3. Dezember

67 6 5
                                    

Am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück spannt Sami die Rentiere an. Gleichzeitig verstaue ich das Proviant unter den Sitzbänken. Antonia hat uns einen Sack Heu für die Rentiere und Sandwiches für Sami und mich bereit gemacht. "Sami, ich bin fertig!" "Ich auch, dann können wir ja jetzt los!" Vorsichtig springe ich vom Schlitten, um Antonia zum Abschied feste zu umarmen. "Machs gut, Antonia." "Adiós kleine Mariposa. Pass auf dich auf." "Mach ich", verspreche ich.
Ich löse mich von ihr und klettere wieder zurück auf den Schlitten. Sami hält bereits die Zügel in den Händen. "Bereit sofort zu starten." "Auf Wiedersehen, Antonia. Und danke für alles." Sami treibt die Rentiere an, sie rennen so schnell sie können und sie heben mit dem Schlitten ab. Ich drehe mich zu Antonia um und winke sogar noch, als der Schlitten schon lange weit über dem Boden dahin gleitet. Erst als sie bloss noch ein kleiner Punkt ist, wende ich mich ab. "Wie lange dauert es bis wir da sind?", frage ich Sami. "Wenn wir ohne Stopp fliegen können, ungefähr neun Stunden." Neun Stunden! Das wird ein unglaublich langer und langweiliger Flug. Sami scheint das nichts auszumachen. Hoffentlich sind nicht alle Strecken so lang. "Und was macht man während einem so unglaublich langen Flug?" Sami schaut sich im Himmel um, tippt auf den Kompass und dreht sich dann zu mir um. "Wir überlegen uns, wo wir das Amulett vom Weihnachtsmann finden." Ich lasse mich auf einen der Bänke plumpsen und schaue über den Rand des Schlittens auf die kleine Welt hinab.
"Hat es in der Mongolei eine Wüste?", frage ich Sami, der immer wieder auf den Kompass sieht. "Ja, und sie ist grösser als die von Spanien." Ich verdrehe die Augen. "Warum liegt denn alles in die Wüste?" Ich höre sein amüsiertes Lachen. "Es sind bestimmt nicht alle Teile in einer Wüste gelandet. Wer weiss, vielleicht müssen wir einmal bis zum Grund eines Sees tauchen oder auf einen Berg hinauf steigen", munkelt er geheimnisvoll. Ich sehe uns schon auf dem Mount Everest und tauchen in einem der vielen Seen in Schweden. Da habe ich letztes Jahr mit meinem Papa in den Sommerferien gemacht. "Was machen wir denn, wenn jemand das Amulett gefunden hat?" Als hätte er sich auf ein Bienennest gesetzt, dreht er sich ruckartig um und starrt mich an. "So ein Mist, daran habe ich noch gar nicht gedacht!" Also bin ich doch noch zu etwas zu gebrauchen. Am Horizont taucht gerade das Meer auf. Wir näher uns schnell dem grossen Blau und unter uns liegen die Leute auf lustigen farbigen Badetüchern. Einige Kinder und Erwachsene sehen zu uns hoch und winken, andere rufen empört, weil der Schlitten die Sonne kurz verdeckt. Ich winke fröhlich zurück.
Nach endlosen neun Stunden beginnt der Schlitten langsam zu sinken. Endlich, endlich sind wir da, hoffentlich ist das nächste Teil nicht auch so weit weg. Ganz sanft setzt der Schlitten auf dem sandigen Boden auf. Toll, noch mehr Sand. Hätte ich doch den Kessel und die Schaufel mitgenommen, dann könnte ich jetzt Sandburgen bauen! "Mist, laut Navi muss das Teil irgendwo da drüben in der Zeltstadt sein. Hoffentlich nicht bei so einer schrulligen alten Schachtel, die nichts, was ihr in die Finger gerät, je wieder hergibt", brummt Sami. Oh, die Zelte hab ich ja gar nicht bemerkt. Die sehen aber spannend aus. Ich frage mich, wie es ist, in so einem Zelt zu wohnen. "Menschen sind doch keine Elstern." Sami schnaubt. "Manche benehmen sich aber als wären sie es." Mit diesen Worten dreht er sich um und stapft zum Dorf. Seufzend folge ich ihm. Warum muss der manchmal nur so unglaublich negativ sein? Ich werfe noch einmal einen Blick auf das Navi und sehe erstaunt, dass sich das Amulettsymbol bewegt. "Sami! Sami, sieh mal!" Genervt dreht er sich um und kommt zurück. "Was denn?" Ich zeige aufgeregt auf den kleinen Bildschrim. "Oh, na sowas!" Sami sieht mit grossen Augen auf das Navi, nimmt es ab und geht los. Ich folge ihm eilig und wir nähern uns der Zeltstadt.
Eine Herde Rinder kommt uns entgegen gelaufen. Die Männer auf den Pferden treiben sie zu einem Gehege. Wir wollen gerade einen zweiten Versuch wagen, doch da kommen Kamele angerannt. Hinterher rennen ein paar schimpfende Frauen und Männer. "Rennt hier eigentlich alles und jeder?", zetert Sami. Ich entdecke ein Kind, das eine goldige Halskette in der Hand hält. "Sami sieh doch." Sofort laufen wir dem Kind nach und verirren uns schnell im Labyrinth der Zelte. Wir begegnen Hunden, ein paar älteren Leuten und einem Esel. Das Kind, ich bin überzeugt dass es ein Mädchen ist, läuft immer noch vor uns. "Los Lilja, das ist deine Chance." Sami schubst mich nach vorne, ich stolpere und falle über das Mädchen. Erschrocken schreit sie auf und versucht sich sofort unter mir hervorzuziehen. Ich rappele mich auf und strecke ihr die Hand entgegen. Sie sieht zu mir auf und blickt staunend auf meine Haare. Dann sagt sie etwas, das ich nicht verstehe. Sami steht hinter einer Kiste und sieht sich das Amulett an. Dann schüttelt er nur den Kopf. Das Mädchen mit den dunkelbraunen Zöpfen streicht durch meine Haare und lacht fröhlich. Ich lächle schüchtern und will gerade Sami folgen, aber sie hält mich zurück und beginnt meine Haare zu flechten. Keine Minute später habe ich einen wunderschönen langen Zopf. Ich bedanke mich mit einer Umarmung und laufe winkend davon.
"Was dagt das Navi?", will ich wissen. "Ganz in der Nähe." Wir biegen geschwind ein paar Mal ab und bleiben vor einem Zelt stehen. Darin spielt ein kleiner Junge mit dem Amulett. Es ist sofort klar, dass es unser Gesuchtes ist, denn es ist offen und ich kann das Foto erkennen. Der Weihnachtsmann und seine Frau lächeln zufrieden in die Kamera. Der Junge blickt auf und kommt zu uns gelaufen. Er ist vielleicht vier Jahre alt. Ich winke ihm. Erfreut winkt er zurück und hält das Amulett fest in seinen Händen. Er zeigt auf sich selber. "Timur", sagt er. Wie süss, er stellt sich selber vor. "Lilja und Sami", sage ich und zeige auf mich und ihn. Dann tippe ich auf das Amulett und dann auf mich. Er scheint zu verstehen und sieht traurig auf die Kette. "Hast du was dabei, was wir ihm zum Tausch geben können?", frage ich Sami. Er schüttelte dem Kopf, sein Blick bleibt aber an meiner Jackentasche hängen. "Brauchst du die bunte Strickkappe noch?" Ich ziehe sie angewiedert aus der Tasche. "Nee, die ist uralt und ich habe noch eine im Schlitten." Timur scheint sie zu gefallen denn er streckt mir bereitwillig die Kette hin und nimmt die Kappe. Er macht sich nicht einmal die Mühe aufzustehen und krabbelt zurück ins Zelt. Mission erfolgreich! Mit dem Amulett in meiner Jackentasche machen wir uns rasch davon. Sonst kommt am Ende doch noch jemand, der uns fragt was wir hier wollen.
Zurück beim Schlitten frag ich Sami, wo ich das Amulett hin tun soll. "Hängs dir um. Aber pass auf, dass dus nicht verliehrst." Mahnend wackelt Sami mit dem Finger. "Oh echt? Danke!" Wow, ich darf das Amulett vom Weihnachtsmann tragen. Ehrfürchtig streife ich es mir über den Kopf und lasse es unter meine Pulli verschwinden. "So, wo gehts jetzt hin?" So gut wie möglich auf der Holzbank bequem. Sami montiert das Navi wieder neben den Zügeln. "Auf einer Insel in den Philippinen", antwortet Sami und treibt die Rentiere an. Juppi! Wir fliegen ans Meer!

Another Christmas StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt