#34 Bekannte Lippen

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Mit einem sachten Knall schließe ich die Beifahrertür des Pick Ups und gehe zum Anhänger.

»Hilf mir mal, die Plane zur Hälfte abzuziehen«, ertönt Shelters hallende Stimme.

Er steht mir direkt gegenüber, nur der Wagen trennt uns.

Wir entfernen gemeinsam die Plane, dann steckt er seinen Arm in den Anhänger und holt die Decken und Kissen hervor, die wir in der Nacht zuvor so dringend gebraucht haben.

Inzwischen sind wir zurück in der Zentrale und stehen nun still in der Garage. Nichts ist zu hören, nicht einmal das Echo unseres Atems. Die Wachposten zu durchqueren war kein Problem, denn die eigentliche Komplikation steht uns noch bevor. Shevre.

»Hier!«, sagt Shelter und wirft mir ein Kissen und eine Decke zu. Ich fange sie auf. »Danke.«

»Wie geht's deinem Gesicht?«, fragt er mit gleichgültigem Ton. Ich weiß, dass er besorgt ist und es sich nicht anmerken lassen will.

Meine rechte Hand wandert über meine Stirn. Ich fühle die kleinen Schnittwunden ab, bemerke die Kruste, die sich bereits aus dem getrockneten Blut gebildet hat. »Hat zumindest aufgehört zu bluten«, sage ich.

Doch das wird rein gar nichts kaschieren. Jeder in der ICCJ wird meine Verletzungen bemerken.

»Es wird Ärger geben«, höre ich Shelter sagen, »Oder?«

Ich nicke ihm zu, dann gehe ich wieder zur Beifahrertür und beäuge die kaputten Fenster. »Ich schätze mal, Shevre wird mehr wegen des Pick Ups sauer sein, als auf meine Wunden.«

»Das glaube ich nicht.«

Verwirrt werfe ich Shelter einen fragenden Blick zu. »Du kennst Shevre nicht so gut wie ich.«

»An deiner Stelle würde ich das nicht behaupten«, erwidert er mit einem mir unbekannten Unterton.

Shelter schließt die Fahrertür und setzt sich daraufhin auf die dunkelgrüne Motorhaube. Ich geselle mich zu ihm, stehe jedoch lieber. »Was willst du damit andeuten?«, hake ich nach.

Er zuckt  beiläufig mit den Schultern. »Du bist ihm wichtiger, als du denkst.«

Ich schnaube, umklammere die dünne Bettwäsche. »Weil ich nützlich bin.«

»Nicht nur deshalb«, korrigiert Shelter mich. Ich schaue ihn erwartungsvoll an, dann fährt er fort: »Er schätzt dich als Person.«

Irritiert wende ich den Blick ab. »Woher weißt du das?«

»Wir haben viel geredet, als ich davor war, abzureisen. Das ist dabei rausgekommen.«

Ich sehe Shelter kurz an, versuche in seinem Gesicht etwas zu lesen, weiß aber nicht, wonach ich suche. Dann zucke ich in Richtung Ausgang der Garage. »Lass uns gehen.«

Ohne darauf zu achten, ob er mitkommt, setze ich mich zügig in Bewegung. Es wird Zeit, sich dem Ärger zu stellen. Schlimm wird es sowieso.

Ein paar Sekunden vergehen, dann höre ich das Hallen mir nahekommender Schritte, bis ich aus dem Augenwinkel erkennen kann, dass Shelter nun neben mir entlang geht.

»Ihr habt also über mich gesprochen, Shevre und du«, sage ich zu ihm, »Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«

Shelter ist für eine kurze Zeit still, dann spricht er. »Er hat mir erzählt, wie du warst, als du das erste Mal in die Zentrale kamst. Er mochte dich lieber, als du noch-«, er stockt, »krank warst.«

»Ich bin krank.«

»Ja. Ich weiß. Und dennoch ist es anders als früher.«

»Das ergibt keinen Sinn«, erwidere ich.

Shelter is your NameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt