Heute ist Freitag und es werden die Prüfungsergebnisse mitgeteilt. Aufgeregt reden Yui, Sachiko und ich miteinander, bis unsere Lehrerin Frau Haruna mit mehreren Briefumschlägen den Raum betritt. Sofort ist es still, da jeder gespannt auf sein Ergebnis wartet, einige eher positiv, aber die meisten eher mit negativen Erwartungen.
Frau Haruna packt einen der Umschläge aus und verkündet: "Zunächst werde ich die einzelnen Fächer an alle individuell verteilen. Danach bekommt jeder noch zwei weitere Zettel, die ich dann erklären werde." Nervös rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Ob bei der Bewertung berücksichtigt wurde, dass ich zwei Monate krank war?
Ich denke eher nicht. Ich bekomme meine Tests zurück und bin sehr positiv überrascht. Außer in Gesellschaftskunde habe ich in jedem Test über 90 Punkte. Erleichtert atme ich laut aus. In Englisch habe ich die volle Punktzahl, was mich allerdings nicht sonderlich wundert. Auch Sachiko freut sich sichtlich über ihre Punktzahlen.
Als Frau Haruna wieder an ihrem Pult steht, erklärt sie uns, was es mit den anderen Zetteln auf sich hat. "Auf dem ersten Zettel steht, wie ihr im Vergleich zur restlichen Klasse abgeschnitten habt und auf dem Zweiten seht ihr eure Gesamtbenotung im Bezug auf euren Jahrgang." Sie geht also noch ein zweites Mal durch die Klasse, die jetzt viel entspannter ist.
Ich versuche verzweifelt zum wiederholtem Mal, Blickkontakt mit Shinji herzustellen, was mir aber immer noch nicht gelingen will. Warum bloß ignoriert er mich? Was ist in den zwei Monaten passiert? Als ich aufgewacht bin, war er doch bei mir und hat mich gefragt, ob ich mich an etwas erinnere... Vielleicht hat es etwas damit zu tun?
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als mir ein Zettel gereicht wird. Neugierig schaue ich ihn mir genauer an. Meine Spucke bleibt mir kurzzeitig weg, als ich sehe, welche Platzierungen ich habe. Klassenintern bin ich auf dem ersten Platz und im Jahrgang auf Platz 7! Das hätte ich jetzt nun wirklich nicht erwartet!
"Für jeden Test, der unter 50 Punkten liegt, möchte ich, dass ihr über die Sommerferien eine vollständige Berichtigung schreibt. Egal wer und welches Fach. JEDER Test unter 50 Punkte! Damit das klar ist." Eine unheimliche Stille tritt ein, in der man den einen oder anderen Schüler in Gedanken fluchen hört.
"Gut. Wenn ihr sonst keine Fragen habt, wünsche ich euch schöne und erholsame Sommerferien. Wir sehen uns dann im September!" Damit schnappt sie sich ihre Tasche und rauscht davon. Erst nach einigen Sekunden bricht das Chaos aus. Plötzlich will jeder so schnell wie möglich nach Hause.
In diesem Gewusel verliere ich Shinji aus den Augen und gebe meine Hoffnung auf, noch heute mit ihm zu reden. "Hey, Kazu!" ruft mich plötzlich jemand von der Tür. "Oh, Takeru! Ihr seid auch schon fertig?" Er nickt. "Und Mum wartet bereits gespannt auf uns, also beeil dich!" ruft er mir durch den Lärm zu.
So schnell wie ich kann, verstaue ich die Papiere, packe Yui am Handgelenk und folge Takeru, der bereits von Sachiko belagert wird. Damit ist unsere Gruppe vollzählig und wir schlendern gemütlich und fröhlich nach Hause. Unsere Eltern und Yui's Großmutter, eine sehr freundliche Dame, die wie Yui in alt aussieht, warten bereits auf uns.
Natürlich schauen sich Mum und Dad unsere Testergebnisse sehr genau an und freuen sich schließlich über die Bewertungen. Insbesondere die von mir. "Ich freue mich ja so, dass eure Noten trotz der Umstände so gut geblieben sind! Ihr habt euch eine Belohnung verdient. Ich habe bereits mit Naru-san darüber geredet."
Mum holt kurz Luft. "Sie und ich waren uns einig, dass wenn eure Noten sehr gut sind, wir zusammen einen kleinen Urlaub machen. Naru-san hatte uns alle eingeladen mit ihnen ans Meer zu fahren!" Ich mache vor Freude einen Luftsprung. "Wir fahren ans Meer! Wir fahren ans Meer!" freue ich mich wie ein kleines Kind.
Auf Takeru kann seine Freude nicht zügeln und springt zusammen mit mir auf und ab. Wir hören nicht mal damit auf, als unsere beiden Smartphones gleichzeitig einen Ton von sich geben. Es ist Sachiko, die sich auch riesig über die gute Nachricht freut. Ich stelle mir in Gedanken vor, wie sie fröhlich vor sich hin grinst.
Erst spät in der Nacht legt sich die Vorfreude etwas. Da wir nächste Woche erst fahren, nehme ich mir vor, gleich morgen Shinji zu besuchen, um ihn zur Rede zu stellen. Gerade jetzt wird mir schmerzlich bewusst, wie sehr er mir doch in der kurzen Zeit an Herz gewachsen ist. Ich will doch noch so viel mit ihm erleben...
Es fällt mir schwer, diese Nacht ein Auge zu zukriegen. Immer wieder bin ich in Gedanken bei Shinji. Besonders die schönen Momente, die wir zusammen erlebt hatten. Besonders bei unserem ersten Kuss beginnt es in meinem Bauch sanft zu kribbeln und ein zartes Lächeln ist in meinem Gesicht.
Was muss passiert sein, damit aus diesem Jungen, in den ich mich wohl verliebt habe, ein solcher Idiot wurde, der mich jetzt ignoriert? Naja, irgendwie habe ich es erwartet. Kaum gestehe ich mir die Gefühle ein, die ich empfinde und schon verschwindet der Kerl aus meinem Leben. Mit Tony war es doch genauso....
Tony war der ältere Bruder von Luke, meinem besten Freund aus L.A.. Ja, das totale Klischee, wenn man bedenkt, dass Tony und Takeru ebenfalls beste Freunde waren. Und nun habe ich eine ähnliche Situation mit Shinji. Nur, dass ich diesmal nicht so schnell aufgeben werde! Ich werde noch innerhalb der Sommerferien mit Shinji ein klärendes Gespräch führen!
Mit diesem Entschluss bleibe ich die ganze Nacht auf und schreibe an einer Liste, auf der alles steht, was ich in den Sommerferien erledigen muss. Unter anderem meinen Geburtstag mit meinen Freunden nachfeiern, viele Strandaktivitäten, aber auch das Gespräch mit Shinji, welches für mich jetzt am wichtigsten ist.
Gleich nach dem Frühstück gehe ich den wohl bekannten Weg zu Shinji. Jedoch werde ich immer nervöser, je näher das Haus kommt. Was sage ich überhaupt? Wie fange ich das Gespräch an? Und wenn er mich gar nicht sehen will? Mein Herz rast, als ich mit zittrigen Fingern auf die Klingel drücke.
"Oh? Kazumi-san? Hat er dir etwa nichts erzählt?" Ich schaue die Betreuerin verwirrt an. "Nein, er meidet mich seit etwa zwei Wochen. Ich wollte ihn fragen, ob es ihm gut geht. Ist er nicht Zuhause?" "Nein. Shinji-san ist vor einigen Tagen abgehauen." Mir fällt die Kinnlade runter, als ich das höre.
"Wie jetzt? Er... Er ist abgehauen? Inwiefern?" "Naja... Er hat seinen Koffer gepackt und meinte zu mir, er zieht zu seiner Tante. Ich habe kurz mit ihr alles besprochen und Shinji-san gehen lassen. Schließlich habe ich nicht die Berechtigung ihn hier fest zu halten." Ich nicke betrübt. "Okay. Danke für die Info. Alles Gute!"
Sie schließt die Tür und ich gehe langsam die Straße entlang. Verdammt, Shinji! Was tust du nur für Sachen! Ich mache mir gleichzeitig Vorwürfe und große Sorgen. Ja, er ist 17 und kann wunderbar auf sich allein aufpassen, aber er ist doch so anfällig und sensibel. Und doch ist da diese Stärke, die von ihm ausgeht.
Wahrscheinlich gerade weil er so ist, wie er ist. Trotz seiner Vergangenheit hat er mich durch die Mauern gelassen, die er um sich herum aufgebaut hatte. Und das alles für nichts und wieder nichts außer Herzschmerz und Liebeskummer? Ich vermisse ihn so sehr! Was soll ich denn jetzt tun? Ich bin vollkommen ratlos.
Auch in der restlichen Woche fallen weder mir, noch meinen Freundinnen etwas ein. Ich habe mich ihnen anvertraut, dass ich mich in Shinji verguckt habe, was laut ihren Aussagen eh schon ein offenes Geheimnis ist. Ebenso, dass er auch auf mich steht. Und dann distanziert er sich plötzlich ohne jeden Grund? Ich hoffe, der Urlaub bringt mich auf andere Gedanken...
......
Fortsetzung folgt am 01. August 2019!
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Tokyo, mein neues Zuhause
Fanfiction"Mein Name ist Kazumi. Ich bin 16 Jahre alt und lebe seit gestern in Japan." mein Blick schweift über meine neue Klasse und bleibt an meiner neuen besten Freundin und meinem schlecht gelaunten, neuen Sitznachbarn hängen. Ich habe das Gefühl, dass ic...