„Trommelwirbel bitte. Dein neues Zimmer", meint Arkyn feierlich und reißt die schlichte Holztüre auf. Mir verschlägt es beinahe den Atem; so viel Luxus bin ich nicht mehr gewohnt.
„Das ist ja großartig", rufe ich begeistert und werfe mich auf das wuchtige Himmelbett an der Wand, das unter meinem Gewicht leise knarzt. Die Decke ist verhältnismäßig weich und es gibt sogar zwei Kopfkissen. Vor meinem Bett steht eine Holztruhe, die so groß ist, dass bestimmt ein Kind darin schlafen könnte.
„Da kannst du deine Sachen reintun", erklärt Arkyn und ich stoße den Deckel auf.
Im Arm hält Arkyn meine Besitztümer, die er freundlicherweise für mich getragen hat.
Ich werfe das ganze Zeug achtlos in die geräumige Truhe. Um Ordnung kann ich mich später auch noch kümmern.
An der Wand hängt ein großer Spiegel mit goldenem, verschnörkeltem Rahmen. Mein Spiegelbild blickt mir freudestrahlend mit blitzenden grünen Augen entgegen. Ich sehe aus wie immer und doch so anders. Ob es das entschlossene Funkeln in meinem Blick ist oder die blonden Wellen, die mir nicht ganz so perfekt über die Schultern fallen wie früher?
Mein Blick gleitet ein wenig zur Seite, wo Arkyn im Hintergrund auf meiner Truhe sitzt und mich unauffällig betrachtet. Was er wohl sieht? Als sein Blick in den Spiegel fällt, trifft er meinen. Er zieht eine Augenbraue hoch und ich muss lachen. Warum weiß ich nicht.
Nachdem ich den Raum ausreichend begutachtet habe, lasse ich mich auf den gemütlichen Holzstuhl mit besticktem Bezug vor einem ovalen Tisch aus dunklem Holz nieder.
„Womit habe ich dieses Zimmer verdient?", seufze ich und schließe theatralisch die Augen.
Arkyn antwortet mir nicht. Es ist seltsam still und ich öffne meine Augen schnell wieder.
„Wir sind jetzt Zimmernachbarn", stellt er fest.
„Und ich muss ab jetzt immer in den dritten Stock laufen, um in mein Zimmer zu gelangen. Aber für jemandem mit wenig Kondition ist das sicher nicht schlecht", witzle ich. Es kommt mir vor, als lägen Jahre zwischen jetzt und dem Tag, als er mich mit diesem fiesen Spruch zur Schnecke gemacht hat.
Arkyn stöhnt genervt auf. „Das wird mir wohl ewig nachhängen."
Ich grinse hinterhältig. „Für immer."
Doch dann denke ich an die Zukunft und das Lächeln tropft von meinem Gesicht wie Honigsirup. Was heißt schon für immer? Ich werde die Gestaltenwandler genauso schnell verlassen, wie ich gekommen bin. Und ich werde Xanthio, Magretta und Janae ihrem Schicksal überlassen. Und Arkyn. Sobald ich erstmal weg bin, werde ich ihn nie wieder sehen.
Was wird Königin Charis dann unternehmen, wenn sie die nötigen Informationen über den Plan der Gestaltenwandler hat? Was will sie gegen den rasenden Zorn der Ausgestoßenen tun?„Was machen wir jetzt? Wir haben den ganzen Nachmittag frei", unterbreche ich die Stille, die mich plötzlich in den Ohren schmerzt, und verdränge meine eigenen Gedanken in der hinterste Ecke meines Gehirns.
„Wir?" Arkyn grinst vorsichtig und zieht fragend eine Augenbraue hoch. Ich verdrehe genervt die Augen. Irgendetwas an ihm bringt mich dazu, das ständig tun zu wollen. Augen verdrehen, Zunge rausstrecken und leise fluchen. Meine Eltern würden wahrscheinlich nicht begeistert sein, aber es passt zu dem neuen Funkeln in meinen Augen.
„Wir könnten Messerwerfen gehen", schlage ich vor, „Nur zur Übung."
Arkyn fackelt nicht lange, springt von der Truhe auf und verschwindet aus der Tür.
„Dann komm."
Er holt ein paar geeignete Wurfmesser aus seinem Zimmer, das tatsächlich direkt neben meinem liegt. Ich erhasche einen kurzen Blick in den Raum, der ganz ähnlich wie meiner aussieht. Doch Arkyn verschließt die Tür, bevor ich mehr genauer umsehen kann.
„Sei nicht so neugierig."
Wir verlassen das Schloss und treten hinaus ins Freie. Ein Blick auf die Uhr am Turm zeigt mir, dass es schon halb vier ist. In etwa zwei Stunden wird es dunkel sein.
Mein Atem hinterlässt kleine Wölkchen in der kühlen Dezemberluft und ich bin froh, dass ich mir einen warmen (neuen) Pullover übergezogen habe. Die Schneiderinnen waren zwar nicht begeistert, dass ich meine Kleidung im Schattenwald zerschnitten habe, aber als sie die leichten Verbrennungen an meinen Oberarmen gesehen haben, waren sie still.
„Welcher Tag ist heute eigentlich? Ich meine das Datum. Mein Zeitgefühl gerät hier komplett außer Kontrolle."
„Der sechste Dezember", antwortet Arkyn, während wir über das gefrorene Gras Richtung Wald schlittern. „Unglaublich, dass ich schon so leicht zu beeinflussen bin, dass du mich überreden kannst, meinen freien Nachmittag mit dir zu verbringen", fügt er hinzu.
Arkyn ist wieder ganz der Alte.
„Dich zu überreden?", schnaube ich, „Soweit ich mich erinnern kann, warst du sofort dabei, als ich den Vorschlag gemacht habe."
Ein schelmisches Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht. Erst jetzt fällt mir auf, dass sich kleine Grübchen um seine Mundwinkel bilden, wenn er lächelt. Man bekommt sie nicht oft zu sehen, diese Grübchen.
„Ich glaube du weist schon Gedächtnislücken auf, Clarice. Du musstest mich praktisch aus dem Zimmer zerren, dass ich mitgehe."
Ich kann mir einen kleinen Boxhieb gegen seinen Oberarm nicht verkneifen. Er ignoriert mich, biegt einen Ast zur Seite und lässt mich darunter in den Wald schlüpfen.
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Schattenmächte
FantasyClarice fiebert ihrem sechzehnten Geburtstag seit Wochen entgegen und nun ist es endlich soweit: Sie soll erfahren, welche Gabe sie besitzt. Als sie von der Königin zur Gabenenthüllung in den Palast gebeten wird, kommt jedoch alles anders als erwart...