🌑•Night Six•🌑

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Jeongin

"Und ich bin mir ganz sicher, dass er sich darauf freut, dich kennenzulernen!", erzählte mir Hyunjin begeistert über den Videoanruf. Mittlerweile war es abends, da ich aufgrund meiner Müdigkeit vorhin noch einmal eingeschlafen war und erst vor einer halben Stunde wieder aufgewacht. Die Sonne war gerade dabei, unterzugehen, weshalb ich diese Zeit zusammen mit Hyunjin versuchte zu überbrücken, bevor ich mit meinen Eltern später essen gehen würde. Das hatten sie mir versprochen, weil sie in den letzten Tagen viel arbeiten hatten mussten.

"Wenn du meinst", murmelte ich nur etwas demotiviert und starrte auf die Bettdecke. In meinem Kopf stellte ich mir ein Bild zusammen, wie der Australier, der heute in Hyunjins Klasse gekommen war, wohl aussehen mochte und überlegte, ob wir uns gut verstehen würden. Mein bester Freund meinte, dass er noch nicht so gut in Koreanisch war und einige Fehler machte, aber abgesehen davon wirklich freundlich und ein guter Junge. Scheinbar hatte er auch Hyunjin auf unser abgedunkeltes Haus angesprochen, Interesse hatte anscheinend in seinen Augen geglänzt und er hatte wohl nicht so gewirkt, als würde er es wissen wollen, um mich damit aufzuziehen und mich fertig zu machen. Aber dennoch blieb ich misstrauisch.

Aber wie sollte es denn auch anders sein? Immerhin kannte ich kaum Menschen.

"Ganz bestimmt. Ich komme am Wochenende zu dir und übernachte bei dir, okay? Und dann laden wir Felix ein und du lernst ihn auch kennen. Ich bin sicher, dass ihr euch super verstehen werdet und vor allem kann er dich viel häufiger nach Sonnenuntergang besuchen. Schließlich wohnt er dir gegenüber und nicht wie ich am anderen Ende der Stadt", meinte Hyunjin breit grinsend und stützte seinen Kopf auf seinen Händen ab. Seine Augen glitzerten, offensichtlich schien er begeistert von seiner Idee zu sein, doch ich vermutete, dass er mich einfach nur loswerden wollte. Dass er die Last, die ich ihm bereitete, teilen wollte und dass nicht nur er für mich verantwortlich sein musste. Und das hasste ich. Das wollte ich nicht. Ich wollte weder, dass er sich dazu zwang, so etwas zu machen, noch, dass er jemand anderen mit herein zog.

"Ich bezweifle, dass das eine gute Idee ist", meinte ich also leise und hob wieder meinen Blick, um Hyunjin anzuschauen. Dieser sah mich verwundert an, schien nicht ganz zu verstehen, wieso ich mich auf einmal weigerte, wenn ich letztens doch noch davon geredet hatte, jemand anderen unbedingt kennenlernen zu wollen. Aber na ja, ich wollte nun einmal niemandem zu Last fallen.

"Hast du nicht gesagt, du willst etwas mit Minho am Wochenende machen? Ihr hattet doch so wenig Chancen, Zeit für euch zu finden", lenkte ich ab und betrachtete ihn ernst. Verwirrt dadurch zog Hyunjin seine Augenbrauen zusammen und legte seinen Kopf schief, schien nicht ganz zu wissen, was er von meinem Verhalten halten sollte und vor allem, wie er darauf reagieren sollte.

"Aber Minho und ich können uns auch einfach so mal treffen, dafür muss ich nicht extra zu ihm gehen", widersprach er mir und zog nun leicht eine Augenbraue hoch. Ich hingegen widerstand dem Drang, mir auf die Lippe zu beißen, denn auch wenn ich glaubte, dass er es nicht bewusst getan hatte, hatte er eben einen wunden Punkt erwischt. Ja, ich war bisher nur ein einziges Mal bei ihm gewesen und das war nachts. Ich konnte tagsüber nicht zu ihm gehen, er musste immer zu mir kommen. Er musste darauf achten, dass mich kein Sonnenlicht traf, wenn er mich besuchen kam, wir konnten nicht zusammen hinaus gehen, wir konnten allgemein nichts machen, was beste Freunde normalerweise taten. Wir saßen nur bei mir Zuhause herum und gingen manchmal nachts spazieren oder ins Kino. Mehr nicht. Und das würde sich niemals ändern.

"Ich muss mich jetzt fertig machen, Hyung, meine Eltern wollen bald gehen. Wir sprechen wann anders noch einmal darüber, okay? Bis dann", verabschiedete ich mich nun einfach und wartete nur darauf, dass er meine Worte erwiderte. Seinen gestarteten Protestversuch ignorierte ich einfach und legte dann kurzerhand einfach auf, ehe ich mein Handy weglegte und mich auf den Rücken legte. Trist starrte ich die Decke an, an der meine Eltern, als ich noch ein kleiner Junge war, Sterne angeklebt hatten. Dabei traten leichte Tränen in meine Augen und kurzerhand schloss ich sie einfach, in der Hoffnung, nicht anzufangen zu weinen.

Ich hasste dieses Leben so sehr. Ich konnte nichts machen, konnte nicht wie ein normaler Junge aufwachsen. Aber ich war eben nicht normal. Alles, was ich wollte, war ein normales Leben zu führen, Freunde zu haben und Abenteuer zu erleben. Ich wollte glücklich sein, ich wollte wie die anderen sein und ich wollte vor allem mit den anderen sein... ich wollte nicht anders sein. Ich hasste es, anders zu sein.

Ich wollte dieses Leben nicht länger führen.

Sunrise ★ JeonglixWo Geschichten leben. Entdecke jetzt