#24 »Er hat uns verändert.«

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Seit einem Tag habe ich mein Zimmer nicht mehr verlassen. Ich komme mir so verdammt verrückt vor, so krank, so abhängig.

Mein Bett ist mein bester Freund. Es hüllt mich ein, saugt meine Tränen auf. Wärmt mich.

Doch diese Wärme erreicht nur meine erste Hautschicht - darunter ist es kalt und dunkel. Als sei mein Lebensfeuer erloschen. Nur noch die übrig gebliebene Glut versucht verzweifelt, meinen Körper am Leben zu halten. Es ist ein endloser Kampf, der sich nur in meinem Kopf abspielt.

Ich sollte aufhören, mir über so etwas Gedanken zu machen. Es macht mich krank. Es ist verrückt. Es bringt nichts. Ich reite mich nur noch weiter in die Scheiße hinein.

Urplötzlich krampft sich mein Magen zusammen und ein grollender Schmerz durchzuckt meinen gesamten Körper. Angestrengt kneife ich die Augen zusammen, presse meine Handflächen auf die Stelle, die so höllisch wehtut und versuche, nicht zu schreien.

Ich habe Hunger, riesigen Hunger. Seitdem ich gestern Vormittag zusammengebrochen bin, habe ich keinerlei Nahrung mehr zu mir genommen, wollte es nicht, hielt es nicht einmal für nötig.

Ich wollte mich schlicht und einfach für meine eigenen Gedanken bestrafen. Und das habe ich hiermit anscheinend geschafft.

Immer wieder gehe ich dieses eine Mantra in meinem Kopf durch, ohne es überhaupt zu wollen: Shelter geht. Shelter geht. Shelter geht.

Er verlässt dich.

Wieder.

Diesmal für immer.

Ich will brüllen, ich will Sachen zertrümmern, so verzweifelt bin ich, so zerstört.

Ich bin zu melancholisch. Das ist so widerlich.

Die Schmerzen klingen langsam wieder ab und ich kann meinen Körper ein wenig entspannen, doch das Glück währt nicht lang, da kommt schon der nächste Schub und ich habe das Gefühl, als würde mein Magen durch eine Kettensäge in Stücke gerissen.

Okay, der Gedanke war definitv zu viel. Ich brauche Etwas zu essen.

Aber ich will den Rest der Zentrale nicht betreten, zu groß ist die Angst, ihm zu begegnen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das überleben würde.

Mein Bauch grummelt laut und schmerzhaft, was mir den letzten Ruck gibt, endlich aufzustehen und das Zimmer dann doch zu verlassen.

Ich werde einfach ganz schnell runter in die Kantine huschen, mir so viel wie möglich aufs Tablett packen und mich anschließend wieder für die restlichen Tage, die Shelter noch hier ist, verschanzen.

Doch als ich den Flur betrete, sehe ich einen braunen Haarschopf am anderen Ende des Ganges.

Jason. An ihn habe ich die letzten Stunden keine Sekunde lang gedacht. Schon plagt mich ein schlechtes Gewissen.

Als er mich entdeckt, bleibt er inmitten seiner Bewegung stehen und sieht mich an - ich starre zurück, will gerade wieder umkehren, als ich meinen Namen aus seinem Mund kommen höre.

»Am.«

Ich stehe mit dem Rücken zu meinem Freund gewandt, der nun immer näher auf mich zukommt. Meine Schultern sacken nach unten und ich schließe die Augen, halte die Zeit für eine kleine Weile an, um mich zu sammeln.

Ich sehe so schwach aus, dass es mich selbst ekelt. Jason darf mich nicht sehen - so hat er mich noch nie gesehen. Es würde ihn nur anwidern.

Er steht nun direkt hinter mir. Ich kann seinen Atem hören. Seinen Blick auf mir spüren. Ich fühle, wie seine Hand die meine packt und sie sanft in sich einhüllt. Jason dreht mich zu sich um, schaut mir tief in die Augen, während ich den Boden begutachte.

»Schau mir in die Augen«, befiehlt er mir sanft.

Ich schüttle stumm den Kopf.

Schon hält er mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und hebt mein Gesicht ein wenig, sodass ich gezwungen bin, ihn anzusehen.

