Wie gestern verschwimmt die Welt um uns und Sami hält angespannt die Zügel in den Händen. "Wie sieht das Navi aus?", fragt er und mir wird plötzlich bewusst, wie ruhig es um uns ist. Ich schaue kurz drauf. "Wir sind auf dem richtigen Kurs." Ich blicke wieder nach vorne und plötzlich taucht etwas vor uns auf. "Sami! Sami!", schreie ich und reisse die Zügel der Rentiere herum. Im letzten Moment weichen wir dem Flugzeug aus und ich nehme geschwind den Blitz aus dem Armaturenbrett. "Beim Bart des Weihnachtsmannes! Lilja! Woher hast du denn diese Reflexe?" Vor lauter Schock kann ich keinen klaren Gedanken fassen. "Ich habe keinen blassen Schimmer", gestehe ich. Sami kontrolliert die Richtung und lenkt die Rentiere, die sich wieder gefasst haben, weiter westlich.
Ich schüttle den Kopf und löse mich aus meiner Schockstarre. "Alles klar?", fragt Sami und ich platziere den Blitz wieder an seiner Stelle. "Ja, jetzt schon. Bereit?" Sami nickt und ich drücke den Blitz erneut. Sofort sausen wir los und keine Minute später werden wir langsamer und die Welt wird wieder klarer. Vor uns erscheint eine Stadt. "Fort McMurray", lese ich vor, was das Navi angibt. "Wo landen?", fragt Sami mich. "Der Tacho ist in einem Stadtteil in der Nähe des Flughafens. Dazwischen liegt ein Hügel. Dort gibt es sicher etwas." "Gut, dann nimm den Blitz wieder raus, sonst fallen wir zu sehr auf den Radaren des Flughafens auf." Schnell nehme ich ihn wieder raus und verstaue ihn in der Kiste hinten im Schlitten. Rumpelnd landen wir auf dem Hügel und kommen quietschend zum Stehen. "Nichts geht über eine sanfteere Landung", schwärmt Sami und ich knuffe ihn in den Arm. "Meckerst du an meinem Fahrstil?" Sami grinst und nimmt das Navi mit. Ich löse die Gurten, die die Rentiere am Schlitten befestigten. Sie laufen jetzt zwar mit dem Geschirr umher, aber falls wir schnell wieder aufbrechen müssen, ist es besser, wenn sie es schon anhaben.
Wir laufen den Hügel hinab und nähern uns dem Stadtteil. Gerade als wir die Strasse betreten, hören wir die Sirenen. "Ich versuche sie aufzuhalten. Suche du den Tacho", sage ich zu Sami und er läuft so schnell wie möglich los. Er biegt keine Sekunde zu früh um eine Ecke, denn die Polizei kommt schon angebraust. Ich stehe am Strassenrand und schaue zu, wie die Polizisten aussteigen. "Bist du gerade aus dem Wald da gekommen?", fragt der Typ mich. Ein Glück habe ich in der Schule schon länger Englischunterricht. "Ja, warum?", frage ich unschuldig zurück. "Hast du etwas gesehen?" "Ja", antworte ich und strahle. Hoffentlich übertreibe ich es nicht. "Was denn?", hakt der andere Polizist nach. "Bäume. Und meinen Schneemann. Er heisst Olaf und er liebt Umarmungen." Vielleicht kennen sie ja diesen tollen Film? Der eine lächelt zumindest, der andere schüttelt nur den Kopf. "Wie heisst du?" "Lilja", rutscht es mir heraus. Oh nein, was wenn Mama und Papa eine Suche nach mir gestartet haben und die das bis hierher mitbekommen haben? Ich sehe Sami bei der Kreuzung auf und ab hopsen. Anscheinend hat er den Tacho gefunden und er macht sich gleich auf den Weg zum Schlitten. "Hast du noch etwas anderes gesehen ausser Bäume und Olaf?" Na ja was solls. Die beiden glauben mir die Wahrheit doch nicht. "Den Schlitten des Weihnachtsmannes. Und seine Rentiere. Und einen seiner Elfen. Sie wollen bald wieder starten und ich soll Ihnen Grüsse ausrichten. Sie wollten nicht stören." Haha, diese Gesichter. Ich wünsche mir eine Kamera zu Weihnachten, damit ich alle Gesichter filmen kann wenn ich erzähle, was ich mit Sami erlebt habe. "Und der ist geflogen?" Ich verdrehe die Augen. "Ja natürlich. Er sieht etwas kaputt aus, weil er gestern Abend in einem Urwald in Südamerika etwas unsanft gelandet ist." Ich spiele den Sturzflug mit dem Schlitten nach, in dem ich die Arme ausbreite und ein Mal im Kreis um sie herum renne. Mann komm ich mir gerade dämlich vor! Die Polizisten sehen mich zweifelnd an. Anscheinend sehe ich auch dämlich aus. Gut so. "Aber hey," fahre ich unbeirrt fort, "es war meine erster Flug und ich hab das sauber hingekriegt." Ich grinse und frage mich, wo sie mich wohl am liebsten einsperren würden. Wahrscheinlich ins Irrenhaus.
"Warte hier, Lilja, wir müssen unseren Chef holen", sagt dann der eine schliesslich. "Ist gut." Als würde ich auf die beiden Dumpfbacken warten. Sie steigen in ihr Auto und fahren davon. Sobald sie ausser Sichtweite gelangen, stapfe ich durch den Schnee zurück auf den Hügel. Sami montiert gerade den Tacho oberhalb des Biltzes. Als er mich sieht, winkt er mir erfreut zu. "Wo ist er denn gewesen?" "In einer Mülltonne", lacht Sami. "Jemand hat ihn wohl auf der Strasse entdeckt und dann weggeworfen. Zum Glück ist die Müllabfuhr noch nicht gekommen." Wir spannen die Rentiere wieder an und ich setze mich ans Navi um unser nächstes Ziel anzusehen. "Sami, was bitte schön ist denn das für ein Symbol? Es sieht aus wie zwei Skier." Sami kommt zu mir uns schaut über meine Schulter. "Das ist der Wachs für die Kufen, damit wir wieder sanft landen können." Ich erinnere mich an das Geholper als wir gelandet sind. "Können wir gebrauchen. Und wenn wir dann schon dabei sind, der Schlitten könnte auch wieder einmal eine Reperatur gebrauchen." Ich tippe mit meiner Schuhspitze ein loses Brett an. "Wo ist denn der Wachs?", will Sami wissen. Er steht vorne bei den Rentieren. "Indien!" Plötzlich hören wir ein komisches Geräusch. Die Köpfe der Rentiere schnellen hoch. "Blitzen, was ist denn?", fragt Sami ihn. "Blitzen? Jetzt im Ernst?" Amüsiert laufe ich zu dem Tier, welches Sami am nächsten steht. "Blitzen?" Er schnaubt. "Dann gibt es hier noch Donner?" Das Rentier neben Blitzen schnaubt. "Vixen und Prancer sind zuhause. Die beiden haben dieses Frühjahr Nachwuchs bekommen und sie helfen ihren Gefährtinnen.", erklärt Sami abwehsend. "Dann müssen das Dancer, Comet, Cupid und Dasher sein." Nacheinander zeige ich auf die jeweiligen Rentiere. Bei jedem Namen schnaubt eines. Sami dreht sich erstaunt um. "Du kennst die Namen auswendig?" Ich zucke die Schultern und nicke. Das Geräusch ertönt wieder aus dem Wald. Blitzen und Donner laufen los und bleiben bei einem Baum stehen. Anscheinend haben sie das etwas gefunden.
Die anderen vier laufen ihren Anführern hinterher und sehen ebenfalls auf den Boden. "Wir schauen nach", entscheidet Sami und wir laufen zu ihnen. Erstaunt sehen wir dort am Boden eine Rentierkuh liegen. Sie leckt ihr Frischgeborenes ab. "Oh wie süss!" Das Kleine steht wackelig auf den Beinen und stösst das komische Geräusch wieder aus. Auf einmal zupft Dancer an meinem Ärmel und ich sehe zu ihm hoch. "Was ist denn?", frage ich und mein Blick landet auf die Herde hinter uns. "Hoppla. Sami, wir sind im Weg." Sofort stehen wir zur Seite und der Anführer der Herde tritt vor. Anscheinend ist es sein Kind. Die geschwächte Mutter steht auf. "Ich glaube, wir haben noch ein paar Karotten da. Sie muss schleunigst zu Kräften kommen", sagt Sami und rennt zum Schlitten. Oh mann, ich habe aber auch Hunger. Sami kommt mit den Karotten zurück und hält sie der Mutter hin. Dankbar nimmt sie sie und frisst sie auf. Das kleine Rentier kommt auf mich zugewackelt und stupst mich mit der Nase an. Ich halte ihm meine Hand hin und es schnuppert daran. Vorsichtig streiche ich über sein feuchtes Fell. "Aber es erkältet sich doch, wenn es so nass ist. Dann überlebt es nicht." "Ich frage seine Eltern ob es in Ordnung ist, wenn wir es mit einer Decke trocknen", meint Sami und ich gehe zum Schlitten, um eine der Decken zu holen. Als ich zurückkomme, sagt Sami, dass sie einverstanden sind. Sanft rubble ich mit der Decke über den Körper des kleinen Rentiers und es geniesst die Massage. Putzmunter hüpft es zu seinem Vater und blökt wieder. Die Rentierherde verabschiedet sich und sie laufen gemeinsam davon.
"So, jetzt aber schnell, bevor die Polizei kommt." Die sechs Rentiere eilen zum Schlitten und lassen sich anspannen. Wir steigen auf den Schlitten und ich ziehe die Jacke zu bis zur Nasenspitze. "In Indien ist schön warm", meint Sami lachend und treibt die Rentiere an. "Und hoffentlich gibt es etwas zu essen", grummele ich. "Essen, eine Reperatur und eine Pause. Die haben wir uns verdient."
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Another Christmas Story
FantasyAm Montag 1. Dezember hat es Lilja endlich geschafft! Der Schneemann auf dem Hügel hinter ihrem Haus im kleinen Dorf Sillvar ist endlich fertig. Sie will sich gerade auf ihren Schlitten setzen und nach Hause fahren, als sie von einem markerschüttern...