Ich erwache vor Sami. Die Rentiere sind schon auf den Beinen und futtern ihr Frühstück. Noch etwas verschlafen sammle ich die Decken ein und lege sie gefaltet in den Schlitten. Dann werfe ich einen Blick auf das Navi. Das Fernlicht erscheint in der Form einer Taschenlampe und befindet sich... "Grönland? Soll das ein Scherz sein?", frage ich mich entsetzt. Sami brummelt etwas und setzt sich auf. "Oh entschuldige, ich wollte dich nicht wecken." Er gähnt und reibt sich den Schlaf aus den Augen. "Was ist denn?", fragt er mich. "Wir müssen im Norden von Grönland nach dem Fernlicht suchen." Verwirrt sieht er mich an. "Ja. Und? Gibt es ein Problem?" Ich verdrehe die Augen. "Wir suchen ein Licht an einem Ort, wo es im Winter die ganze Zeit stockdunkel ist?" Sami grinst. "Ironie des Schicksals." Er steht auf, versorgt seine Decke und pfeift die Rentiere zusammen. "Dann zieh schon mal deine Jacke an und nimm die Taschenlampe hervor."
Der Schlitten hebt geräuschelos vom Boden ab. "Wow, ist ja gleich beängstigend still wenn der nicht so quietscht", stelle ich fest und stelle die Geschwindigkeit auf 0.8 km/s ein. "Position in Ordnung. Lilja, der Blitz", weist Sami mich an und ich drücke das Holzding nach unten. Wir sausen über die Erde und je näher wir Grönland kommen desto dunkler wird es. Sami schaltet das Licht ein und wir können die Rentiere sehen. Wir nähern uns unserem Ziel und ich stelle das Tempo mit dem Tacho zurück. "Wie weit noch?" "200 km. Wir fliegen 25 die Minute." "Landeplatz?" "Ein Schlitten sollte im Schnee landen können." "Na dann", ruft Sami und die Rentiere senken die Höhe. Kurz bevor wir landen deaktiviere ich den Blitz und ziehe eilig meine Mütze und die Handschuhe an. Es ist saukalt hier und sehen tut man auch nichts. Wir stehen und ich schnappe mir die Taschenlampe und hüpfe hinaus. "Nein, Lilja warte!", ruft Sami mir hinterher, doch es ist zu spät. Ich bin in den Schnee eingesunken und er steht mir bis zum Hals. "Hoppla!" Ich versuche mich herauszubaggern, doch je mehr ich mich bewege, desto tiefer rutsche ich. "Lilja bleib still. Ich werf dir gleich das Seil runter." Ich sehe nach oben und schon kommt der Anker geflogen. Ich schnappe ihn mir und Sami gibt den Rentieren den Befehl loszulaufen. Aber ich komme nicht aus dem Schnee raus, nein, ich pflüge mich durch den Schnee hindurch. "Sami das bringt nichts! Wo ist das Fernlicht? Wenn ich schon mal hier draussen bin kann ich es auch gleich holen." Er schaut auf das Navi und lenkt die Rentiere durch die Nacht. Warum sinken die nicht ein? Gemeinheit!
Sie ziehen mich durch den Schnee und langsam aber sicher wird mir kalt. Meine Kleider sind völlig durchnässt, sogar meine Schuhe füllen sich langsam mit Wasser. "Wir sind gleich da!", ruft Sami mir zu. Ich schalte zitternd die Taschenlampe ein und leuchte in den Schnee. Nichts als fluffiger weisser Schnee. "Du solltest es jetzt sehen. Es ist genau neben dem Schlitten." Ich leuchte umher, aber ich finde es nicht. "So ein doofes Ding, dieses Fernlicht. Warum kann es nicht in der Wüste liegen, dann könnten wir wenigestens im Sand wühlen und schwitzen!", meckere ich und grabe mich tiefer in den Schnee. Mit einer Hand halte ich den Anker fest, mit der anderen buddle ich und die Taschenlampe halte ich mit dem Mund. Ich höre Sami oben etwas plappern, aber durch den Schnee verstehe ich ihn nicht. Seine Stimme wird immer mehr gedämpft, bis ich ihn überhaupt nicht mehr höre. Wie viel Schnee haben die hier eigentlich? Wenn es bei uns so viel schneien würde, könnte ich sicher nicht mehr zur Schule. Oh, da glitzert ja etwas! Schnell kratze ich den Schnee weg und klaube zwei Gläser hervor. Sie sehen aus wie Brillengläser, nur viel grösser. Die legt man wahrscheinlich über die normalen Scheinwerfer.
Puh, Mission erfüllt. Da oben das Licht des Schlittens brennt, brauche ich die Taschenlampe nicht mehr. Zusammen mit den Gläsern stopfe ich sie in meine Jackentasche und ziehe mich am Seil hoch. "Lilja, kannst du mich hören?", brüllt Sami in mein Loch hinab. "Jaa! Mensch, hilf mir lieber mal, als dir den Kehlkopf aus dem Hals zu schreien!" Das mit dem Kehlkopf sagt Papa immer, wenn jemand unnötig am rumbrüllen ist. Sami streckt mir die Hand entgegen und ich ergreife sie Dankbar. "Hast du sie?" Ich nicke und nehme die Gläser hervor. Sami runzelt die Stirn. "Da fehlt aber noch was", sagt er dann. "Was denn? Da war aber nichts mehr", wiederspreche ich. "Der Zusatzschalter beim Licht. Einer ist für das normale Licht", Sami tippt auf den gelben Schalthebel, der von der Mitte aus nach oben geschoben wurde, "und der weisse Hebel ist für das Fernlicht", er tippt auf die leere Stelle in der Mitte, wo der Fernlichthebel hinkommen würde. Er zieht den imaginären Hebel nach unten. "Ist ja gut, ich schaue nochmal nach." Ich binde mir die Schnur mit dem Anker um den Bauch, schnappe mir die Taschenlampe und lasse ich von Sami wieder abseilen. Grummelnd mache ich mich an der Stelle, an der ich die Gläser gefunden habe, auf die Suche nach einem kleinen Hebel. Das glaubt mir auch keiner, wenn ich sage, dass ich mich allen Ernstes im Winter Grönlands durch meterweise Schnee gebudelt habe, um nach einem weissen Lichthebel zu suchen. Ich schaufle da und dort etwas Schnee weg und stosse an einen Stein. "Autsch!", fluche ich. Doch kein Stein, ein Eisblock. Ich meine, etwas gesehen zu haben und wische den Schnee von dem Eisblock und leuchte hinein. "Das darf doch nicht wahr sein!", stöhne ich auf. "Sami!", brülle ich hoch. "Nagel und Hammer!" Ich weiss nicht, ob er mich gehört hat, aber kurz darauf kommt an dem Seil, an dem ich angebunden bin, ein Kessel mit Nägeln und einem Hammer angesaust. "Danke!"
Ich nehme die Taschenlampe wieder in den Mund, nehme den längsten Nagel, den ich finden kann und schlage ihn in den Eisblock. Er spaltet sich etwas, aber der Hebel ist natürlich in der Mitte. Ich nehme weitere Nägel und drehe den Block. Zum Glück ist er nicht schwer und lässt sich einfach bewegen. Einmal rundherum schlage ich Nägel ein und beim letzten, der die Linie schliesst, knackt es laut und eine Hälfte kommt mir entgegen gekippt. Ich lasse sie nach unten fallen und schnappe mir den Hebel. "Geht doch", seufze ich erleichtert, was sich allerdings etwas lustig anhört mit der Taschenlampe im Mund. Ich stopfe den Hebel und die Taschenlampe in meine Tasche. "Sami! Ich hab ihn!" Sofort zieht das Seil an mir und ich werde durch den Schnee gezogen. Ich klammere mich fest, als ich realisiere, dass die Rentiere losgelaufen sind. Immer schneller pflüge ich durch den Schnee. Dann geht es plötzlich hoch und ich schiesse durch die Oberfläche. Die Rentiere steigen und Sami zieht an meinem Seil, sodass ich mich an den Kufen festhalten kann. Ich setzte mich auf eine und reiche Sami den Hebel nach oben. Ich höre ein leises Klick und im nächsten Moment erstrahlt die Welt vor uns taghell. Aber es gibt nicht viel zu sehen. Nur die weissen Weiten Grönlands und etwas weiter entfernt das Meer. "Bleibst du da unten?", fragt Sami. "Ja!", rufe ich hinauf. Hoffentlich geht es jetzt an einen warmen Ort. Die Welt verschwimmt und das nächste, was ich sehen kann, ist die Sonne.
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Another Christmas Story
FantasyAm Montag 1. Dezember hat es Lilja endlich geschafft! Der Schneemann auf dem Hügel hinter ihrem Haus im kleinen Dorf Sillvar ist endlich fertig. Sie will sich gerade auf ihren Schlitten setzen und nach Hause fahren, als sie von einem markerschüttern...