Ein blaues Wunder?

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Percy wusste, dass er sterben würde. Er sank immer tiefer. Um ihn war nichts als Wasser. Die Kraft hatte ihn verlassen und er verlor langsam aber sicher das Bewusstsein. Er wusste, wie das mit dem Ertrinken funktionierte. Wenn kein Sauerstoff mehr ins Hirn kam, würde sich sein Zwerchfell verkrampfen, er würde Wasser einatmen und dann sterben. Wieso er das wusste? Er hatte vor nichts mehr Angst, als zu Ertrinken. Und jetzt passierte es. Aus dem Augenwinkel sah er Annabeth. Was tat sie da? Sie war sich vor fünf Sekunden noch nicht hier gewesen. Das letzte, was er spürte, bevor alles schwarz wurde, war, wie sie ihn an den Armen packte.

Hustend wachte Percy wieder auf. Er lag irgendwo im Sand, der Himmel über ihm blauer als alles, was er je gesehen hatte. Er hustete und spuckte Wasser. Dann sah er Annabeth. Sie hockte auf seinem Bauch, die Hände auf seiner Brust und sah erleichtert aus. "Zum Glück. Ich habe dich schon zweimal versucht, zu reanimieren. Ich dachte schon, du wärst verloren."
"Warte, soll das heißen... Ich war tot?" Er rieb sich die Stirn.
Sie nickte. "Für kurze Zeit. Aber ich habe dich aus dem Wasser gezogen."
Er richtete sich auf und sie kletterte schnell von ihm hinunter. Langsam stand er auf. Ihm war schwindelig und er war vollkommen mit Wasser und Sand bedeckt. Er sah sich um. Sandstrand, so weit das Auge reichte. Nur im Osten das Meer. Es schien vollkommen ruhig und harmlos. Trotzdem wich er unwillkürlich einen Schritt zurück.
"Wir müssen hier weg", sagte er heiser.
"Ja", stimmte sie ihm zu. "Wo auch immer wir hier sind."
"Landeinwärts?"
Er sah sie fragend an. Nasse Strähnen seines nassen Haares hingen ihm in die Stirn, sein Hemd klebte an ihm und Wasser tropfte von seinen Fingern in den Sand. Sie musste unwillkürlich lächeln. "Ja, landeinwärts."
Sie nahm seine Hand und zog ihn in Richtung Landesinneres. Er stolperte vor lauter Überraschung. Dann gingen sie eine Weile schweigend. Schließlich sagte er, noch immer heiser: "Danke. Danke, dass du mich gerettet hast."
Sie sah ihn mit leuchtenden, grauen Augen an. "War doch selbstverständlich."
"Was ist eigentlich passiert?"
"Ich weiß auch nicht. Grimm muss die Bilder irgendwie verzaubert haben, so dass wir im Meer gelandet sind."
Kurz herrschte Stille, dann fragte Percy verwirrt: "Welche Bilder? Und wer ist Grimm?"
Annabeth öffnete überrascht den Mund, doch bevor sie antworten konnte, hörten sie ein lautes Schnauben hinter sich. Sie wirbelten herum. Ein Minotaurus stand hinter ihnen, mit geblähten Nüstern und wütenden roten Augen. Annabeth schrie kurz auf, dann rannten sie. Rannten, rannten, rannten. Der Minotaurus folgte ihnen. Ihre Füße versanken immer wieder im heißen Sand. Noch immer war nichts als Sand zu sehen. Percy keuchte schwer. Plötzlich schrie Annabeth erleichtert auf und deutete mit zitterndem Finger in eine Richtung. Eine Palme. Sie sprinteten so schnell es noch ging, dann erreichten sie den Baum. Hastig kletterten sie hinauf, so schnell das eben bei einem Baum ohne Äste ging, hinauf. Gerade rechtzeitig erreichten sie beide die Blätter. Der Minotaurus starrte wütend zu ihnen nach oben, konnte sie aber mit seinen guten nicht verfolgen.
Percy keuchte. "Also, erzähl mir was passiert ist."
Annabeth nickte und begann zu erzählen. Von ihrem Leben als Prinzessin. Von ihrem Zusammentreffen mit Percy und Blackjack. Von der Suche nach ihrer Kutsche und Jules-Albert. Von den anderen. Von dem Haus. Von Grimm. Von den Bildern. Und auch als sie erzählte, ertönte plötzlich ein hohes, zischendes Geräusch. Der Minotaurus hob den Kopf und trottete davon. Verwirrt sahen Percy und Annabeth sich an. Alles begann sich zu drehen. Noch immer klammerten sie sich an die Palme. Dann war alles weiß.

Sie saßen jetzt am Boden, in einem vollkommen weißen Raum. Die Palme, der Strand, der Minotaurus, alles war verschwunden. Percy war trocken. "Mein Schwert!" Er tastete seine Hüfte ab. "Mein Schwert ist weg!"
"Das ist deine einzige Sorge?", lachte sie. "Wir sind irgendwie an diesen seltsamen Ort gekommen und du denkst an dein Schwert?"
"Es ist mir eben wichtig", sagte er trotzig.
"Du bist mir auch wichtig", sagte sie sanft.
"Was?"
"Was?"
Sie starrten sich überrascht an. Dann beugte sich Percy vor und küsste sie sanft auf die Lippen.

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