Knusper, knusper, Trauermärchen

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Nico legte den Kopf zwischen die Knie. Wieso? Wieso, wieso, wieso? Wer hat ihm so etwas an? Hasste die Welt ihn so sehr? Er schloss die Augen und dachte an die Zeit, als seine Mutter noch gelebt hatte. Alles war gut gewesen. Sie hatten gemeinsam in einer kleinen Holzfällerhütte am Waldrand gelebt. Gemeinsam. Er, seine Schwester Bianca und seine Eltern. Doch das Schicksal oder irgend ein anderer Idiot hatte befunden, dass seine Mutter sterben musste. Er erinnerte sich noch an ihr blasses Gesicht, als sie auf dem Sterbebett lag und die letzte Wärme ihrer schmalen Hände, als sie seine zum letzten Mal drückte. Ihr Vater war daran zerbrochen. Bianca und Nico hatten hilflos zusehen müssen, wie der ehemals gut gelaunte Holzfäller zu einem Schatten seiner selbst verblasste. Doch dann kam Persephone. Eine hübsche junge Frau, freundlich und liebenswert. Und sie verdrehte seinem Vater den Kopf. Sie kittete sein zerbrochenes Herz und vermutlich war sie genau die Richtige, denn die beiden heirateten und waren glücklich. Doch dann war da noch ihre Mutter Demeter. Und die hielt es für unmöglich, dass ihr Schwiegersohn Kinder von einer anderen hatte. Also beschloss sie, Nico und Bianca loszuwerden. Im Wald. Im tiefen dunklen Wald. Und es wäre ihr auch fast gelungen - hätte nicht Bianca eine Spur aus Kieselsteinen gelegt, sodass sie zurückfanden. Doch als Demeter sie ein zweites Mal in den Wald führte, beging Bianca den Fehler ihre Taschen anstatt mit Kieselsteinen mit Brotkrümeln zu füllen. Natürlich pickten die Vögel die Spur diesmal auf und so standen die beiden Kinder verloren im Wald. Verloren? Na ja, nicht ganz. Denn schon kurz darauf fanden sie ein kleines Haus - ganz gebaut aus Lebkuchen! Hungrig wie sie waren machten sie sich über die Dachrinne her und wurden prompt von der Hausherrin ertappt. Die rätselhafte Dame, die sich als Circe vorstellte, führte sie ins Haus. In der Hoffnung auf Gastfreundschaft folgten Nico und Bianca ihr. Doch sie hatten sich geirrt. Circe sperrte Nico in einen Käfig und ordnete Bianca dazu an, ihre Hausarbeit zu verrichten. Die nächsten Tage, vielleicht auch Wochen und Monate verbrachte Bianca damit, den Boden zu schrubben, während Nico in einem Käfig saß und von Circe gemästet wurde. Sie wollte ihn schön fett kriegen, damit sie ihn in ein Schwein verwandeln und anschließend als Festmahl verspeisen konnte. Nico saß Tag und Nacht zitternd in einer Ecke des Käfigs, mit dem furchtbaren Bewusstsein, nie wieder etwas anderes als Gitterstäbe zu sehen. Doch er hatte die Rechnung ohne seine Schwester gemacht. Kaum dass die Hexe am Tag des Festmahls den Ofen angeheizt hatte, hatte sie sie auch schon hineingestoßen, Nico aus dem Käfig befreit und war gemeinsam mit ihm in den Wald gelaufen. Und das Schicksal oder irgendjemand anders hatte sie direkt nachhause gelotst, nachhause zu ihrem Vater, zuhause zu Persephone, die sich die Augen ausweinte, weil ihr das mit ihrer Mutter so leid tat, zuhause in die kleine Holzfällerhütte am Waldrand. Und alles hätte gut sein können. Nico schlug seinen Kopf mit jedem Wort gegen seine Knie. Alles. Hätte. Gut. Sein. Können. Aber was war stattdessen geschehen? Bianca war spurlos verschwunden und Nico durchstreifte seit zwei Tagen den Wald auf der Suche nach ihr. Er hatte die Hoffnung auf ein Happy End schon fast aufgegeben. Nur Antworten hätte er gern gehabt. Antworten, auf die Frage, was mit Bianca passiert war. Was seinen Vater erneut zerbrochen hatte, was den kleinen, schmächtigen Nico dazu gebracht hatte, aufzustehen, die Axt seines Vaters zu nehmen und zu sagen: "Ich suche sie!" Jetzt saß er da, die Axt um den Rücken geschnallt, auf einer kleinen Lichtung auf einem Baumstumpf und weinte wieder. Er würde sie schon noch finden, redete er sich gut zu, holte tief Luft und blickte auf. Genau in die Augen eines Fremden. Er stieß einen Kurzen Überraschungsschrei aus, sprang auf und zog die Axt. "Wer bist du?"
Der Junge sah ihn erschrocken an. Er hatte strubbelige blonde Haare, intensive blaue Augen und unglaublich viele Sommersprossen. In den Armen trug er einen Mühlstein. Was machte der Typ mit einem Mühlstein im Wald? Warum schleppte er überhaupt dieses Ding, das eindeutig zu schwer war für ihn? "Ich- ich bin Will. Will Solace. Ich hab nur gesehen, dass du weinst und dachte mir - dachte mir, ich könnte dir vielleicht helfen", er legte den Kopf leicht schief, wie ein Hund.
"Bring mir meine Schwester zurück. Erweck meine Mutter von den Toten. Sorg dafür, dass mein Vater sich nicht jeden Abend in den Schlaf weinen muss. Meine Güte, mach die Welt wieder heil!", er biss sich auf die Unterlippe. "Ich bin Nico, übrigens."     "Also, Tote zum Leben erwecken kann ich leider nicht", ein fröhliches Funkeln glänzte in seinen Augen auf. "Aber deine Schwester zurückbringen vielleicht schon. Oder zumindest dir helfen sie zu suchen."
"Wirklich? Das würdest du einfach so tun?"                                                               "Natürlich. Seit Tagen gehe ich durch die Gegend und tausche ein unnötiges Tier gegen das nächste. Alles was mir von meinem Lohn geblieben ist, ist dieser bescheuerte Mühlstein. Also kann ich genauso gut einem hilflosen, mit einer Axt bewaffneten Typen helfen."        
Er legte den Stein am Waldboden ab und ging zögernd auf Nico zu, der ihm noch immer die Axtklinge entgegenhielt und streckte ihm die Hand hin. "Deal?"                                       Noch immer überrascht ließ Nico die Axt sinken und nahm Wills Hand. "Deal."

Solangelo! Der Teil ist schon seit 10. Februar fertig, so sehr hab ich mich darauf gefreut! Ich hoffe ihr mögt ihn auch!
Eure
Luna_Levesque

Helden des MärchenwaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt