20. Flucht aus dem Fenster

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(Haiyanas Sicht)

Ich saß wieder einmal vor dem Fenster in „meinem" Zimmer und schaute auf die belebte große Straße unter mir. Es war jetzt schon mehr als zwei Wochen her, dass ich meinen Clan verlassen hatte und ich vermisste jeden dort schmerzlich.
Aber die Menschen hier waren auch sehr freundlich zu mir und auch wenn ich es ungern zugab, waren mir schon einige von ihnen ans Herz gewachsen. Sie behandelten mich alle, als wäre ich ein Ehrengast, denn wenn ich rausging, dann nur mit Tobirama zusammen.
Auch wenn ich es wollte, konnte ich nicht alleine auf die Straßen gehen, denn hinter meiner Zimmertüre war immer eine Wache, die dafür sorgte, dass ich auch ja im Zimmer blieb, solange Tobirama es mir nicht erlaubte rauszugehen.
Ich seufzte tief und schaute weiterhin auf die Straße. Überall waren Händler und priesen ihre Waren an und Menschen hielten an um sich verleiten zu lassen, etwas zu kaufen. Diese Händler waren viel geschickter, als die im Uchiha Dorf und Tobirama hatte mich von Anfang an fern von ihnen gehalten und gemeint, dass ich lieber ihm das Verhandeln überlassen sollte.
Plötzlich entdeckte ich auf der Straße zwei Frauen mit sehr edlen Kimonos und einer kleinen, aber dafür sehr seriös wirkenden Garde. Sie hatten sehr auffällige rote Haare und jeweils einen prunkvollen Fächer in der Hand. Während sie liefen, hielten die Menschen um sie herum kurz an und verbeugten sich, bevor sie sich wieder ihren eigenen Angelegenheit widmeten.
Als dann auch noch auf einmal Hashirama und Tobirama Senju auftauchten, war meine Langweile wie weggeblasen und ich lehnte mich neugierig weiter ans Fenster. Sie schienen sich gemeinsam zu unterhalten und der ältere von den beiden gestikulierte aufgeregt mit den Armen und lächelte dabei unaufhörlich. Neben ihm hatte Tobirama eine gelangweilte Miene aufgesetzt und schaute seinen Bruder jetzt genervt an.
Ich schaute wieder zu den beiden Frauen und konnte erkennen, dass sie ihre Gesichter hinter ihren Fächern versteckt hatten und kicherten. Die größere von den beiden fasste sich als erste und senkte den Fächer wieder. Sie sagte etwas zu Tobirama, woraufhin er etwas erwiderte, dass seinen Bruder verdutzt dreinschauen ließ. Die Frau lachte jetzt und Tobirama sagte noch etwas. Danach gingen alle gemeinsam in eine andere Richtung und waren bald von meinem Fenster aus nicht mehr zu sehen.
Ich lehnte mich wieder zurück und überlegte angestrengt, wer das sein konnte, aber ich kam einfach nicht darauf. Genervt ging ich zu dem großen Schrank und holte mir einen farbigen Kimono heraus. Normalerweise zog ich immer nur den in schlicht gehaltenen weißen Kimono an, aber der schöne Aufzug der beiden Damen hatte in mir das Verlangen geweckt, mich auch schön anzukleiden.
Ich zog mir den Kimono über und schaute mich in dem Spiegel, welcher sich im Schrank befand an. Er saß gut und stand mir. Meine fast schwarzen Haare kamen durch das Rosa und den schwarz weißen Mustern auf dem Kimono sehr gut zur Geltung. Ich zog mir dann noch, die mit weißer Spitze verzierten, Schühchen an und ging danach ins Bad. Zum ersten Mal benutzte ich die Schminke, die sich in dem kleinen Schrank neben der großen Wanne befand. Schlussendlich steckte ich mir die langen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz und ließ zwei dicke und kürzere Strähnen vorne herausfallen. Ich betrachtete mich auch hier im Spiegel und musste zugeben, dass ich jetzt nicht mehr wie Haiyana aussah, sondern vielmehr wie eine vornehme Senjudame.
Die Vorstellung gefiel mir überhaupt nicht, aber ich hatte vor etwas rauszugehen, ohne dass irgendjemand mich wiedererkennen würde. Es war viel zu langweilig in diesem Zimmer und ich steckte hier jetzt schon seit drei Tagen fest. Ich konnte mir schon denken, wieso Tobirama jetzt weniger Zeit für mich hatte und wurde etwas wütend.
Wenn er sich nicht mehr um mich kümmern will, gehe ich eben selber raus. Ich bin nicht auf ihn angewiesen!
