Die restliche Schulwoche verläuft ohne weitere Ereignisse. Meinen Stundenplan kenne ich schon fast auswendig. Am Samstag übernachtet Sachiko bei mir. Sie kommt mit einen großen Rucksack zu mir. "Was hast du da alles eingepackt?! Du wohnst doch direkt nebenan!" frage ich sie. "Ach, nur Schlafsachen und was ich sonst noch so brauche für den nächsten Morgen." winkt sie ab. Mein Bruder kommt ins Zimmer. "Hey, ich soll euch zu Mum rufen!" sagt er auf englisch. Sachi-chan schaut ihn verwirrt an. "Wir sollen zu eurer Mutter? Habe ich das richtig verstanden?" "Ja, das ist richtig!" "Yay!" freut sie sich wie ein Kleinkind.
"Mum, du hast uns gerufen?" "Ja, Schätzchen. Ich brauche Hilfe beim Übersetzen dieses Briefes." Ich übersetze ihn schnell. "Danke, Kazu! Sag Bescheid, wenn ihr etwas braucht." "Machen wir." Dann gehen wir wieder hoch in mein Zimmer. "Was wollen wir machen? Ein Film gucken?" "Spiel mir was auf der Geige vor!" Sachi-chan's Augen funkeln. Ich seufze. "Nagut, aber danach gucken wir einen Film!" Ich spiele ihr einen Klassik-Song vor. Als ich fertig bin, klatscht Sachi-chan begeistert. Ein weiteres Klatschen kommt von der Tür, wo sich Takeru an den Türrahmen lehnt: "Ist immer wieder schon mit anzuhören. Und was macht ihr heute Abend noch so?" Seine japanische Aussprache hat sich deutlich verbessert.
"Wir wollten gleich ein Film gucken." antworte ich ihm. "Ach, das ist doch langweilig. Kommt mal mit zu mir, wir können was spielen!" Sachi-chan, die bisher nur still zugehört hat, springt auf und nickt begeistert. Ich lege meine Geige weg und folge ihnen. Das Zimmer von Takeru ist direkt nebenan. Seine Konsole ist an und auf dem Fernseher ist bereits ein Spiel an laufen: Monopoly. Wir setzen uns und Takeru erklärt uns die Steuerung. Wir spielen mehrere Runden und es ist sehr lustig zwischendurch. "Ich gehe kurz auf die Toilette. Takeru spielst du für mich weiter?" "Klar." Ich stehe auf und verschwinde im Bad.
Als ich wieder komme, höre ich weder Spielgeräusche noch die Stimmen von Takeru oder Sachiko. Vielleicht sind sie ja eingeschlafen. Leise schleiche ich mich an die Tür. Ich öffne sie einen Spalt breit und kann nicht glauben, was ich sehe. Takeru und Sachiko küssen sich! "WAS GEHT HIER VOR SICH?!?!?" schreie ich die beiden an. Sie lösen sich erschrocken voneinander und sehen mich an. Sowohl Sachiko als auch Takeru sind rot im Gesicht und schauen dann beschämt auf den Boden. "Sachi-chan? Gehst du bitte in mein Zimmer? Ich möchte mit Takeru unter vier Augen reden." Ich zeige mit dem Finger auf die Tür hinter mir. Sie nickt und geht mit schnellen Schritten davon. "Und nicht lauschen! Am besten steckst du dir Kopfhörer in die Ohren!"
"So und nun zu dir, Bruderherz!" "Es tut mir leid, es... es ist einfach passiert..." sagt er leise. "Wie kannst du es wagen, meine beste Freundin zu küssen?" "Hey, zu meiner Verteidigung! Sie hat mich geküsst!" "Und du hast erwidert! Das heißt du bist genauso daran Schuld wie sie!" "Es tut mir ja leid..." gibt es kleinlaut von sich. "Und du weißt, dass ich eine Schwäche für rothaarige Mädchen wie Sachiko-san habe!" "Ja, das weiß ich doch. Ich kann mich noch an deine letzte Freundin erinnern. Aber im Moment bin ich nur verwirrt und weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich muss kurz telefonieren." Ich gehe ins Badezimmer und krame mein Handy aus der Hosentasche.
Bei Miu heißt es die ganze Zeit: Der Teilnehmer ist zur Zeit leider nicht erreichbar. Und Ri nimmt nicht ab. Auf WhatsApp sehe ich, dass mein bester Freund aus Los Angeles noch online ist. Entschlossen rufe ich ihn via WhatsApp an. Es tutet eine ganze Weile, aber dann höre ich seine vertraute Stimme. "He Kazumi. Wie geht's dir so in Japan?" "Hi, Luke. Mir geht es ganz gut hier. Ich habe auch schon neue Freunde gefunden." "Das dachte ich mir. Egal wo du hingehst, du findest schnell Anschluss!" Nach einer kurzen Pause redet er weiter. "Erinnerst du dich noch an die Tussi aus der Parallelklasse, die dich immer versucht hat zu mobben?" Nur ungern erinnere ich mich an Violet. "Ja, was ist denn mit ihr?" "Nun ja, wie soll ich sagen? Sie und ich sind jetzt zusammen..."
Ich lasse geschockt mein Handy fallen. Luke und Violet? Nagut sollen die doch glücklich werden. Jetzt habe ich noch zwei, die mir helfen könnten. Yukio-kun und Shinji-kun. Mit Yukio-kun habe ich seit seinem Kuss auf die Wange nicht mehr geredet, also bleibt mir nur noch Shinji-kun. Ich schaue auf die Uhr. Ob er jetzt noch wach ist? So kurz vor Mitternacht? Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich hebe mein Handy wieder auf und suche seine Nummer heraus. Es tutet drei Mal, bis ich seine Stimme höre. "Araki-san? Warum rufst du mich an? Und warum so spät?" Er klingt verschlafen. "Oh. Sorry. Habe ich dich geweckt?" "Nicht ganz. Also was willst du?" "Ich brauche jemanden zum reden." sage ich leise. "Dann rede doch mit Sachiko-san darüber!" "Kann ich nicht, es betrifft sie ja." "Also schön ich höre dir zu. Aber dann sind wir entgültig quitt, ja?" "Ok." Ich erzähle ihm, was passiert ist.
"Das mit deinem besten Freund tut mir leid. Aber ich kann mir nie und nimmer vorstellen, dass Sachiko-san und dein Bruder... nein. Obwohl... Das erinnert mich stark an die Mittelschule. Damals war Sachiko-san mit Masahiro-kun zusammen." "Masahiro-kun? Ist das nicht der Riese aus der letzten Reihe?" "Ja, genau der." "Anscheinend mag sie große Jungs, da mein Bruder auch so groß ist wie Masahiro-kun. Wenn nicht sogar noch größer." "Wow, noch größer? Geht das überhaupt?" "Du hast ihn doch letztens gesehen, als du mir die Hausaufgaben gebracht hast!" "DAS war dein Bruder?" "Ja." "Ok. Aber zurück zu dir. Gehst dir jetzt besser, nachdem du mich vollgequatscht hast?" "Ja, danke nochmals. Und entschuldige wegen der Uhrzeit." Ich kratze mich mit meiner freien Hand am Hinterkopf. "Schon gut." brummt er und legt auf.
Ich frage mich, warum er meistens so schlecht gelaunt ist, obwohl ich gelaubt habe, dass er während unseres Telefonats gelächlt hat. Ich bekomme das Geheimnis schon noch aus ihm heraus. Ich gehe zurück in mein Zimmer und sehe Sachi-chan schlafend mit dem Kopf auf ihrem Rucksack liegen. Ich lege ihr eine Decke über den Körper, nehme die Kopfhörer aus den Ohren und ziehe ihr die Schuhe aus. Mein Handy klemme ich ans Ladekabel, da es nur noch 10% Akku hat. Als ich mich ebenfalls hinlege, starre ich die Decke an und denke an das Telefonat mit Shinji-kun zurück. Seine Stimme begleitet mich ins Reich der Träume...
Autoren-Kommentar:
Ja ja, das erste Liebesdrama und es betrifft Kazumi zwar nur indirekt und doch ist sie so sehr davor betroffen. Bleibt nur noch die Frage wie es weitergeht. Seid gespannt auf die Fortsetzung!
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Tokyo, mein neues Zuhause
أدب الهواة"Mein Name ist Kazumi. Ich bin 16 Jahre alt und lebe seit gestern in Japan." mein Blick schweift über meine neue Klasse und bleibt an meiner neuen besten Freundin und meinem schlecht gelaunten, neuen Sitznachbarn hängen. Ich habe das Gefühl, dass ic...