Er mustert mich besorgt. »Du siehst nicht aus wie du«, murmelt er, »Was ist los?«

Ich kann's ihm nicht sagen. Aber ich muss.

»Ich weiß nicht, ob du das hören willst«, erwidere ich.

Statt einer Antwort zieht mich Jason zurück in mein Zimmer und setzt sich mit mir aufs Bett.

»Sag's mir«, sagt er fürsorglich.

Ich seufze. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig. »Ich weiß, dass es dir nicht gefallen wird. Aber es ist etwas passiert«, beginne ich vorsichtig.

»Was ist passiert?«

»Shelter. Er ...«, ich schlucke, »Er wird die Zentrale verlassen.«

Jetzt ist es raus. Ich hab's gesagt. Es ist Realität. Er wird gehen.

Jason ist für eine Zeit lang still, was mich sichtlich beunruhigt. Ich habe keine Ahnung, was er denkt, wie er wohl reagieren wird. Ich habe einfach nur Angst und ich weiß nicht, wovor. Diese Unsicherheit macht mich verrückt.

Sein Blick wendet sich von mir ab. »Und das macht dich so fertig?«

»Ja«, antworte ich, »Ich weiß ja selbst nicht genau, warum. Da ist nur dieses Gefühl, dass ich ihn brauche.«

Nun schaut Jason mich wieder an und ich glaube, er ist verletzt.

»Du bist vorher doch auch schon ohne ihn klargekommen«, argumentiert er.

»Ich weiß«, erwidere ich abwehrend, »Aber dass ich ihn wieder getroffen habe, hat alles auf den Kopf gestellt. Es hat mir gezeigt, wie sehr ich ihn gebraucht habe, auch wenn ich es nicht gemerkt habe.«

»Du liebst ihn.«

Moment - was?

Wie zur Hölle kommt Jason jetzt darauf? Ich - verliebt in Shelter? Niemals.

Nein. Das ist absolut dahergestellt und erst recht nicht wahr!

»Nein!«, rufe ich aus, »Ich liebe ihn nicht. Zumindest nicht so.«

Jason schüttelt nur den Kopf und gibt mir zu verstehen, dass ich lieber still sein sollte. »Gib es zu, er hat alles verändert. Er hat uns verändert. Seitdem er hier ist, bist du nicht mehr du. Am, ich habe dich noch nie so am Boden gesehen, auch wenn du es nicht zugeben willst. Er hat so großen Einfluss auf dich. Sowas werde ich dir nie bieten können.«

Ist Jason völlig übergeschnappt? Was redet er nur da? Ich bin so verdammt verwirrt und habe keine Ahnung, was ich sagen soll. Es ist, als würden die Ruinen, die mir noch geblieben sind, ebenfalls zugrunde gehen.

»Jason, ich liebe dich!«, sage ich mit fester Stimme und Tränen in den Augen.

Ein leichtes Beben durchzuckt seine Schultern. »Weißt du was? Das glaube ich dir sogar. Aber du wirst mich nie so sehr lieben, wie du Shelter liebst.«

Der erste Tropfen wandert über mein Gesicht. »Nein. Das stimmt nicht«, flüstere ich, »Ich liebe dich. Natürlich bedeutet Shelter mir etwas, aber er ist nur ein Freund. Höchstens.«

»Und warum hat er in deinem Herzen Vortritt? Wieso steht er jedes Mal an erster Stelle, obwohl du mich liebst?«, fragt er mich diesmal lauter.

Darauf habe ich keine Antwort. Ja, warum? Ich habe keine Ahnung.

Das Schweigen deutet Jason wohl als eine eindeutige Antwort. Er steht auf und wirft mir noch einen kurzen Blick zu. »Es tut mir leid, aber ich ...«, er bricht kurz ab, »Ich kann einfach nicht.«

Und dann ist er verschwunden.

So wie jeder andere in meinem Leben, der mir wichtig ist.

Aber ich liebe Shelter nicht.

Ich tu's nicht und werde es auch nie können, so wie ich Jason liebe. Wieso versteht er das nicht? Warum muss ausgerechnet er mich ebenfalls im Stich lassen? Ich dachte, er sei anders.

Doch anstatt dass ich irgendetwas fühle, bin ich hohl. Kein Gefühl. Nicht einmal Wut.

Dunkles Nichts.




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