Ich ging wieder zurück in das Schlafzimmer und zu dem anderen Fenster, welches auf den Garten des Anwesens zeigte. Langsam öffnete ich es und versuchte so wenig Lärm wie möglich zu machen, denn es war mir nicht gestattet, das Fenster auch nur einen Spalt breit zu öffnen.
Während ich das Fenster immer weiter öffnete, hoffte ich inständig, dass die Wache vor meiner Tür, die weit entfernten Straßengeräusche von draußen nicht hören konnte.
Als ich es endlich geschafft hatte, das Fenster weit genug zu öffnen, dass ich herausspringen konnte, schaute ich über meine Schulter auf die  Zimmertüre.
Keine Wache, also los!
Ich setzte einen Fuß nach dem anderen auf die breite Fensterbank und hielt mich mit beiden Händen an dem hölzernen Fensterrahmen fest. Langsam senkte ich den Blick und schätzte die Höhe vom Fenster bis zum Boden ab. Es schien mir nicht zu hoch zu sein, und für eine Kunoichi wie mich sollte das kein allzu großes Problem darstellen.
Mit einem letzten Blick zur Tür ließ ich mich aus dem Fenster fallen und einen Augenblick später stand ich in Katzenhaltung auf dem Boden. Schnell duckte ich mich und schlich mich an die raue Hauswand. Warum musste das Anwesen bloß so viele Fenster besitzen?
Ich schaute mich eilig um und konnte zu meinem Glück niemanden ausmachen. Langsam lief ich zu dem Vordereingang des Anwesens und dort schnell aus dem Vordertor auf die belebte Straße. Ich lief zügig weiter und versteckte mein Gesicht halb hinter dem rosafarbenen Fächer, den ich noch miteingesteckt hatte.
Als ich mich endlich wieder sicherer fühlte, atmete ich erleichtert auf, aber den Fächer nahm ich immer noch nicht runter. Neben dem Fächer hatte ich auch das Geld mitgenommen, welches ich in der untersten Schublade des Schrankes entdeckt hatte. Ich hatte nicht vor es auszugeben, aber fühlte mich doch sicherer mit etwas Geld in den Taschen. Falls es dann doch dazu kommen sollte, dass ich von dem Geld Gebrauch machte, würde ich alles drauf ansetzen, es auf irgendeine Weise wieder zurückzuzahlen.
Während ich die Straße entlang lief, spürte ich einige Blicke auf mir und mir wurde zunehmend unwohler. Hatte ich etwas an mir, dass den Senjus fremd war? Ich schaute so unauffällig wie möglich auf meine Kleider herab, konnte aber nichts Merkwürdiges daran feststellen.
Plötzlich rempelte mich jemand von hinten an und mit der Wucht des Schlages ließ ich meinen Fächer versehentlich aus der Hand gleiten. Er fiel etwas weiter vor mir auf den Boden und ich schaute ihn erschrocken an.
Ich fasste mich schnell wieder und bückte mich um den Fächer aufzuheben, aber eine große Männerhand kam mir zuvor. Ich schaute überrascht nach oben und konnte einen jungen Mann in voller Kampfmontur sehen. Dem Anschein nach zu urteilen, war er keine zwei Jahre älter als ich selbst.
Er lächelte mich an und hielt mir den Fächer mit der Griffseite hin.
„Ich bitte vielmals um Verzeihung meine Dame.", sagte er und verbeugte sich leicht dabei.
Wie in Trance richtete ich mich wieder auf und nahm den Fächer entgegen.
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Es ist ja nichts passiert.", entgegnete ich ernst.
Diesmal war er derjenige, der überrascht schaute. Außerdem spürte ich die neugierigen Blicke der Menschen um uns herum und wollte schleunigst weiterlaufen, aber er schien sich nicht so leicht abwimmeln zu lassen.
Mit einem Mal sah er mich etwas genauer an und schien über etwas konzentriert nachzudenken.
„Könnte ich denn Euren Namen erfahren, Sie kommen mir sehr bekannt vor. Und doch scheinen Sie nicht von hier zu sein. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber die Damen hier würden niemals so reden wie Sie."
Oh nein, wie soll ich jetzt nur darauf antworten?
„Ehm...Mein Name ist Haiyana...Senju und ich lebe schon immer hier."
In dem Moment hätte ich mich am liebsten selbst geohrfeigt, aber ich versuchte eine neutrale Miene aufzusetzen.
„Ach, wirklich? Nun dann-"
„Ich muss jetzt leider weiter. Vielleicht können wir ja ein anderes Mal uns weiter unterhalten."
Damit lief ich schnell weiter und verdeckte mit dem Fächer wieder mein Gesicht. Ich hatte Angst, dass er mich vielleicht von dem Schlachtfeld wiedererkennen würde. Dann nämlich, hätte ich ein wirklich großes Problem.
