht waren.

Seit drei Wochen.

Seit drei verflixten Wochen nimmt sie diese Medikamente und das nicht, weil sie abhängig ist, nicht, weil sie den Kick will. Denn diese Pillen geben einem keine Dröhung. Sie heilen; Amory muss geheilt werden, weil sie krank ist und ich habe nichts davon direkt mitbekommen.

»Wenn du in den letzten Jahren bei mir gewesen wärst, wüsstest du, dass es für mich besser ist, mich meinen gesamten Gefühlen lieber nicht hinzugeben«, hatte sie vor ein paar Wochen noch gesagt, als wir gestritten haben, »Aber du warst nicht bei mir und bist es jetzt auch nicht. Du wirst es nie sein, weil du es einfach nicht kannst.«

Shelter is your NameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt