#23 Schreiende Stille

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Ich hätte mit allem gerechnet.

Aber nicht damit.

Nicht damit, dass Shelter geht.

Er geht.

Ich glaube

Ich falle

So verdammt tief.

Es ist so still. So still, als würde sich um mich herum eine Barriere bilden, die jeglichen Schall abblockt. Ich will nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

Ich will einfach nur, dass alles ein Ende hat.

Ich will, dass er bleibt.

Wenn nicht für ihn, dann für mich. Aber so etwas würde nie jemand für mich tun.

Ich fühle mich so leer, so taub. Kann mich mal jemand kneifen? Bitte weckt mich aus diesem Albtraum, bitte erlöst mich aus dieser Höllenqual von Stille, denn das Schweigen ist so erdrückend laut und ich habe das Gefühl, mein Trommelfell platzt.

Der Lärm in meinem Kopf dröhnt durch meinen gesamten Körper.

Reiß dich zusammen, bevor du vor Shevre und Shelter in Ohnmacht fällst. Du hast schon genug Schwäche gezeigt!

Ich hole einmal ganz tief Luft und schlucke den fetten Kloß in meinem Hals herunter, sodass er die Tränen nicht zum fließen bringen kann. Mein glasiger, kalter, toter Blick wandert zu Shevre.

Dann zu Shelter.

»Wann?«, frage ich monoton.

Doch es bleibt still. Ich bin so verdammt kurz vorm Zusammenbruch, so kurz vorm Ausrasten.

Ich will hier raus, doch ohne Klarheit gehe ich nicht. Nicht bevor ich weiß, wann. Und warum.

»Wann?«, sage ich diesmal lauter.

Anstatt das Shevre antwortet, räuspert sich Shelter. »In drei Tagen.«

Drei Tage.

Meine Hände ballen sich zu Fäusten und meine Fingernägel schneiden mir ins Fleisch, aber die Schmerzen tun gut, sie lösen die Barriere Stück für Stück auf - zerstören die Blase, die meine Wut zurückhält und lassen schließlich den zornigen Tiger in mir aus dem gottverfluchten Käfig.

»Gut«, bringe ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich schaue Shelter mit eiskalten Augen an und hoffe, dass er Frostbeulen davonträgt. »Dann geh. Geh und leb dein scheiß Leben.«

»Am...«

»Nenn micht nicht Am!«, schleudere ich ihm entgegen, »Die Am, die du kennst, existiert nicht mehr. Nicht für dich. Nicht, wenn du wieder vorhast zu gehen. Denn wenn du gehst, dann komm gefälligst nie wieder zurück«, zische ich angestrengt. »Komm nie wieder zu mir zurück, sei es hier, sei es in Brooklyn, sei es sonst wo.«

Die Bitterkeit dieser Worte verätzt mir förmlich den Gaumen, doch es tut gut, sie loszuwerden. »Ich weiß, dass es meine Schuld ist. Alles ist mein Verdienst«, sage ich diesmal leiser, »Aber weißt du, ich wollte nie, dass ich krank werde. Und wenn du denkst, ich genieße diesen ganzen Bullshit, dann verreck' in der Hölle. Wenn du nicht damit klarkommst, dass ich Hilfe brauche, dann ist es richtig, dass du gehst.«

Vereinzelte Tränen bahnen sich den Weg meine Wangen hinunter, doch ich ignoriere die heißen Spuren auf meiner Haut, die sie hinterlassen.

Shevre beachte ich erst gar nicht, als ich rückwärts auf die Tür zusteuere, denn mein Blick ist geradewegs auf Shelter fixiert. Dieser schaut mich bemitleidenswert an und ich glaube, seine Augen sind glasig von kommenden Tränen, aber er wird sie nicht rauslassen. Das weiß ich.

Shelter is your NameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt