Shelters Kinnlade kippt herunter. Ob aus Überraschung oder Schrecken weiß ich nicht genau, doch es amüsiert mich.
Während ich mir die nächste Portion Salat in den Mund stopfe, muss ich mir ein Grinsen stark verkneifen. Damit hat er absolut nicht gerechnet. Aber was erwartet er von meinem Job, wenn ich gestern mit einer Knarre direkt auf sein Herz gezielt habe? Dass ich unsere Anzüge designe?
»Auftragskillerin?«
»Ja«, erwidere ich trocken.
Er schaut mich mit geweiteten Augen an und hat inzwischen aufgehört zu essen. »Am«, beginnt er, doch ich schaue ihn darauf tadelnd an, »Amory«, berichtigt Shelter sich anschließend, »Du bringst Leute um? Aus Absicht?«
Ich rolle mit den Augen. War wohl doch nicht die letzte Frage, die ich für heute beantworten werde. Schade aber auch. »Nein, ich habe immer rein aus Versehen eine Waffe bei mir, mit der ich gezielt auf bestimmte Leute schieße, weil es mir mein Boss befohlen hat.«
Ich hoffe, er versteht Sarkasmus. Früher hat er es jedenfalls verstanden.
Aber früher ist nicht heute, ich bin nicht die, die ich einst war und er genauso wenig.
Der Gedanke bereitet mir einen kleinen Stich - irgendwo in der Brust. Oder weiter oben. Oder einfach überall.
»Ich bin aber keine bestimmte Person, oder?«, fragt mich Shelter kleinlaut. Sein Blick ist verunsichert und ich glaube kurz, dass mehr als nur Respekt in ihm liegt - sondern auch Angst.
Ich runzle die Stirn. »Was meinst du genau?«
»Du sagtest, dass du gezielt auf bestimmte Leute schießt. Bin ich so jemand?«, erläutert er, dann flüstert er: »Sollte ich eigentlich tot sein?«
Stumm schaue ich ihn an und Shelter starrt mit seinen grünen Augen zurück.
Ich seufze, lehne mich in meinem Stuhl zurück und streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich zuvor aus meinem Zopf gelöst haben muss.
»Gibt es denn etwas, das du verbrochen hast?«, frage ich ihn.
»Nichts, dass meinen Tod als Konsequenz ziehen würde, schätze ich«, sagt er, »Es sei denn, du bist da anderer Meinung.«
Da! Schon wieder! Erneut eine Anspielung auf unsere Vergangenheit.
»Nein, Shelter. Du solltest nicht tot sein. Jedenfalls stehst du nicht auf der Wanted List.«
»Wanted List?«
»Musst du so viele Fragen stellen?«
»Ich versuche doch nur, das Ganze hier zu verstehen.«
»Dann frag nichts, was dich noch nichts angeht.«
Nun seufzt er und fährt sich angespannt durch die hellblonde Haarpracht. »Na gut. Wenn ich nicht das vorhergesehene Ziel deiner ... deiner Mission war - wer war es dann? Wieso warst du dort?«
Ich beuge mich vor und antworte mit einer Gegenfrage, die mich sehr interessiert: »Die Frage ist viel mehr: Wieso warst du dort?«
Shelters Blick wird auf einmal glasig und versteinert. So, als würde er sich geistig von der Realität entfernen und in weite Ferne blicken. Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut, wenn man einfach abdriftet, in Erinnerungen schwelgt. Jedoch habe ich es mir schnell abgewöhnt, als mein Therapeut meinte, es sei nicht gut für mich.
Das war es damals auch nicht. Sich schmerzhaft zu erinnern, hat dazu geführt, dass ich psychisch krank wurde - und das im Alter von 16 Jahren. Das ist jetzt drei Jahre her. Ich weiß, dass es noch in mir schlummert, aber solange ich die Schotten dicht halte und nichts zu nah an mich rankommen lasse, bleibe ich gesund.
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Shelter is your Name
Science Fiction»When I was young I didn't understand, but now, I know how absence can be present, like a damaged nerve, like a dark bird.« - Audrey Niffenegger, The Time Traveler's Wife Amory Sawyer ist eine Auftragskillerin der ICCJ - der International Central Co...