Die ersten Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg zwischen den meterhohen Baumstämmen hindurch, die lange Schatten auf den moosbedeckten Boden werfen.
Ein paar Vögel zwitschern und der Wind lässt die Blätter der Bäume rascheln und zu Boden segeln. In der Luft liegt eine Spannung, die mir eine leichte Gänsehaut auf die Arme zaubert. Ich höre Chases keuchenden Atem neben mir, den Bogen hält er griffbereit in der Hand. Ich selbst bin unbewaffnet, die Jäger mit denen ich unterwegs bin – Chase, Arkyn und zwei Frauen mittleren Alters – meinten, es sei besser, wenn ich vorerst nur einmal zusehe.
Ein bisschen enttäuscht bin ich schon deswegen, aber ich kann sie verstehen. Ich würde sowieso nichts treffen. Heute sind wir die einzige Jägerpatrouille, die unterwegs ist. Systematisch streifen wir durch den Wald. Chase und die beiden Frauen tragen ihre Bögen bei sich, während Arkyn mit Messern ausgestattet ist.
Eine Weile kämpfen wir uns schweigend durch das Unterholz, bedacht nicht zu viel Lärm zu machen.
Meine Gedanken wandern immer wieder an den gestrigen Abend und den überaus attraktiven Rücken eines charakterlich weniger attraktiven Menschen. Arkyn hat kein Wort darüber verloren, worüber ich ihm ehrlich gesagt sehr dankbar bin. Aber trotzdem krieg ich das Bild nicht mehr aus dem Kopf.
Ganz schusselig bin ich heute deswegen, trete immer wieder auf Aststückchen, die unter meinen Füßen knacksen und ernte dafür böse Blicke. Arkyn bezeichnet mich sogar als tollpatschigen Troll. Übrigens die einzigen Worte, die er heute an mich gerichtet hat.Plötzlich höre ich ein Knacksen im Gebüsch. Ich erwarte eine weitere Beschimpfung in die Richtung tollpatschiger Troll, als ich ein Reh erblicke, das mich durch seine dunklen, schimmernden Augen beobachtet. Es sieht uns nur zu, läuft nicht einmal davon.
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Gleich bist du tot, denke ich und am liebsten hätte ich mich schützend vor das Tier gestellt.
Im Augenwinkel erkenne ich, wie Chase blitzschnell einen Pfeil aus seinem Köcher zieht und den Bogen spannt. Das Reh zuckt zusammen, dreht sich um und sprintet los.
Doch die Millisekunden, in denen es uns beobachtet hat, werden ihm nun zum Verhängnis.
Ich zucke zusammen, als Chases Pfeil sich mit einem dumpfen Laut in den Bauch des Tieres bohrt und es zu Boden sackt.
Bevor ich zu dem Reh laufe, sehe ich noch, wie Arkyn und Chase sich abklatschen.
Als ich das tote Reh aus der Nähe sehe, dreht sich mir der Magen um. Blut. Überall Blut.
Chase bückt sich vor dem toten Reh nieder und zieht ihm den Pfeil mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Bauch; ich presse mir die Hand auf den Mund.
„Sei kein Weichei", flüstert mir Arkyn zu, der direkt hinter mir steht. So nahe, dass ich seinen warmen Atem im Genick spüre. Mein Herz macht einen erschrockenen, kleinen Hüpfer.
„Wie wäre es, wenn wir uns aufteilen?", schlägt eine der beiden Jägerinnen vor und die anderen stimmen alle zu. Schnell sind drei Gruppen gebildet. Die beiden Frauen ziehen gemeinsam los und nehmen sich den östlichen Teil des Waldes vor, Chase, der auch das tote Reh mitnimmt, wird der westliche Waldabschnitt zugeteilt und Arkyn und ich sollen hierbleiben.
„Wieso kann ich nicht bei Chase bleiben?", seufze ich und Arkyn verdreht die Augen. „Ich dachte, das Messerwerfen soll deine zukünftige Disziplin werden?"Ohne auf mich zu warten, stapft er tiefer in den Wald hinein. Wir reden kein Wort miteinander. Das einzige Geräusch, das zu hören ist, ist das gleichmäßige Rascheln der Blätter im Wind. In der rechten Hand hält Arkyn sein Messer, er bewegt sich so leise durch das Unterholz, das es beinahe gruselig ist.
Ein lautes Knacksen ertönt, als ich auf einen Ast am Boden trete. „Psssst, bist du verrückt geworden?", faucht Arkyn und funkelt mich böse an. Seine Augen sind so dunkel, beinahe schwarz. „Tschuldigung", murmle ich. Es ist wohl besser, wenn ich keine Diskussion mit ihm eingehe.Plötzlich streckt er seinen Arm aus und hält mich zurück. „Halt die Klappe", haucht er, bevor ich lautstark protestieren kann. Erstaunt folge ich seinem Blick. Ein prächtiger Hirsch lugt zwischen zwei Bäumen hervor. Der warme Blick in seinen Augen erinnert mich sofort wieder an das tote Reh von vorhin. Ein Knoten bildet sich in meinem Hals.
Lauf, Hirsch, lauf solange du noch kannst, denke ich. Aber der Hirsch rührt sich nicht von der Stelle. Ich merke, wie Arkyn seine Muskeln anspannt, langsam zückt er das Messer.
Jeden Augenblick wird er werfen.
Mein Herz rast. Wieso läuft der Hirsch nicht davon?
Ohne nachzudenken stürme ich in zwei gewaltigen Sätzen auf das Tier zu. Äste brechen unter meinen Füßen, das Geräusch hallt durch den ganzen Wald. Der Hirsch zuckt erschrocken zusammen und jagt davon.
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Schattenmächte
FantasyClarice fiebert ihrem sechzehnten Geburtstag seit Wochen entgegen und nun ist es endlich soweit: Sie soll erfahren, welche Gabe sie besitzt. Als sie von der Königin zur Gabenenthüllung in den Palast gebeten wird, kommt jedoch alles anders als erwart...