Ich rannte fast schon, als ich endlich an dem Dangoladen ankam. Das, was ich jetzt dringend brauchte, war etwas Süßes und ich bestellte mir zwei Dangostäbchen, als die Frau an der Kasse plötzlich anfing zu reden und leider auch nicht mehr aufhörte. Das Pech schien mich heute regelrecht zu verfolgen.
„Sind Sie nicht Haiyana-sama? Wo ist denn Tobirama-sama? Er begleitet Sie doch sonst immer. Darf ich Ihnen sagen, wie wunderschön Sie ausschauen? Ich muss schon sagen Tobirama-sama hat einen ausgezeichneten Geschmack. Die Hochzeit wird sicherlich unvergesslich..."
An dieser Stelle musste ich sie stoppen und rief erschrocken:
„Wie bitte? Was denn für eine Hochzeit?"
Sie schaute mich jetzt wohlwissen an, neigte sich noch etwas weiter vor und flüsterte, sodass nur ich es hören konnte:
„Sie brauchen nicht so zu tun, als ob da nichts wäre. Mittlerweile sprechen alle Frauen über das Verhältnis zwischen Ihnen und Tobirama-sama. Sie können also ruhig die Verlobung für uns alle bekanntgeben."
Ich dachte, dass ich mich verhört hatte. Was ging hier nur vor sich.
Verlobt mit Tobirama?!
Ich ließ die Stäbchen mitsamt dem Geld dafür auf dem Tresen stehen und ging aus dem Laden. Ich musste sofort wieder zurück auf das Anwesen, meine Sachen dort finden und dann irgendwie raus aus dem Dorf. Es schockierte mich, dass die Menschen von einer Verlobung sprachen, obwohl Tobirama und ich nur einige Male zusammen raus gegangen waren. Nie ist mehr zwischen uns passiert und an eine Verlobung war niemals zu denken.
Während ich lief, versuchte ich normal ein und aus zu atmen. Ich schaute keinen Menschen auf der Straße an, konnte aber jeden einzelnen Blick ihrerseits auf mir spüren. Als ich endlich ankam, lief ich schnell in den Garten unter meinem Fenster und überlegte, wie ich am besten wieder dort hoch kommen sollte. Ich musste hochklettern, anders würde ich nicht in mein Zimmer kommen können.
Zuerst einmal schaute ich mich um, ob mich auch niemand beobachtete. Als ich niemanden sehen konnte, steckte ich den Fächer in den breiten schwarzen Gürtel an meiner Taille und fing an, mich an der rauen und geharkten Hauswand hochzuziehen. Es stellte sich leider als noch viel schwieriger vor, als ich es befürchtet hatte. Ich brauchte erst einmal ein paar Anläufe, bis ich es endlich schaffte, den ersten Meter zu überwinden. Wäre ich nicht so gut trainiert und eine Kunoichi der Uchiha, hätte ich keine zwei Sekunden an der Wand durchgehalten. Ich war nur glücklich, dass das Zimmer im zweiten Stock war und nicht im dritten.
Glücklicher wäre ich mit dem ersten Stockwerk.
Die Zeit verging quälend langsam, als ich mich Zentimeter für Zentimeter an der Wand hochzog. Meine Hände waren schon ganz Wund, meine Fingernägel aufgerissen und ganz blutig, aber ich ließ nicht locker, sammelte auch meine letzten Kräfte, um es bis zu meinem Fensterbrett zu schaffen. Ich kniff die Zähne zusammen, denn ich befürchtete, dass ich laut aufschreien würde, sobald ich den Mund öffnete.
Als ich dann endlich mein eigenes Fenster erreicht hatte zog ich mich an dessen Fensterbrett hoch und setzte mich darauf. Ich schnaufte und schaute runter auf meine blutigen Hände.
Das nächste Mal nehme ich die Treppen, ganz gleich, wie viele Wachen ich ausschalten muss.
Ich stützte mich mit beiden Händen am Fensterrahmen und wollte in mein Zimmer steigen, als ich plötzlich das Gleichgewicht verlor und mit einem leisen Schrei stattdessen hereinfiel.
„Verdammt noch einmal!", fluchte ich mit unterdrückter Stimme, stand so leise wie möglich auf und glättete meinen Kimono.
Doch als ich endlich aufsah, wäre ich am liebsten wieder aus dem noch geöffneten Fenster gesprungen, denn direkt vor mir, mitten auf meinem Bett, saß Tobirama Senju und schaute mich mit tödlichem Blick an.
Ok, das wars. Jetzt bin ich garantiert tot.
***

Love and HonorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt