»Shelter?«
»Hm?«, murmelt er schlaftrunken.
»Wirst du Shevre sagen, was ich getan habe?«
Wir sitzen im Helikopter zurück nach Chicago. Morten fliegt uns und Shelter ist mehr als nur verkatert, weshalb er die meiste Zeit versucht zu schlafen. Doch jetzt gerade ist er wach - aber still.
Shelter setzt sich ein wenig auf und schaut für eine kurze Weile auf den Boden, bevor er mir antwortet: »Versprich mir etwas.«
Er sieht mich an, das Mattgrün in seinen Augen ist wie immer so beunruhigend dunkel.
»Was soll ich versprechen?«, krächze ich. Bevor ich anfange mit den Händen zu kneten, schiebe ich sie jeweils unter meine Oberschenkel.
»Versprich mir, dass ich dich auf unserer nächsten Mission begleiten darf - diesmal wirklich - und ich werde Shevre nicht sagen, dass du mich abgesetzt hast.«
Ich schlucke schwer. Das ist ein großer Schritt. Wer sagt, dass die nächsten Aufträge milder sein werden? Wer sagt, dass alles gut gehen wird? Ist es das wert?
Ich sage nichts mehr. Nun bin ich diejenige, die den Boden vor uns mustert. Ich habe keine Ahnung, wohin uns dieses Versprechen führt, was es auslöst. Ob es besser wird oder ob es schlechter wird. Aber wenn Shelter Shevre alles erzählt, wird das Konsequenzen haben.
»Was ist, wenn ich Shevre erzähle, dass du dich betrunken hast?«, erwidere ich stattdessen.
»Ist das eine Drohung?«
Ja. Wenn es heißt, dich beschützen zu können, dann würde ich dir sogar drohen.
»Nein. Eine Alternative«, antworte ich ihm sachlich, schaue Shelter immer noch nicht an.
Ich höre, wie er schnaubt. »Was denkst du, wird Shevre schlimmer vorkommen? Dass du mich in einer willkürlichen Bar mit wildfremden, möglich gefährlichen Leuten zurückgelassen hast oder dass ich mich darauf betrunken habe? Was denkst du, hat dieses Szenario erst ausgelöst?«
Er hat Recht. Hätte ich ihn nicht allein gelassen, hätte er sich nicht abfüllen lassen.
Ich gebe auf und seufze. »Gut. Du hast gewonnen«, knurre ich.
»Also?«, hakt er nach.
»Ich verspreche dir, dass du auf der nächsten Mission wirklich dabei bist. Aber-«, nun sehe ich ihn an, »Aber nur in der Voraussetzung, dass Shevre ausdrücklich erwähnt, dass du mich begleitest. Wenn meine nächste Mission ein Soloding ist, bleibt sie auch ein Soloding. Sagt Shevre jedoch, dass du wieder mein Komplize sein wirst, werde ich das ohne Widerworte hinnehmen.«
Shelter denkt eine Weile darüber nach, bevor er schließlich zustimmend nickt. »Abgemacht.«
. . .
»Wie ist es gelaufen?«, fragt mich Shevre, als ich allein in seinem Büro sitze und wir den vergangenen Auftrag besprechen.
»Gut«, erwidere ich trocken.
Mein Boss zieht eine Augenbraue hoch und mustert den Verband um meinen Oberarm.
Ich seufze. Es ist nicht das erste Mal an diesem Tag, dass ich mich geschlagen geben muss. »Es gab ein paar Reibungen. Aber sonst ist es gut verlaufen.«
Shevre kramt seinen Notizblock heraus. »Was für Reibungen?«
Ich setze mich aufrecht hin. »Noah Archer war nicht allein. Nachdem ich ihn erledigt habe, sind mir - ich meine uns - drei Männer in dunkelblauen Uniformen entgegen gekommen. Einen von ihnen habe ich mit meinen Shuriken umgebracht und ein anderer hat eine Stichwunde im unteren Bauch davongetragen. Keine Ahnung, ob der überlebt hat. Jedenfalls bin ich - ich meine, sind wir - geflohen, indem ich ein Fenster im zweiten Stock kaputt geschossen habe und wir herausgesprungen sind. Shelter geht's gut, aber mein Bein ist ein wenig angeschlagen und Noah Archer hat mir diese kleine Schusswunde verpasst. Das war's.«
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Shelter is your Name
Science Fiction»When I was young I didn't understand, but now, I know how absence can be present, like a damaged nerve, like a dark bird.« - Audrey Niffenegger, The Time Traveler's Wife Amory Sawyer ist eine Auftragskillerin der ICCJ - der International Central Co...