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Unter meinen Fingerkuppen fühle ich die leichte Maserung des Holzes. Ich ziehe einen Pfeil aus dem Köcher auf meinem Rücken und lege ihn ein. Mit Zeige- und Mittelfinger ziehe ich die Sehne nach hinten und fokussiere mein Ziel, eine kreisförmige Zielscheibe, die mit roter Farbe provisorisch auf einen Baumstamm gemalt wurde. Ich atme einmal tief ein, der herbe Geruch des Waldes dringt mir in die Nase. Dann stoße ich die Luft aus und lasse los.
Mit einem surrenden Geräusch zerschneidet der Pfeil die Luft ... und verfehlt das Ziel um mindestens einen ganzen Meter.
Frustriert stöhne ich auf. „Ich schaffe das einfach nicht. Warum fliegt der verdammte Pfeil nicht dorthin, wo er hinsoll?"
„Du bist viel zu ungeduldig, Clarice. Um die Kunst des Bogenschießens perfekt zu beherrschen, braucht es viel Übung, Geduld und Konzentration", meint Chase und tätschelt mir die Schulter. „Ich bin konzentriert!", motze ich und drücke ihm den Bogen in die Hand. „Zeig's mir noch einmal."
Er lacht leise, dass seine weißen Zähne im Kontrast zu seiner dunklen Haut nur so funkeln und nimmt den Bogen in die Hand, als wäre er ein Kinderspielzeug.
Bei Chase sieht es einfach so leicht aus. Er hat mir zwar erzählt, dass er, als er vor drei Jahren Jäger wurde, mindestens genauso schlecht war wie ich, aber ich kann ihm die Geschichte nicht ganz abkaufen. Er konnte bestimmt schon gut schießen, als er zum Jäger wurde.
Er legt den Pfeil ein und spannt die Sehne. Während er sein Ziel fokussiert, sind seine Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammengezogen. Dann lässt er los und ich sehe gerade noch, wie der Pfeil die Mitte des Ziels, einen faustgroßen, roten Punkt, durchbohrt.
Seufzend lasse ich mich auf einen Baumstumpf fallen. „Vielleicht ist Bogenschießen einfach nicht das Richtige für dich. Es gibt ja auch noch andere Waffen, Clarice", meint Chase,
„Arkyn wird dir heute zeigen, wie man mit Messern umgeht."
„Na super. Dann bin ich am Abend wahrscheinlich tot, weil ich mich selbst ersteche", maule ich und Chase lacht.
„So lustig finde ich das jetzt aber auch nicht. Messer sind überaus ...", beginne ich, als sich jemand hinter mir räuspert. Ich werfe einen wütenden Blick über meine Schulter, als ich erkenne, wer da hinter mir steht. Es ist der Typ mit den dunklen Haaren und Augen, der mich an meinem zweiten Tag zur Schnecke gemacht hat, weil ich die Gedenksteine untersucht habe.

„Gut, dass du hier bist, Arkyn. Wir sind gerade fertig mit dem Bogenschießen", ruft Chase und die beiden klatschen sich ab. Ich erhebe mich und klopfe mir die Hose ab, bevor ich den Lackaffen – Arkyn, korrigiere ich mich – mustere. Er trägt eine dunkle Hose und einen schwarzen Pulli, um die Schulter hängt lässig eine Tasche.
„Das ist Clarice. Clarice, das ist Arkyn", stellt Chase uns vor, „Der beste Messerwerfer hier und auch der Einzige."
Chase lacht leise, schnappt sich seinen Bogen und den Köcher, bevor er winkend davonjoggt.
Arkyn lächelt spöttisch. „Wir haben schon Bekanntschaft gemacht, soweit ich mich erinnere."
Seine Stimme ist tief und weich und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Er wirkt wie der ultimative Gestaltenwandler. Dunkel, geheimnisvoll und irgendwie böse.
Er öffnet die Tasche und mehrere Messer kommen zum Vorschein. Die langen Klingen funkeln gefährlich und ich kann schon beinahe das herunterlaufende Blut sehen.
Ich schlucke meine Angst hinunter und greife nach einem etwa 20 Zentimeter langem Messer, das er mir hinhält. Vorsichtig fahre ich mit dem Finger über die Klinge und muss lachen.
„Das ist ja nicht einmal scharf. Damit kann ich doch keiner Fliege etwas zuleide tun."

Akryn verdreht die Augen. „Du bist ja echt nicht die Hellste", seufzt er, „Das sind spezielle Wurfmesser. Sie sind zum Werfen und Töten konzipiert. Eine scharfe Klinge ist dabei nicht so essentiell, da die Beute durch einen präzisen Wurf getötet wird."
„Verstehe", lüge ich und schwinge das Messer ein bisschen in meiner Hand, als würde ich austesten, ob es wurftauglich ist.
„Lass das", mault Arkyn, „Ich will nicht, dass du dich selbst erstichst. Wie ich merke, hast du noch nie Messergeworfen. Deshalb fangen wir – ganz einfach – mit den Grundlagen an.
Das Messer wiegt nicht mehr als 200 Gramm. Mit schwereren Messern kann man stabiler werfen, aber es fordert auch mehr Muskelkraft. Die Klinge selbst ist nicht sonderlich scharf. Das ist auch nicht wichtig, durch einen präzisen Wurf tötest du ohnehin. Der Wurf ist umso genauer, je näher man sich an seinem Ziel befindet. Man kann auch – sofern man geübt ist – aus weiteren Distanzen werfen, aber der Wurf wird hierbei unkontrollierter."

SchattenmächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt