Wir werden langsamer und vor mir erscheinen plötzlich riesengrosse Bäume. "Achtung!", schreit Sami von unten hinauf und ich kann einem der Bäume gerade noch ausweichen. Doch da kommt schon der nächste. Panisch versuche ich die Rentiere zu bremsen, doch wir haben zu viel Schwung. Äste streifen den Schlitten, Sami wird unten durchgeschüttelt. In der Ferne kann ich eine Lichtung erkennen. "Da vorne wird gelandet!", schreie ich. Allerdings weiss ich nicht, ob die Rentiere mich einerseits gehört haben und falls ja, haben sie mich verstanden? Kurz bevor wir durch das Baumdickicht brechen, verheddert sich eines der Rentiere in einem Ast und strauchelt. Aus dem Takt geraten schlittert der Schlitten auf die Lichtung und setzt nicht sanft auf, sondern poltert auf den Boden. Ich höre Balken brechen, Sami der am Boden aufschlägt und das Rentier, das gestolpert ist, knickt um. Der Schlitten kommt mit einem Ruck zum stehen. Oh Gott oh Gott oh Gott! Nach wem muss ich als erstes schauen? Ich löse schnell die Rentiere aus dem Geschirr und eines der gesunden schubst mich mit der Nase zu Sami. Die anderen kümmern sich um das Verletzte. Ich eile zu Sami, der sich ächzend versucht aufzurichten. "Du hast die Bruchlandung besser hin gekriegt als ich", seufzt er. "Ich weiss nicht, ob wir alle Teile noch haben. Es hat recht gewackelt." Ich helfe ihm aufzustehen. "Was tut dir alles weh?", frage ich besorgt. Sami hält sich sein rechtes Bein. "Alles, eigentlich, aber vor allem mein Bein." Ich stütze ihn und wir gehen langsam zum Schlitten. "Hat es hier drinnen einen erste-Hilfe-Kasten?" Sami schüttelt den Kopf. "Den werden wir im Laufe der Zeit finden." Ich werfe einen Seitenblick auf das Navi und sehe einen Koffer mit einem Kreuz darauf. "Ich glaube, wir haben Glück." Ich helfe Sami, sich auf eine Decke zu setzten. Dann sehe ich noch kurz nach dem verletzten Rentier. Es liegt am Boden und leckt über sein verstauchtes Huf. Die anderen haben Kratzer am ganzen Körper. "Ich suche jetzt nach dem Kasten. Dann kann ich euch pflegen." Schnell schnappe ich mir das Navi und und will schon in den Wald rennen, als Sami mich zurück ruft. "Warte Lilja! Mach zuerst ein Feuer! Es wird schon dunkel und wenn eine Feuer brennt kannst du uns besser finden. Ausserdem müssen wir hier dann nicht im dunkeln rum hocken." "Haben wir ein Feuerzeug?", frage ich. Sami greift in seine Jackentasche und wirft mir eine Schachtel Streichhölzer zu. Am Waldrand sammle ich Holz und mache ein kleines Lagerfeuer. Dann verschinde ich auch schon im Dickicht der Bäume.
Ich irre durch den Wald, stolpere hie und da wieder über eine Wurzel und laufe durch einen Bach. Es ist gruselig, alleine hier nach dem Untergang der Sonne durch einen Urwald zu laufen. Dem Navi nach nähere ich mich dem Kasten. Als ich aufschaue, sehe ich direkt in eine Höhle. Dort drinnen soll der Erste-Hilfe-Kasten sein? Was sein muss, muss sein... Auf leisen Sohlen schleiche ich in die Höhle und kann mich in der Dunkelheit bald nicht mehr orientieren. Ausser meinem pochenden Herz und dem knirschen meiner Schuhe kann ich nichts hören. Wie ist der Kasten bis hierher gelangt? Hoffentlich ist hier kein Panther oder so etwas drin. Sonst können Sami und die Rentiere ihre Pflege vergessen. Zögernd mache ich noch ein paar Schritte in die Höhle. Der Kasten liegt einfach so da. Keine andere Herausforderung? Ist ja langweilig. Na ja, ich nehme ihn und spaziere wieder aus der Höhle. Gemütlich zottle ich zurück und komme bald wieder bei der Lichtung an. "So, hab ihn gefunden!", rufe ich stolz. "Kümmere dich zuerst um die Rentiere", verlangt Sami.
Ich öffne den Kasten und mir fallen alle möglichen Medikamente entgegen. Ich werfe Sami eine Packung Schmerztabletten zu. Dann nehme ich den Desinfikationsspray und Wundreinigungstücher. "Wer will zuerst?", frage ich die Rentiere. Zögernd kommt eines angelaufen. Ich fahre vorsichtig über die kleinen Schnitte und erschrocken springt es zurück. "Ich weiss, es brennt etwas, aber wenn wir das nicht tun, wird es später noch mehr wehtun. Und du musst stillhalten, dann sind wir im Nu fertig", tadele ich das Rentier. Ich höre mich ja an wie Mama, wenn sie eine meiner Schürfungen versorgt. Ich versorge alle und dann kommt das letzte Rentier. Das, welches sich beim Sturz ein Bein verknackst hat. "Na dann zeig mal her." Es ist das linke Hinterhuf. Ich nehme einen Verband und binde es dick ein. Dann versorge ich noch seine Kratzer und schon kann es aufstehen und sein spätes Abendessen vom Boden zupfen. Es humpelt zwar, aber es kann aufstehen. Zuletzt kümmere ich mich um Sami. Er hat auch einige Kratzer abbekommen, aber sein Bein ist schlimmer dran. "Hast du dich an einem Baum angeschlagen? Es ist ja ganz blau." Sami zuckt die Schulter und zupft an einem Pflaster, welches ich ihm über den Arm geklebt habe. Ich suche im Kasten nach etwas Brauchbarem. "Spray bei Prellungen. Das ist doch was für dich", sage ich und sprühe ihm das Zeug ohne Vorwarnung auf sein Bein. "Aah ist das kalt!", ruft er erschrocken. Lachend hole ich eine warme Decke aus dem Schlitten und lege sie um ihn. Dann verräume ich die Medikamente in den Schlitten und nehme mir auch eine Decke. "Danke", murmelt Sami. Und dann ist er auch schon eingeschlafen. Die Rentiere legen sich dicht nebeneinander vor das Feuer und ich breite Decken über sie aus. Ich werfe noch ein paar Holzstücke ins Feuer und lege mich dann auch hin.
"Lilja! Aufstehen!", höre ich Sami. "Ist es schon morgen?", grummele ich und öffne verschlafen die Augen. Sami steht auf einem Bein da und pflegt nochmals die Kratzer der Rentiere. "Wir brauchen den Tacho, der als nächstes auf dem Programm steht. Der ist in Kanada, also nicht sehr weit weg und mit dem Blitz sind wir in ein paar Augenblicken da." Gähnend setzte ich mich auf und bemerke, wie mein Magen knurrt. "Wann haben wir das letzte Mal etwas gegessen?", frage ich mich selber laut. "Wir werden auch Zeit haben, etwas zu essen. Aber hier draussen gibt es nicht wirklich was." Ach, wir sind ja im Urwald. Wenn die Sonne scheint, sieht er gleich viel freundlicher aus. Ich stehe auf, recke mich einmal und sammle die Decken zusammen. Gemeinsam mit Sami spannen wir die Rentiere an und setzen uns in den Schlitten. "Wenn wir die Kontrolle verlieren, reisst du den Blitz raus, in Ordnung? Wir können unsere Geschwindigkeit ohne den Tacho nicht regeln." So was doofes, aber zum Glück ist der Tacho unser nächstes Ziel. "Wenn wir so viel schneller fliegen, fallen wir dann nicht auf dem Radar der Menschen auf?", frage ich Sami. "Radare?" Verwirrt sieht er mich an, dann begreift er, was ich gesagt habe. "Doch, stimmt. Aber daran können wir nichts ändern. Sobald wir das Geistlein haben," Sami tippt auf die leere From im Armaturenbrett neben dem Blitz, "sind wir unsichtbar auf den Radaren und wir werden auch nicht gesehen. Aber jetzt müssen wir aufpassen." Sami schwingt die Zügel und die Rentiere laufen los. Wir heben ab und die Rentiere laufen in Richtung Kanadas. Sami gibt mir das Zeichen und ich drücke auf den Blitz.
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Another Christmas Story
FantasiAm Montag 1. Dezember hat es Lilja endlich geschafft! Der Schneemann auf dem Hügel hinter ihrem Haus im kleinen Dorf Sillvar ist endlich fertig. Sie will sich gerade auf ihren Schlitten setzen und nach Hause fahren, als sie von einem markerschüttern...