11. Sternenglöckchen

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Es roch nach Sternenglöckchen

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Es roch nach Sternenglöckchen. Arin liebte den Duft des Waldes und die kleine Blume mit den winzigen weißen Blütenkelchen verströmte diesen süßen, beinahe lieblichen Geruch, der ihn ganz und gar gefangen nahm. Fast konnte er das Laub unter seinen Füßen rascheln hören.

Tief inhalierte er die Luft, bevor er die Augen aufschlug. Er war nicht im Wald.

Es dauerte einen Moment, bis er sich zurechtfand. Admiral hatte ihm ihre Chaiselongue überlassen. Das dunkle Holz und der tiefrote Stoff waren dramatisch, aber überraschend bequem. Sie hatte Arin noch eine Decke gegeben, auf der kleine orangene Schmetterlinge flatterten. Ein Grinsen huschte über seine Lippen. Wenn ihn nicht alles täuschte, waren es kleine Admiralfalter, die dort herumtollten.

Hinter dem Paravent ertönten ein dumpfer laut, als ob etwas zu Boden fiel. Jemand schlich durch den Raum. Admiral? Oder jemand anderes?

Leise erhob er sich von der Liege. Die Decke glitt auf den Boden, während eine weitere Wolke Sternenglöckchenduft ihn umgarnte. Wo kam nur dieser Geruch her?

Der Raumteiler reichte ihm höchstens bis zur Schulter, daher blieb er gebeugt, während er an dem bemalten Papier vorbei schielte– und erschrak.

Direkt vor ihm stand ein fremder Waschbärensatyr, mit kleinen runden Ohren und kurzem schwarzen Haar. Die schwarze Gesichtsmaske vermittelten ein freundliches aber auch wachsames Wesen. »Na, ausgeschlafen?«, brummte der Unbekannte. Es war eindeutig Admirals Stimme, jedoch erinnerte nichts an die elegante Nyr, die er am vorherigen Abend kennengelernt hatte. Abgesehen von den Augen, die im gleichen warmen Braunton funkelten.

»Admiral?«, fragte Arin vorsichtig.

Der Waschbärensatyr zwinkerte ihm zu. Eine kokette Geste, die mehr zu einer Nymphe gepasst hätte. »Wen hast du denn erwartet? Eine Sollnea aus dem Königshaus?«

Arin spürte, wie er errötete. Admirals Spott machte ihn verlegen. »Nein, natürlich nicht.« Beim Aufrichten bemerkte der junge Satyr, dass sein Hemd mittlerweile völlig zerknittert war. Der Nacht auf der Chaiselongue sei dank. Unauffällig versuchte er ein paar Falten herauszustreichen, doch Admirals aufmerksamem Blick entging nichts.

Ihre Nase zuckte, bevor ein breites Grinsen ihre Lippen teilte. »Außerhalb meiner Rolle hier kannst du mich gerne mit meinem Satyrnamen ansprechen, wenn du dich damit wohler fühlst. Royin. Allerdings bevorzuge ich Admiral.« Mit einer schwungvollen Drehung schritt der Satyr zum Wandschrank und wühlte zwischen den Gewändern. »Mir ist übrigens auch ein Name für dich eingefallen, Schätzchen.«

»Name?«, fragte Arin verdutzt.

Ihre Stimme wurde leiser, als sie sich zwischen den leuchtenden Kleidern hindurch wühlte. »Natürlich. Jede Nyr braucht einen Namen. Habe ich dir doch gestern schon erklärt.«

Eine Nyr? Admiral hielt ihn für eine Nyr? Der Gedanke verunsicherte ihn. Es traf ihn unvorbereitet, dass sie plötzlich mit einem Berg von Kleidern im Arm vor ihm stand.

»Apollon«, erklärte sie mit einem feierlichen Ton in der Stimme.

»Apollon«, wiederholte Arin. Er schüttelte den Kopf, versuchte durch die Bewegung seine Gedanken zu sortieren. Wo war er hier nur hineingeraten? »Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Ich bin keine Nyr!«

Es war nicht feststellbar, ob Admiral ihn einfach nicht gehört hatte oder tatsächlich ignorierte. Sie warf ihre Last neben ihn, pickte eines der Gewänder heraus und hielt es ihm an. Das Schnürkleid schimmerte wie der See einer Kaverne. Geheimnisvoll, aber dennoch kühl und irgendwie tröstend.

Wieder roch Arin die Sternenglöckchen. Kam der Duft von dem Stoff? Er schluckte »Warte.« Ausweichen konnte er nicht, daher hob er seine Hände. »Ich meine es ernst. Ich bin keine Nyr.«

Ungehalten zogen sich Admirals Brauen zusammen, sodass Letztere in dunklen, unergründlichen Schatten lagen..»Keine Nyr. Schätzchen, ich habe Erfahrung. Glaub mir, wenn ich dir sage. Du bist eine von uns.« Sie nahm das Kleid und legte es vorsichtig auf einen Stuhl. Dann fixierte sie ihn wieder. Diesmal ohne eine Spur von Wärme im Blick. »Was glaubst du eigentlich, wer oder was wir sind?«

»Ich ...« Arin stockte. Es war nicht so, als ob er sich jemals zuvor näher mit dem Thema beschäftigt hatte. Die Kleider umgaben ihn wie Edelsteine. Es war eine Pracht. »Nun, Ihr seid Satyrn, die sich als Nymphen verkleiden.«

Admiral lachte. »Scharf kombiniert. Die Frage aller Fragen, kleiner Apollon - warum tun wir das?«

Hier stand er nun auf dünnem Eis. Er konnte es regelrecht fühlen. Ohne Zweifel hatte er keine Ahnung. »Ich weiß es nicht.«

Ein Nicken, dann führte ihn Admiral zu einem weiteren Kleiderhaufen. Sie griff zu, legte ihre Last beiseite. Arin erkannte eine bequem anmutende Sitzgruppe, die unter dem Stoff verschüttet gewesen war. »Setz dich.« Sie griff neben sich und förderte erst eine verkorkte Flasche und dann zwei Pokale ans Licht. Seinen erstaunten Blick kommentierte sie mit einem feinen Lächeln. Sie schüttelte die Flasche, wartete einen Moment und der Korken verschwand mit einem leichten Ploppen. Dann füllte sie eine blubbernde gelbe Flüssigkeit in die Trinkgefäße.

Obwohl es wohl nicht die richtige Tageszeit für Honigschaum war, nahm Arin ihr einen Pokal ab. Er hatte das Gefühl, dass er den Alkohol brauchen würde.

»Nun«, murmelte Admiral, bevor sie einen großen Schluck aus ihrem Kelch nahm. »Nyr ist eigentlich ein Sammelbegriff für uns. Jede hat ihre eigene Geschichte und eigene Motivation. Aber uns allen ist gleich, dass wir nicht in die bestehende Gesellschaft passen. Die Hülle einer Nyr ist sowohl Rüstung als auch Spiel.« Sie nahm einen weiteren Schluck. »Schau, ich für meinen Teil bin kein Satyr. Ich fühle es nicht, ich lebe es nicht. Es hat lange gedauert, bis ich erkannt habe, dass mein Inneres nicht zu meinem Äußeren passt. Einige von uns sind mit ihrer unterdrückten Rolle nicht zufrieden. Sie wünschen sich ein gleichberechtigtes Miteinander. Wieder andere verstecken sich und ihre Andersartigkeit unter dem Schleier einer Nyr. Und du ...«

»Und ich?«, wiederholte Arin angespannt.

Jetzt war das Lächeln in ihre Augen zurückgekehrt. »Das, Apollon, ist die große Frage, die nur du beantworten kannst. Warum bist du hier?«

Weil er nicht in seine Welt passte. Der Sternenglöckchenduft umwaberte Arin. Apollon? Gerade wollte er antworten, als die Tür aufgestoßen wurde und der Türsteher hineinpolterte.

»Admiral«, keuchte der Stiersatyr. »Du musst kommen. Frostvogel ist verletzt.«

Sofort sprang Admiral auf.

Der Türsteher drehte sich um und raste in Richtung des Schankraumes, dicht gefolgt vom Admiral.

Die Energie riss Arin ebenfalls auf die Füße und er folgte den beiden.

Sie hatten sich vor der Bühne versammelt. Eine Handvoll Gestalten, die ein Bündel umringten. Nein, kein Bündel, auch wenn es sich nicht bewegte. Arin sah gebrochene Flügel. Ein blauschwarzer Schimmer neben blonden Locken.

Admiral beugte sich neben die junge Nyr, um ihr die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Äste und Blätter klebten zwischen den Haaren. Arin trat näher heran. Der Boden schimmerte feucht. In der Luft roch er nun Metall. Er ging noch einen Schritt näher. Die Gesichter der Umstehenden waren verzerrt. Angst, Wut, Unglaube bündelten sich in den Blicken. Dazu die Hilflosigkeit, die auch er empfand. Denn es war eindeutig, dass die Nyr jede Menge Blut verlor.

»Steht nicht so rum«, zischte Admiral. »Ich brauche Tücher. Vor meinem Schminkspiegel liegt mein Nähset.«

Arin war froh, dass es etwas gab, das er tun konnte. »Ich hole das Set«, rief er, während er sich umdrehte, um in Admirals Zimmer zu hetzen.

Auch die anderen bewegten sich endlich. Er hörte Admirals Befehle und ihre Antworten, als er Tischen auswich und in den dunklen Flur zu den Gemächern rannte. Sein Kopf war leer. Irgendetwas war passiert. Etwas, das diesen friedlichen Ort getroffen hatte, der ihn gestern, ohne Fragen zu stellen, aufgenommen hatte. Und er würde bleiben und helfen.

Nymphentanz und Feenzauber #ElysiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt