III

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Tatsächlich nehmen wir wieder in demselben Raum wie vor etwa einer Stunde Platz, mit dem Unterschied, dass ich jetzt so ziemlich das ganze Schloss von Königin Charis besichtigt habe, im Archiv der Weissagungen war (zuvor wusste ich nicht einmal, dass so etwas überhaupt existiert) und nebenbei noch erfahren habe, dass Duniya von den Gestaltenwandlern bedroht wird und ich eine Rolle in der Rettung meines Landes spiele.
Die Mehlwürmer in meinem Kopf vermehren sich ums Doppelte, bei dem Gedanken daran, wie es nun weitergeht.
„Hast du Fragen, Clarice?", fragt die Königin mich und ich muss mich bremsen, um nicht alle tausend Fragen, die mir durch den Kopf gehen, auf einmal zu stellen.
„Was ist mit meinen Eltern? Wissen sie davon?"
Die Königin lächelt zaghaft. „Ich habe es ihnen bereits kurz nach deiner Geburt mitgeteilt, ich wollte, dass sie es wissen." Mein Herzschlag setzt kurz aus. „Sie wissen es?", frage ich perplex, „Sie wissen es und haben mir nie davon erzählt?"
Königin Charis seufzt. „Sie haben mir geschworen, dir nicht davon zu erzählen. Du hättest es nicht verstanden, was für eine Verantwortung du vermutlich tragen musst, sobald du deine Gabe entdeckt hast. Heute war der richtige Zeitpunkt, um dich einzuweihen."
Ein entgeistertes Schnauben rutscht mir über die Lippen. „Sie wissen doch noch gar nicht, welche Rolle ich in dieser ganzen Sache spiele."
Der Blick der Königin verfinstert sich.
„Clarice, du musst verstehen, dass die Visionen nicht lügen. Das tun sie nie. Wir wissen, dass du eine unfassbare Macht in dir trägst und dass du Teil dieser Prophezeiung bist, genügt vorerst. Wie das alles passieren wird, können wir nicht sagen. Aber es steht fest."
Ich beiße mir auf die Lippe, um nichts Falsches zu sagen. Die Mehlwürmer schmeißen eine Party unter meiner Großhirnrinde.

Als meine Mutter den Raum betritt, erkenne ich in ihren Augen einen Hauch von Schuldgefühlen. Schnell weicht sie meinem Blick aus und inspiziert ganz konzentriert den Fußboden. Mein Vater sieht mich direkt an, in seinen dunkelgrünen Augen, die meinen so ähnlich sind, erkenne ich nichts.
„Mr. und Mrs. Ovun, schön Sie zu sehen", begrüßt Königin Charis meine Eltern in höflichem Ton und deutet ihnen, sich zu setzen. Zögernd lassen sie sich neben mir auf dem Sofa nieder, das unter unserem Gewicht leise knarzt.
Als die Oberschenkel meiner Mutter meine berühren, zucke ich zusammen. Sie blickt mir fragend in die Augen und es kommt mir vor, als würde sie mein Gesicht abchecken, um zu sehen, ob ich okay bin. Ich drehe den Kopf weg; ich kann den besorgten Ausdruck nicht ertragen.
Die Königin und meine Eltern beginnen zu reden, aber ich bin mit meinen Gedanken nicht anwesend. Ich denke an die Gestaltenwandler, die in das Schloss im Schattenwald verbannt wurden und an ihre Familien, aus denen sie gewaltsam herausgerissen wurden.
Und gleichzeitig kann ich ihren Hass fühlen; einen pulsierenden, glühenden und unendlichen Zorn auf alle anderen.

Ein harsches Klopfen ertönt an der Tür und reißt mich aus meinem tranceartigen Zustand. Sir Shaw erscheint im Türrahmen, ein goldenes Tablett in der Hand.
„Der Trank, Eure Hoheit", verkündet er und die Königin nickt ihm dankend zu, bevor er das Tablett vor mir auf dem Tisch abstellt.
Ich betrachte die trübe, grüne Flüssigkeit, die sich in dem Glas befindet. Am Tag der Enthüllung muss man dieses Getränk zu sich nehmen. Es macht einen empfänglicher für Magie und meist beginnt die Gabenenthüllung fünfzehn bis zwanzig Minuten, nachdem man den Trank zu sich genommen hat. So kann der Zeitpunkt, wann die Gabe enthüllt werden soll, eingeschränkt und kontrolliert werden.
Jetzt wünsche ich mir, besser in der Schule aufgepasst zu haben, als wir darüber gelernt haben. Denn ich habe keine Ahnung, was sich in der Flüssigkeit befindet.
Lecker sieht es nicht gerade aus. Ein paar brockenartige Klumpen schwimmen in der Brühe herum und in mir sträubt sich alles.
Ich spüre, wie sich die Hand meiner Mutter in meine legt, dann greife ich nach dem Glas, schließe die Augen und leere es in einem Zug. Beinahe spucke ich alles wieder aus, als sich der Geschmack von verfaulten Eiern vermischt mit Erbrochenem in meinem Mund ausbreitet. Es brennt in meinem Hals wie Feuer und erst nach einer gefühlten Ewigkeit schaffe ich es, alles runter zu würgen.
„Wasser, bitte", keuche ich und unterdrücke einen Würgreflex. „Du darfst nichts nachtrinken, Clarice. Das würde die Wirkung hemmen", flüstert mir mein Vater zu.

SchattenmächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt