13. Dezember

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In meine Decke gekuschelt beobachte ich den Radar genau. "Unser Radar zeigt andere Flugobjekte früher an als die der Menschen. So können wir ausweichen bevor sie überhaupt merken, dass wir da sind. ", erklärt Sami mir. Ich werfe einen Blick auf das Navi. "Eine Brille?" Er nickt. "Die Fliegerbrille des Weihnachtsmanns. Und laut unserem klugen Navi hier ist es im Australien National Aviation Museum, mitten in Melbourne." Aviation bedeutet doch... "In einem Luftfahrtmuseum? Dort gibt es doch hunderte Fliegerbrillen!" Sami seufzt. "Ich weiss. Aber das kriegen wir schon hin." Wir werden bereits wieder langsamer und wir landen -oh weihnachtliches Wunder- auf einem Hochhaus. "Magst du Hochhäuser nicht?" Ich rümpfe die Nase. "Es könnte sein, dass die Rentiere bei dieser Hitze hier oben gegrillt werden", bedenke ich. Tatsächlich lassen Blitzen, Donner und seine Freunde kein Huf zu lange am Boden. Sie trappeln stänig herum. "Siehst du, sie verbrennen sich auf dem Beton hier die Hufe." "Beim grossen Ofen des Weihnachtsmanns, wir müssen wohl woanders landen. Am besten irgendwo in einem kühlen Wald." Erleichtert laufen die Rentiere los und wir fliegen über die Stadt. Plötzlich laufen Donner und Blitzen in eine andere Richtung als Sami sie lenkt. "Was soll denn das jetzt?", fragt sich Sami. Ich blicke nach vorne und entdecke das Objekt der Begierde der Rentiere. "Dort vorne ist ein Hochhaus mit Bäumen und Wiesen obendrauf."
Sanft landen wir im Gras und wir lösen unsere braven Tiere vom Schlitten. Comet knabbert an einem der Bäume doch irgendwas scheint ihn aufzuregen. Er zieht mit Leibeskräften an dem Blatt und ich kann meinen Augen nicht trauen. Der Baum biegt sich, aber das Blatt löst sich nicht! Ich gehe zu ihm hinüber und befühle den Baum. "Comet, das ist ein künstlicher Baum. Das kann man nicht fressen", sage ich grinsend. Enttäuscht lässt er das Blatt los und der Baum spickt zurück, wackelt noch etwas und bleibt dann stehen. Frustriert beschnuppern auch die anderen den Baum und das Gras. "Sie wollen sich nicht langweilen", sagt Sami und streicht Dancer über das Fell. "Dann kommt doch mit", schlage ich vor. Sami sieht mich zweifelnd an, aber die Rentiere hüpfen begeistert umher. "Also gut. Alle auf der rechte Seite des Schlittens gehen mit Lilja, die anderen drei kommen mit mir." Dasher, Blitzen und Cupid kommen zu mir. Sami geht mit Comet, Donner und Dancer vor, wir folgen ihnen mit etwas Abstand. Möglichst unauffällig versuchen wir zum Hintereingang des Museums zu gelangen. Mit insgesammt sechs Rentieren ist das gar nicht so einfach. Ein paar Leute sehen uns erstaunt und amüsiert zu, wie wir durch ein offenes Tor schleichen und ins Gebäude gehen. Diese grosse Halle ist wahrscheinlich der Anlieferungsplatz, denn hier hätte ohne Probleme ein Flugzeug platz.

Sami öffnet eine Türe, die direkt zum Museum führt. Auf leisen Sohlen oder eben Hufen eilen wir dem blinkenden Punkt auf dem Navi hinterher, durch die Gänge des Museums. Mal geht es nach oben, mal nach unten. Das ganze erinnert mich mich an das Kaufhaus in Tokio. Na hoffentlich hat es hier keine Rolltreppen, sonst fällt nicht nur Sami auf die Nase. Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, dass die Rentiere das auf die Reihe kriegen würden mit ihren vier Beinen. "In diesem Raum sollte die Brille sein", sagt Sami und wir betreten den Saal. "Oh bei meiner Zipfelmütze, Hilfe!", stöhnt er gleich auf. Es wimmelt nur so vor lauter Brillen und Mützen. Das Navi zeigt nichts genaueres mehr an, also müssen wir wohl oder übel alles durchsuchen. Zum Glück sind hier gerade keine Besucher. Wir teilen uns auf und jeder nimmt sich erst einmal ein Regal vor. "Wie sieht denn die Brille überhaupt aus?", frage ich Sami. "Sie ist aus braunem Leder und die Metallteile sind rot. Die Dinger auf der Seite, die man braucht um die Grösse zu verstellen, sehen aus wie goldene Weihnachtsbäume." Ah, so richtig kitschig. Ich schnappe mir eine Leiter, die in einer Ecke steht und klettere zum obersten Tablar des Regals hoch. Da ist eine blaue Brille mit grünem Rahmen, eine schwarze Brille mit silbernem Rahmen, eine ganz in schwarz und sogar eine quietschgrüne mit grell pinkem Rahmen. Die hat sicher einer Frau gehört. "Hier ist nichts", höre ich Sami am anderen Ende des Saales grummeln. Blitzen und Donner schnauben zustimmend und wollen sich gerade dem nächsten Regal zuwenden, als Stimmen ertönen. Panisch blicken wir uns um, aber es gibt nur den einen Eingang. "Weihnachtsdeko!", rufe ich den anderen leise zu. Die sechs Rentiere stellen oder legen sich eilig nebeneinander und Sami setzt sich zwischen sie. Ich verstecke mich hinter einer Topfpflanze.

Eine Frau, elegant angezogen und ein Klemmbrett in der Hand, kommt mit einer Gruppe hinein. Es sind kleine Kinder, Jugendliche und Erwachsene dabei. "Hier sehen Sie verschiedene Brillen und Hüte. Diese wurden in den Anfängen des 20. Jahrhunderts getragen und verhinderten, dass..." Bla bla bla. Ich klinke die Stimme der Frau aus und suche alle Regale nach der Brille des Weihnachtsmanns ab. Meine Aufmerksamkeit schweift aber zu den Rentieren und zu Sami, die mit aller Kraft versuchen so still wie möglich zu bleiben. Ein paar Kinder laufen zu ihnen  und ein Mädchen streichelt über Comet's Nase. "Oh, ist ja warm. Ausgestopfte Tiere sind doch immer kalt", wundert sie sich. Der Junge neben ihr stupst Dancer an. "Tatsächlich", stellt er fest und betatscht Sami. Oh oh... Wenn das nur gut kommt. "Haha, der sieht aus wie ein Zwerg. Ist sicher von Schneewittchen", witzelt er. Ich sehe, wie Samis Wangen langsam rot werden. Die Gruppe betrachtet gerade irgendwas auf der anderen Seite des Raumes. Ich nehme den Topf und laufe vorsichtig zu den anderen hinüber. Dabei fällt mein Blick auf das Regal gleich hinter Cupid. "Da ist sie ja!", flüstere ich erleichtert. Die anderen Kinder amüsieren sich noch über Sami und die Besucher schauen immer noch auf die andere Seite. Ich setze mich auf Cupid. "Stell dich mal auf." Schaukelnd erhebt er sich und ich bin auf der richtigen Höhe. Leise öffne ich die gläserne Türe und schnappe mir die Fliegerbrille. Na hoffentlich geht hier jetzt kein Alarm los. Schnell hänge ich sie um meinen Hals, dort wo auch das Amulett baumelt. "Mädchen, was machst du auf der Deko?", höre ich die entzürnte Stimme der Frau. "Zu wem gehört sie?", fragt sie in die Runde. Niemand meldet sich. "Hast du deine Eltern verloren?" Ich schüttle den Kopf. "Ich bin dafür, dass wir gehen", sage ich zu den Rentieren. Sami steht auf - warum habe ich die Kamera noch nicht? Diese Gesichter sind einfach der Wahnsinn! - und setzt sich auf Donner. "Noch ein Kind?", fragt die Frau verwirrt. "Eh hopp, Dasher, Blitzen, Cupid, Comet, Donner, Dancer", zählt er durch. "Vollständig! Auf gehts!", ruft Sami. Grinsend beobachte ich die Gruppe. Zuerst leicht amüsiert hören sie Sami zu, aber als die Rentiere sich tatsächlich aus der Starre lösen, gemütlich aufstehen und raus spazieren fallen ihnen beinahe die Augen raus. "Wiedersehen und bis bald!", ruft Sami und wir verlassen den Saal.

Eilig traben die sechs Rentiere durch die Gänge und die Empfangshalle. In wenigen Minuten sind wir wieder beim Hochhaus und kommen ohne Probleme nach oben. Der Schlitten steht immer noch da. "Wo ist das nächste Ziel?", frage ich, während ich die Brille in der Kiste verstaue und etwas von dem indischen Gemüse nasche, welches wir noch darin haben. Sami ächzt, als er auf das Navi blickt. "Mitten im Atlantik." Oha, dann sollten wir uns noch eine Tauchausrüstung besorgen.

Another Christmas StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt